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21. Juni 2005

Die außenpolitischen Konzepte des italienischen Faschismus und des deutschen Nationalsozialismus

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 20:38

In dem folgenden Artikel sollen durch die Herausstellung des singulären Charakters der europapolitischen Prämissen des NS-Totalitarismus sowohl “antifaschistische” und “antiimperialistische”, als auch offen NS-apologetische Vorstöße, Hitler-Deutschland als “bloß” faschistischen Staat zu verniedlichen, desavouiert werden.

Von Daniel L. Schikora

I. Das faschistische Italien als Faktor europäischer und Weltpolitik

Italien nach dem I. Weltkrieg: Der „verstümmelte Frieden“. Nachdem die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den Mittelmächten und der Tripel-Entente eröffnet worden waren, erklärte Italien am 3.8.1914 zunächst seine Neutralität. 10 Monate später, am 23.5.1915, trat Italien auf der Seite der Alliierten zunächst in den Krieg gegen Österreich-Ungarn, etwas später, am 28.8., auch gegen das Deutsche Reich ein. Diese Entscheidung der italienischen Regierung hatte ihre Ursache in einer großangelegten Kampagne der „Kriegspartei“, einer Phalanx von Radikalen, revolutionären Sozialisten, Rechtsliberalen und Nationalisten. Die Befürworter eines Anschlusses an das Bündnis gegen die Mittelmächte setzten sich die territoriale Erweiterung des italienischen Staates auf Kosten der Donau-Monarchie zum Ziel. Bereits 1910 hatte sich unter dem Dichter und Nietzsche-Anhänger Gabriele d’Annunzio (1863-1938) eine Partei der Nationalisten konstituiert, die die „Befreiung“ der als der italienischen Nation zugehörig betrachteten Territorien rund um die Adria propagierte. Der Irredentismus (irredenta ital. = „Unerlöstes“) d’Annunzios und der Nationalisten sollte später zur weltanschaulichen Basis der Außenpolitik der Faschistischen Partei Mussolinis werden.

In den Pariser Vorortverträgen von 1919 erhielt Italien zwar die Brennergrenze, Julisch-Venetien, Triest und Istrien zugesprochen. Diese Expansion Italiens war mit dem im Vierzehn-Punkte-Programm des US-Präsidenten Wilson vom Januar 1918 postulierten Nationalitätenprinzip schwer in Einklang zu bringen: Der italienische Staatsverband umfaßte nun auch geschlossene deutsche und slawische Siedlungsgebiete. Die von den Nationalisten erhoffte Einigung mit Fiume, Dalmatien sowie dem südlichen Albanien wurde Italien jedoch von den Verbündeten verweigert. Als d’Annunzio mit von ihm befehligten Freischaren ohne Einverständnis der Regierung das dalmatische Fiume handstreichartig besetzte und es zu einem Teil des italienischen Staatsverbandes erklärte, wurde diese eigenmächtige Aktion von einem breite gesellschaftliche Kreise umfassenden Konsens begleitet. Die Autorität der legitimen Regierung war zweifelhaft geworden. Als Reaktion auf das politische Erstarken der extremen Linken sammelte sich die Gegenbewegung, ebenfalls unter revolutionärem Vorzeichen, unter dem Banner der Faschistischen Partei.

Die außenpolitischen Positionen des frühen Faschismus: Von der Irredenta zu Revisionsversuchen gegenüber der Neuordnung von St. Germain. Benito Mussolini (1883-1945) hatte 1914/15, als Chefredakteur des Parteiorgans der revolutionären Sozialisten, „Avanti!“, zu den eifrigsten Befürwortern einer Kriegsbeteiligung gehört. Seine interventionistische Position hatte den Bruch Mussolinis mit der neutralistisch ausgerichteten Partei zur Folge. In den folgenden Jahren entwarf der ehemalige Sozialist Mussolini die Konzeption eines integrativen Staatswesens auf der Basis der Klassenversöhnung. Der etatistische Nationalismus Mussolinis fand nach dem Ende des Krieges, als die radikale Linke in den Augen breiter Kreise des Bürgertums zu einer staats- und gesellschaftsgefährdenden Kraft zu werden drohte, die Unterstützung von Industriellen wie Kleinbürgern, als Gegenpol zum klassenkämpferischen Internationalismus, der mit der Russischen Revolution identifiziert wurde. Am 23.3.1919 konstituierten sich die „Fasci di combattimento“, die sich im November 1921 in die Partito Nazionale Fascista eingliederten.

Das Programm der faschistischen Verbände von 1919 verurteilte imperialistisches Weltmachtstreben und erklärte, daß ein faschistisches Italien seine territorialen Forderungen hinsichtlich der Adria auf diplomatischem Wege verfolgen werde. Das Postulat des Anti-Imperialismus, mit dem die neugegründete Faschistische Partei der personellen und strukturellen Genesis eines Teils der Organisation, die in den sozialistischen Parteien wie im Syndikalismus lag, Rechnung trug, schien also keineswegs im Widerspruch zu stehen zu den irredentistischen Forderungen, die zu stellen die Faschisten als eine nationalistische Partei für selbstverständlich erachteten. So ist die Forderung eines „Größeren Italien“, das auch die Ostküste der Adria umfassen sollte, durchaus als Keimzelle des später von Mussolini verkündeten italienischen Anspruches auf „Unser Mittelmeer“ („il mare nostro“) zu betrachten.

Von einem faschistischen „Plan“ imperialer Eroberungspolitik zu sprechen, erscheint als „irreführend“ (1). Eine Verschärfung der irredentistisch-revisionistischen Agitation der Faschisten ist im Zusammenhang mit dem Zulauf, die die Partei bis 1922 von seiten nationalistischer Kriegsveteranen erhielt, zu verzeichnen. Spätestens jetzt wurde das Postulat der Grenzrevision zugunsten Italiens Konsens aller Fraktionen des Faschismus, wobei das Prinzip des Gewaltverzichts zunehmend in den Hintergrund trat.

Nachdem Mussolini am 30.10.1922 durch König Viktor Emmanuel III. zunächst zum Ministerpräsidenten eines Koalitionskabinetts der Rechten ernannt und einen Monat später zur Wiederherstellung der staatlichen Ordnung mit diktatorischen Mitteln ermächtigt worden war (25.11.), was ihm die Möglichkeit der Errichtung einer dauerhaften autoritären Herrschaft bot, ging die Faschistische Partei daran, d’Annunzios Vorstellung von einer Großmachtstellung Italiens zu verwirklichen. 1923 begann das faschistische Italien eine konsequente Repressionspolitik gegenüber deutschen Autonomiebestrebungen in Südtirol durchzuführen. Hinsichtlich der Adria vermochte Mussolini einen diplomatischen Erfolg zu erzielen, als er das Einverständnis der Westmächte bezüglich der Annexion Fiumes erlangte. Der Versuch einer Integration des griechischen Korfu in den italienischen Staatsverband scheiterte allerdings am Einspruch insbesondere Großbritanniens.

Eine Konstante der faschistischen Außenpolitik ist bis 1935 die Gegnerschaft zur Französischen Republik. Die anti-französische Tendenz des italienischen Faschismus resultiert aus der Weigerung Frankreichs, den kolonialen Ansprüchen Italiens bezüglich der Nordküste Afrikas (Tunis) und Südosteuropas entgegenzukommen, wie auch aus der Tatsache, daß die Französische Republik antifaschistische Flüchtlinge in großer Zahl aufgenommen hatte. Außerdem läßt sich bezüglich der antifranzösischen Position der Faschisten eine ideologische Komponente nicht in Abrede stellen: Insbesondere früheren Syndikalisten galt das demokratische Frankreich als eine Speerspitze eines dekadenten kosmopolitischen Modernismus.

In den ersten Jahren nach der faschistischen Machtübernahme wurden die nationalistisch-revisionistischen Bestrebungen der Faschistischen Partei noch eingegrenzt durch den Einfluß gemäßigter national-konservativer Kreise im Außenministerium. Gleichwohl steht die italienische Außenpolitik nach 1925 im Zeichen eines Revisionsversuchs des britisch-französischen Führungsanspruchs im Völkerbund-Europa. Bezeichnenderweise scheint Großbritannien den italienischen Anspruch auf eine Neuordnung der Mächtekonstellation in Europa anzuerkennen, was auch im Kontext des Antibolschewismus britischer Konservativer, wie des Außenministers Auston Chamberlain, zu betrachten ist. 1926 erkennt Großbritannien die Errichtung des italienischen Protektorats über Albanien an.

1927 schloß Italien einen Freundschafts- und Schiedsvertrag mit Horthy-Ungarn, das seine Revisionspolitik gegenüber der 1920/21 von Frankreich initiierten „Kleinen Entente“ - der Tschechoslowakei, Jugoslawien, Rumänien - durchzusetzen trachtete. Die Achse Rom-Budapest stellt die erste Allianz faschistisch regierter Nationen gegen die Ordnung von St. Germain dar.

Mussolinis imperialistisches Großmachtstreben 1932-1936. Mit der zunehmenden Faschisierung des Außenministeriums ab Juli 1932 verschärft sich die Tendenz zu offenem Großmachtstreben. An die Stelle irredentistischer Forderungen im Mittelmeer, die die italienische Diplomatie im Einklang mit Großbritannien durchzusetzen trachtete, tritt nun eine Großraumpolitik, die eine direkte Bedrohung der britischen und französischen Kolonialinteressen darstellt. Das neukonstituierte NS-Regime Hitlers gilt Mussolini als willkommener Verbündeter im Kampf um die Gleichberechtigung der „Habenichtse“ Deutschland und Italien gegenüber der Ordnung von St. Germain. Ungeachtet der Gegensätzlichkeit der Positionen NS-Deutschlands und Italiens hinsichtlich Südtirols und Österreichs, die insbesondere im Zusammenhang mit der österreichischen Krise im Sommer 1934 zum Ausdruck kommt, entwickelt sich ab 1935 ein kontinuierliches diplomatisches Zusammengehen der beiden faschistischen Mächte. Mussolini postuliert nun - entgegen seiner früheren Versicherung, der Faschismus sei „keine Exportware“, - die Führungsrolle Italiens in einem „Zeitalter des Faschismus“.

“Der faschistische Staat ist Wille zur Macht und Herrschaft. Die römische Ãœberlieferung ist ihm eine Idee des Antriebes. In der Doktrin des Faschismus ist ‘impero’ nicht nur ein territorialer, militärischer oder merkantiler, sondern ein geistiger und moralischer Begriff. Man kann sich sehr wohl ein ‘impero’ vorstellen als eine Nation, die unmittelbar oder mittelbar andere Nationen leitet, ohne daß es notwendig wäre, einen einzigen Quadratkilometer Landes zu erobern. Für den Faschismus ist das Streben zum impero, das heißt zur Expansion der Nation ein Ausdruck der Vitalität. Sein Gegensatz, das Zuhausebleibenwollen ist ein Zeichen des Verfalls. Völker, die steigen oder wiederaufsteigen, sind imperialistisch, nur niedergehende Völker können verzichten […]“ (2)

Der italienische Überfall auf das Kaiserreich Abessinien, dessen Eroberung das nordostafrikanische Territorium des faschistischen Italien von Libyen bis Somaliland vervollkommnen sollte (die vollständige Unterwerfung Libyens hatten die Faschisten 1932 abgeschlossen), im Oktober 1936 stellte den Höhepunkt der imperialistischen Weltpolitik Italiens dar und ist gleichzeitig als die letzte souveräne außenpolitische Aktion Mussolinis zu betrachten. In den Jahren nach 1936 setzte eine Tendenz der Selbsteingliederung Italiens in die revanchistische Außenpolitik Hitler-Deutschlands ein - eingeleitet durch die Konstituierung der „Achse Berlin-Rom“ und das gemeinsame Eingreifen in den Spanischen Bürgerkrieg auf der Seite der Rechten.

So hatte der italienische Faschismus in seinen europa- und weltpolitischen Positionen als eine irredentistische Oppositionsbewegung gegen „St. Germain“, die sich hier durchaus in der Tradition eines bürgerlichen Republikanismus wähnen konnte, begonnen und endete als großraumimperialistischer Staat an der Seite des nationalsozialistischen Deutschland.

II. Die weltpolitische Konzeption des Nationalsozialismus

Im Gegensatz zum italienischen Faschismus zeichnete den Nationalsozialismus Hitlers von vornherein eine feste außenpolitische Grundkonzeption aus, die sich auf die völkischen Großraum- und Rassen-Theorien gründete. Während der Mussolini-Faschismus sich in seinem Imperialismus-Begriff noch auf nationalstaatliche Kategorien beschränkte, postulierte die nationalsozialistische „Weltanschauung“ nicht mehr die (Staats-) Nationen als weltpolitische Subjekte, sondern die sogenannten „Rassen“; der Staat wurde vom Nationalsozialismus lediglich als Instrument für völkisch-rassische Zwecke interpretiert. In „Mein Kampf“, das nach der Machtübernahme des NS als die „Bibel der Nationalen Revolution“ millionenfache Auflage erreichte und von dem sich die NSDAP niemals distanzierte (3), hebt Hitler den Gegensatz zwischen der Oppositionshaltung der bürgerlichen Parteien gegen das im Versailler Vertrag konstituierte „Unrecht“ und den Vorstellungen seiner Gruppierung, wie folgt, hervor:

„Die Forderung nach Wiederherstellung der Grenzen des Jahres 1914 ist ein politischer Unsinn von Ausmaßen und Folgen, die ihn als Verbrechen erscheinen lassen.“

Denn die Grenzen von 1914 waren, Hitler zufolge, lediglich „Augenblicksgrenzen eines in keinerlei Weise abgeschlossenen politischen Ringens, ja zum Teil Folgen eines Zufallspieles“. (4)

Anstelle eines auf das Zweite Kaiserreich fixierten territorialen Revisionismus beschreibt Hitler den Zweck nationalsozialistischer Außenpolitik als „Erhaltung, Förderung und Ernährung unseres Volkes für die Zukunft“, was nur durch eine massive territoriale Expansion des deutschen Machtbereichs möglich sei. Bereits das Parteiprogramm der „Deutschen Arbeiterpartei“ von 1920 hatte diese Forderung so artikuliert:

„Wir fordern Land und Boden (Kolonien) zur Ernährung unseres Volkes und Ansiedlungen unseres Bevölkerungsüberschusses.“ (5)

Wie Hitler in „Mein Kampf“ ausführte, war das Ziel nationalsozialistischer Expansionspolitik nicht die Errichtung eines überseeischen Kolonialreiches nach bürgerlich-kapitalistischen Maßstäben als eines weltpolitisches Äquivalents zu den Imperien Frankreichs und Großbritanniens, sondern vielmehr die Schaffung eines Kontinentalblocks unter deutscher resp. „arischer“ Diktatur:

„Wir schließen endlich ab die Kolonial- und Handelspolitik der Vorkriegszeit und gehen über zur Bodenpolitik der Zukunft. Wenn wir aber heute in Europa von neuem Grund und Boden reden, können wir in erster Linie nur an Rußland und die ihm untertanen Randstaaten denken.“ (6)

Als unmittelbare historische Vorläufer solcher Großraum-Träume können die Pläne nationalistischer Kreise bereits im Kaiserreich angesehen werden, die 1914 und in den folgenden Jahren teilweise in den Rang offizieller Kriegsziele kamen. So wurde beispielsweise die ökonomische wie politische Zentralisierung Mitteleuropas postuliert. Auch wurde in der OHL und in industriellen Kreisen über einen politischen Anschluß Ost- und Südosteuropas an das Deutsche Reich nachgedacht. Der Alldeutsche Verband indes propagierte eine deutsche Hegemonie über Europa durch militärische Ausschaltung Frankreichs, Großbritanniens und Rußlands als ernstzunehmender Subjekte der europäischen Politik. Allerdings geht die außenpolitische Konzeption der NSDAP weit über die Forderungen deutschnationaler Kreise vor wie nach 1918 hinaus. Qualitativ unterscheidet sich die Zielsetzung Hitlers von denen der traditionellen Nationalisten auch durch die Verknüpfung rasseideologischer und großraumpolitischer Vorstellungen, was sich in der Einschätzung der UdSSR durch Hitler zeigt:

„Das Riesenreich im Osten ist reif zum Zusammenbruch. Und das Ende der Judenherrschaft in Rußland wird auch das Ende Rußlands als Staat sein. Wir sind vom Schicksal ausersehen, Zeugen einer Katastrophe zu werden, die die gewaltigste Bestätigung für die Richtigkeit der völkischen Rassentheorie.“ (7)

Die antibolschewistische Frontstellung einer faschistischen Bewegung koinzidiert mit dem originär nationalsozialistischem Rassen-Mythos, dessen eliminatorisch antislawischer und antisemitischer Gehalt es den Kreisen in Großbritannien und Nordamerika, die mit dem Antibolschewismus der NSDAP prinzipiell sympathisieren, geradezu unmöglich macht, längerfristig mit einem nationalsozialistischen Deutschland zu paktieren.

Der nationalsozialistische Revisionismus, der zunächst, auf das Selbstbestimmungsrecht der Nationen sich berufend, einen großdeutschen Block in Mitteleuropa zu errichten trachtet, läuft den Forderungen der bürgerlichen Rechten gleich. In Kreisen der Reichswehr, des Außenministeriums und der Industrie wird in den ersten Jahren nach der NS-Machtübernahme Hitlers Streben nach Wiederherstellung der deutschen Großmachtstellung in Europa mitgetragen, wobei man darauf hofft, die extremistischen Vorstellungen der NSDAP-Führung, die „Groß-Deutschland“ lediglich als ein Zwischenstadium auf dem Weg zu gesamteuropäischer Hegemonie ansieht, rechtzeitig abdämpfen zu können. Auch die Autarkiebestrebungen der nationalsozialistischen Regierung (die sich hier auf die Versuche des faschistischen Italiens beruft) stehen zeitweilig im Einklang mit den Interessen deutscher Industrieller.

Im Gegensatz auch zu seinen wilhelminischen Vorläufern sah der Nationalsozialismus den Krieg aber nicht nur als eine ultima ratio der Politik, sondern als eine unabdingbare Voraussetzung einer Durchsetzung seiner weitgesteckten weltpolitischen Ziele an. Die „beiden Begriffe Friedens- oder Kriegspolitik“, so Hitler, mußten „sofort in ein Nichts versinken“ (8). Nicht nur die Sowjetunion und die ostmitteleuropäischen Nationen, deren Existenz dem deutschen Expansionismus entgegenstand, wurden als mit dem Weltmachtanspruch des NS unvereinbar betrachtet, sondern auch Frankreich, das Hitler in „Mein Kampf“ als den „unerbittliche[n] Todfeind des deutschen Volkes“ (9) qualifizierte, während der Autor England und Italien für die einzigen Verbündeten nationalsozialistischer Politik in Europa hielt. (10)

Daß die nationalsozialistische Regierung, ungeachtet der zunächst in gewisser Hinsicht gemäßigt erscheinenden Außenpolitik - beispielsweise gegenüber Polen -, die Zielsetzung eines deutschen Kontinentaleuropa keinesfalls zugunsten eines Pragmatismus im konkreten deutschen Interesse aufzugeben bereit ist, dokumentiert sich in der sog. „Hoßbach-Niederschrift“ über eine Besprechung Hitlers mit führenden Generalen sowie dem Reichsminister des Auswärtigen Amtes, von Neurath, die am 5.11.1937 in der Reichskanzlei stattfand. Laut dieser Niederschrift stellte Hitler die NS-Großraumpolitik als konsequente Fortführung der historischen Leistungen Friedrichs II. und Bismarcks dar:

„Zur Lösung der deutschen Frage könne es nur den Weg der Gewalt geben. […] Stelle man an die Spitze der nachfolgenden Ausführungen den Entschluß zur Anwendung von Gewalt unter Risiko, dann bleibe noch die Beantwortung der Fragen ‘wann’ und ‘wie’.“ (11)

In diesem Zusammenhang erklärte Hitler, es sei „sein unabänderlicher Entschluß, spätestens 1943/45 die deutsche Raumfrage zu lösen.“

Ob die Weltmachtansprüche NS-Deutschlands über die Schaffung eines „Großgermanischen Reiches“ innerhalb Kontinentaleuropas hinausgingen, ließ Hitler offen: Über die Notwendigkeit weiterer Expansion zu entscheiden, „müsse nachfolgenden Geschlechtern überlassen werden.“

Das Großraum-Konzept des Hitlerschen Nationalsozialismus, basierend auf der eliminatorischen Rassenideologie, die den slawischen Nationen den Status einer analphabetischen Helotenklasse zuwies und die Vernichtung der Juden sich zum Ziel setzte, beraubte sich von vornherein jeder Legitimität, die einem gemäßigten deutschen Neuordnungs-Versuch unter antibolschewistischem Vorzeichen von der europäischen und nordamerikanischen Rechten womöglich zuerkannt hätte werden können. Die Hitlerschen Hegemonialbestrebungen wichen derart von bisherigen europa- und weltpolitischen Koordinaten ab, daß sie eine zunächst undenkbare Koalition zwischen den westlichen Großmächten und der Stalinschen Sowjetunion hervorzubringen imstande waren. (12)

(1) Martin Blinkhorn: Mussolini und das faschistische Italien, Hrsg.: Tanja Schliebe, Grundwissen Geschichte (Band 1), Decaton, Mainz 1994, S. 52.
(2) Horst Wagenführ (Hrsg.): Benito Mussolini. Der Geist des Faschismus. Ein Quellenwerk (1943), zitiert nach: Johannes Hampel: Der Nationalsozialismus. Friedenspropaganda und Kriegsvorbereitung 1935-1939 (Band II), Hrsg.: Bayerische Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, Isar-Post, München 1989, S. 41.
(3) Vgl.: Fischer Weltgeschichte: Das Zwanzigste Jahrhundert 1918-1945 (Band 34), Hrsg.: R. A. C. Parker, Fischer, Frankfurt a. M. 1967, S. 248.
(4) Zitiert nach: Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945, herausgegeben und kommentiert: Walther Hofer, Fischer-Bücherei, Frankfurt a. M./Hamburg 1957, S. 182.
(5) Johannes Hampel: Der Nationalsozialismus. Machtergreifung und Machtsicherung 1933-1935 (Band I), München 1988, S. 106.
(6) Fischer Weltgeschichte: Das Zwanzigste Jahrhundert 1918-1945 (Band 34), S. 248.
(7) Der Nationalsozialismus. Machtergreifung und Machtsicherung 1933-35 (Band I), S. 107.
(8) Bernd-Jürgen Wendt: Großdeutschland. Außenpolitik und Kriegsvorbereitung des Hitler-Regimes, Deutsche Geschichte der neuesten Zeit, dtv, München 1987, S. 65.
(9) Zitiert nach: Der Nationalsozialismus. Dokumente 1933-1945, S. 176.
(10) Ebenda, S. 177.
(11) Ebenda, S. 194/195.
(12) Vgl: Ernst Nolte: Links und rechts. Über Geschichte und Aktualität einer politischen Alternative, in: Heimo Schwilk, Ulrich Schacht (Hrsg.): Die selbstbewußte Nation. „Anschwellender Bocksgesang“ und weitere Beiträge zu einer deutschen Debatte, Ullstein, Frankfurt a. M./Berlin 1996, S. 150-154.

3 Kommentare »

  1. Ein wirklich guter Artikel, der genau zeigt, wie wenig “Faschismus” und “Nationalsozialismus” miteinander zu tun haben.

    Der Faschismus der ursprünglichen italienischen Art, ist halt nicht viel mehr als der normale Imperialismus, wie er bis zum Ende der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts gang und gäbe war. Der NS war von Anfang an ein u.a. auf Rassismus und Antisemitismus basierendes Projekt mit der Option auf die Weltherrschaft.

    Wenn wir die Innenpolitik abhandeln würden, erschienen die Unterschiede noch deutlicher. Leider gibt es sehr wenige Quellen und ernsthafte Beschäftigungen mit dem italienischen Faschismus.

    TK

    Kommentar von Campo-News — 22. Juni 2005 @ 08:29

  2. Einspruch, Tanja, auch wenn ich mit der Begriffs- und Bedeutungstrennung voll einverstanden bin: Harmlos war auch der italienische Faschismus nicht, vom sog. “Imperialismus” ganz zu schweigen. Letzterer ist aber ein anderes Thema, und seine geschichtsverlorenen Gegner, die sog. “Antiimps”, ein übler Haufen, dem man auch locker Rassismus und erst recht Antisemitismus nachweisen kann.
    Wenn man einmal von der, wie du zu Recht sagst, spärlichen Literatur über den italienischen Faschisus absieht, so gibt es da doch diesen Film, “1940″, der ist aber zu lang für die meisten Fastfood-Adepten, dort wird schon einiges gezeigt, wie sich der italienische Faschismus auswirkte. Nicht gerade empfehlenswert (Der Faschismus, nicht der Film).

    Kommentar von hegelxx — 29. Juni 2005 @ 13:34

  3. Am 11. Januar 1923 in Witten an der Ruhr geboren, war Nolte in der NS-Zeit aufgewachsen. Wegen Untauglichkeit vom Wehrdienst befreit, nahm er nicht als Soldat am Zweiten Weltkrieg teil. Stattdessen besuchte er nach dem Abitur die Universitäten Münster, Berlin und Freiburg im Breisgau, um Philosophie, Griechisch und Germanistik zu studieren. Unter seinen akademischen Lehrern hatten vor allem Nicolai Hartmann und Martin Heidegger großen Eindruck auf ihn gemacht.

    Nach Kriegsende kehrte er noch einmal an die Hochschule zurück und promovierte 1952 in Freiburg mit einer Dissertation über die „Selbstentfremdung und Dialektik im Deutschen Idealismus und bei Marx“. Die frühe und intensive Beschäftigung mit Marx hat in gewissem Maße auch die Sichtweisen bestimmt, die Nolte für sein Buch „Der Faschismus in seiner Epoche – Action Française, Italienischer Faschismus, Nationalsozialismus“ (1963) entwickelte. Das erklärt weiter, warum die Arbeit überwiegend als „linke“ Interpretation des Faschismus verstanden wurde. Eine Einschätzung, der Nolte zuerst nicht widersprach, obwohl man ihn, was seine weltanschauliche Position betraf, besser als reformbereiten Liberalen betrachtet hätte.

    Außergewöhnliche Produktivität

    „Der Faschismus in seiner Epoche“ wurde kurz nach der Publikation von der Universität Köln als Habilitationsschrift angenommen. Nolte quittierte daraufhin den Schuldienst, in dem er seit 1953 tätig gewesen war, und übernahm 1965 einen Lehrstuhl für Neuere Geschichte in Marburg an der Lahn, 1973 wechselte er an die Freie Universität Berlin. Nolte hat in den beiden Jahrzehnten bis zu seiner Emeritierung keine „Schule“ gebildet und sich erst recht nicht an den Strippenziehereien des akademischen Betriebs beteiligt.

    Das erklärt wahrscheinlich auch einen Teil seiner außergewöhnlichen Produktivität, der wir ein reiches Spätwerk verdanken. Unter den mehr als zwanzig Titeln sei wenigstens das leider vielfach übergangene Buch „Marxismus und Industrielle Revolution“ (1983) genannt, dann seine Darlegung zur eigenen Position im „Historikerstreit“, die unter dem Titel „Der Europäische Bürgerkrieg“ (1987) in mehreren Auflagen erschien, der eher theoretisch orientierte Band „Historische Existenz“ (1998) und seine Auseinandersetzung mit dem Islamismus „Die dritte radikale Widerstandsbewegung“ (2009). https://jungefreiheit.de/kultur/2016/historiker-philosoph-geschichtsdenker/

    Kommentar von Campo-News — 18. August 2016 @ 15:57

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