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28. Juni 2005

Andalusien, Marokko und Gibraltar: Wo sich Europa und Afrika berühren - Teil II

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 15:27

Von Tanja Krienen

Teil III

Dunst liegt über dem Wasser. Beinahe mystisch sieht es aus, da die Ausläufer des afrikanischen Rifgebirges durch den Nebel über der Küste schimmern. Doch die Motoren der unzähligen Windnutzungsmaschinen zersirren jegliches Versinken in den Augenblick. Ohne diese drangsalierenden Riesenapparate mit ins Panorama zu nehmen, ist ein Foto kaum zu erstellen. Öko-Unbewusstsein als Touristen – und Naturdestruktion.


Am südlichsten Punkt Europas, der Straße von Gibraltar: Blick von Europa nach Afrika an der schmalsten Stelle, 14km voneinander entfernt

Von Tarifa aus lockt das Abenteuer, größer noch als das kalkulierte Risiko des Surfens. Es geht mit dem Boot hinaus. Wale und Delfine können besichtigt werden. Wer Zeit hat, sollte dies tun, wer weniger Zeit mitbringt, muss sich mit einem Trip nach Afrika, genau gesagt: nach Tanger in Marokko, begnügen.

Tanger in Marokko

„Road to morocco“ sangen Bob Hope und Bing Crosby 1944 im Duett; Doris Day und James Stewart mussten in „Der Mann, der zuviel wusste“, auch dort in Marokko ihr besonderes Abenteuer bestehen, welches Stan Laurel und Oliver Hardy in „Sons of the desert (Wüstensöhne) nur vortäuschten, Humprey Bogart in „Casablanca“ bestand, und die Marx Brothers in „A Night in Casablanca“ mit Witz inszenierten.

Auf dem Seeweg sollte die Überfahrt nur 35 Minuten dauern – knapp 60 Minuten sind es dann real. 49,50 Euro kostet die Überfahrt inklusive einer Stadtführung per pedes, einer Besichtigung mit dem Bus und ein Mittagessen. Für ein Tagesvisum reicht der Personalausweis.

Die heute mehr als 600 000 Einwohner zählende Küstenstadt Tanger, kann auf eine sehr wechselvolle Geschichte zurück blicken. Erst 1956 wurde die Stadt endgültig in den Staat Marokko wiedereingegliedert. Der Ort gilt als gefährliches Pflaster. Nach dem Sonnenuntergang ist ein Besuch der Altstadt, der Kasbah, nicht empfehlenswert. „Ist Tanger eine Terroristenfabrik?“ titelte „Le Monde“ im vergangenen Jahr. Fünf der Al-Quaida-Attentäter vom 11. März 2004 in Madrid stammen aus Tanger, sind aufgewachsen in der Enge des Gassen-Labyrinths. Bisweilen sind die Wege schulterschmal. Die breiten Boulevards der Welt da draußen, bleiben oft fremd, so fremd, wie uns das Treiben hier vor Ort. Doch wir bleiben freundlich. An Verkaufsständen vorbei geht es durch die Altstadt. Frauen finden nicht statt, sieht man von einer handvoll Obstverkäuferinnen ab. Ein paar Mädchen tauchen ab und zu auf – und wieder schnell weg. Viele der Frauen sind nur zu erahnen, weil lediglich die Nasenspitze unverhüllt zu sehen ist. Was, wenn es die Osamas wäre? Verzichtbare Travestie.

Die Kasbah

Der Handel in der Kasbah ist in männlicher Hand. Die Jungen werden oftmals schon mit kaum zehn Jahren in das geschäftliche Treiben eingeführt. Ihre Mandelaugen sind ein großes Faustpfand, ein Verkaufselement, dem man sich schwer entziehen kann.



Straßenszenen aus der Kasbah

„Ju happie!? Yess!? Gutt!“ säuseln die Stimmen der Männer und: „S´il vous plait, Mademoiselle! Bueno Senora! Comprar. Muy barato. Muy barato. Efrising is gutt!“ „Non, Merci beaucoup, Monsieur“ - mit dem wenigen Französisch ist die Hoffnung verbunden, die Händler endlich abwimmeln zu können. Wenn man partout nichts weiter verstehen will, antwortet man in einer der Sprachen, mit der man nicht angesprochen wird. Aber die Hoffnung ist vergebens. Ein paar Brocken Verkaufs-Englisch oder Spanisch sprechen sie hier fast alle. Der durchschnittliche Afrikaner beherrscht mehr Sprachen, zumindest rudimentär, als der gewöhnliche Deutsche, der schon mit der eigenen genügend Probleme hat. Der mitgebuchte Reiseführer ist ebenfalls vielsprachig – deutsch jedoch gehört nicht zu seinem Repertoire.

Unsere Gruppe ist international und setzt sich aus vielerlei Nationen zusammen: Argentinien, Italien, USA, Spanien, Deutschland, Schweden, Frankreich. Als ein Besuch in einem Teppichhaus ansteht und der Chef fragt, aus welchen Ländern die Gäste stammen, sagt der Amerikaner „Russia“. Der Marokkaner lächelt ein wenig ungläubig und fragt nach, ob das stimme. Der Ami lacht breit. Der Marokkaner begreift und lacht auch. Der Teppichhändler und der amerikanische Tourist haben ein gemeinsames Objekt gefunden, über das sie abstrakt etwas lästern können. Die Stimmung könnte besser nicht sein. Spontane Entführungen finden hier heute bestimmt nicht statt.

Schlangenbeschwörer und Kameltreiber

Bei den Schlangenbeschwörern („Keine Angst, die beißen nicht“), ermuntert der Reiseführer dazu, auch einmal das Gefühl eines warmen Schlangenleibes um den Hals zu spüren. Dankend lehnen die meisten Leute ab.


Schlangenbeschwörer

Da erfordert der anschließende und sehr interessante Besuch eines Heilkräuterhauses schon weniger Mut. Nun steht das Mittagessen auf dem Programm. Die Getränke seien jedoch nicht im Preis inbegriffen offenbart man nun. Ein Vier-Gänge-Menü, Suppe, Fleischspieße, Couscous mit Hühnchen, Süßgebäck, dazu Tee – eine rundum leckere Veranstaltung. Marokkanische Live-Musik setzt ein, Bauchtänzerin inklusive. Aber alles im Original und besser als Bill Ramseys einstige „Zuckerpuppe aus der Bauchtanzgruppe, von der ganz Marokko spricht“, und über die sich der Vordere und Hintere Orient zu staunen traute. Anschließend geht es noch einmal hinaus und durch einen Teil der Kasbah. Den bisweilen aggressiven Verkaufsmethoden will hier ein letztes Mal widerstanden sein. Es heißt aber jetzt Abschied nehmen von der Altstadt. Ein vorletzter Kauf einer Trommel bei einem besonders mandeläugigen Jungen. Unmittelbar vor dem Bus, der zur Durchquerung der Neustadt wartet, lockt ein Fez als letztes Erinnerungsstück. Atatürk möge verzeihen – er hatte das Bekleidungsstück seinerzeit in der Türkei zum Delikt erhoben.

Der neue Teil der Stadt trägt auch europäische Züge, sogar christliche Kirchen gibt es hier. Erstaunen lösen die vielen Villen in den Randbezirken der Stadt aus, man wähnt sich in Spanien. Dieser Trug fällt sofort ab, als eine Gruppe von Kamelen in Sichtweite geraten. Wieder eine touristische Attraktion, die ganz nebenbei geschickt in das Programm eingearbeitet ist. „Marokkanische Kamele sind ganz besonders friedlich“, empfiehlt der Reiseführer die heimische Fauna. Die Kameltreiber grinsen freundlich dazu. Ein kurzer Ritt kostet nicht die Welt.


Kamele runden den Ausflug ab

Dies war das letzte Highlight, der Bus schlug die Richtung zum Hafen ein, der direkt unterhalb der Altstadt liegt. 1905 war auch einmal Kaiser Wilhelm II hier. Danach gab es eine Menge diplomatischen Flurschaden. Nicht weil der Deutsche mit einem Araberhengst durch die Altstadt ritt, sondern weil er die Franzosen mit dem Versprechen einer marokkanischen Unabhängigkeit herausforderte.

Die Pop-Literaten der Beat-Generation

Viele internationale Schriftsteller, besonders US-Amerikaner, haben übrigens zeitweise in Tanger gelebt, vor allem die so genannten Pop-Literaten, der „Beat-Generation“: Paul Bowles, Tennessee Williams, Truman Capote, William S. Burroughs Allen Ginsberg, Samuel Beckett, aber auch André Gide. Nur einer der Genannten war nicht schwul. Ihre Vorliebe für junge hübsche Männer führte sie wohl nicht zufällig in das damals relativ liberale Tanger. Mandelaugen waren es wohl - in ihrer schönsten Form. Dennoch hielt Burroughs sie mit all seiner Hassliebe für „…nichts weiter als eine Bande von tratschenden, geschwätzigen, einfältigen, stinkfaulen Erdenbürgern.“


Ein letzter Blick über den Hafen von Tanger auf das europäische Festland

Zurück geht es nach Europa, der nächste Höhepunkt folgt: Gibraltar. Ein 6,5 qkm kleines Fleckchen am Ende des Kontinents, das zudem beinahe zur Hälfte aus einem bis zu 426 Meter steil aufsteigenden Felsen – „The Rock“ – besteht.

In wenigen Tagen folgt der dritte und letzte Teil.

1 Kommentar »

  1. In meiner Facebook-Timeline tauchte vor kurzem ein Foto auf: eine Szene aus Marokkos Hauptstadt Rabat, aufgenommen irgendwann in den Siebzigern. Ein Mann und eine Frau gehen Hand in Hand die Straße entlang. Er im gut sitzenden Anzug, sie in einem kurzen bunten Kleid; sie flanieren auf der Straße, die jetzt die Avenue Mohammed V ist. Das Bild kam mir so bekannt vor, dass ich zweimal hinsehen musste, um sicher zu sein, dass es kein Foto aus einem der Alben meiner Eltern war.

    Letzten Sommer habe ich die alten Bilder durchgeblättert. Es war, als ob ich eine Fantasiewelt betrat, in der meine Eltern eine besondere Rolle als marokkanische Über-Hipster hatten; im Gegensatz zu den Strenggläubigen, die sie jetzt sind.

    Mein Vater war ein attraktiver Mann. Er trug eine Nerdbrille mit dickem Gestell, so schwarz wie sein mächtiger Schnurrbart. Als junger Mann arbeitete er in verschiedenen Kneipen oder, wie er das selber gepflegt nennt: Cabarets. Von den Cabarets erzählt er nur, wenn wir in Marokko sind und ihn die Erinnerungen an früher überfallen. Er kann dann wunderbar davon erzählen, wie es war, im französisch besetzten Marokko aufzuwachsen. http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/marokko-die-frau-ist-kein-selbststaendiges-wesen-a-1076170.html Wenn ich in Marokko Urlaub mache, muss ich mich an den ersten Tagen immer wieder neu einleben. Mich gewöhnen an das laute Gezische, das ich höre, auch wenn ich nur eben Brot beim Laden um die Ecke holen will, kaum 50 Meter von meinem Elternhaus entfernt. Ich kenne marokkanisch-niederländische Frauen, die im Urlaub einen falschen Ehering tragen, um Männern zu entgehen, denen es problemlos gelingt, einen Shoppingtrip auf den Markt in einen Schnellkurs über sexuelle Nötigung zu verwandeln.

    Die Frau ist in Marokko kein selbstständiges Wesen, sie ist Eigentum. Nur diejenige, die bereits unter die Gewalt eines anderen Mannes fällt, entkommt dem einigermaßen. Wie oft habe ich in Läden flüchten müssen, um gierigen Händen zu entkommen. Und dann muss man noch hoffen, dass der Ladenbesitzer kein schmieriger Kerl mit klebrigen Händen ist. Mir bricht noch der Angstschweiß aus, wenn ich daran denke, wie ich mich einmal mit einer blonden Freundin in den engen Gässchen von Marrakesch verirrte, weil wir vor dem x-ten Mistkerl das Weite gesucht hatten.

    Auch in Marokko ist es nur ein kleiner Prozentsatz der Männer, der sich daran schuldig macht, Frauen auf verschiedenerlei Weise zu belästigen. Aber diese Männer haben freies Spiel. Genau wie nicht jeder Fußballfan ein Hooligan ist, ist nicht jeder Mann ein Sexualtäter. Aber wenn dagegen nicht eingeschritten wird, wird es ziemlich schwierig, zu unterscheiden.

    http://www.spiegel.de/politik/ausland/fluechtlinge-marokko-ist-das-neue-tor-nach-europa-a-1222630.html

    Kommentar von Campo-News — 3. März 2016 @ 13:55

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