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4. Januar 2010

“Nein, es gibt eine.” Gesellschaftlicher Zerfall

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 12:10

Part 4


Dieser Beitrag ist der mutigen Erzieherin Ivana Trump gewidmet.

Siehe auch

 

Der unwirtliche Bahnhof von Brilon-Wald 

 

„Nu sagense mal: Was war denn eigentlich an der DDR so schlimm?!“

 

Straßenbahnfahrt 

 

Und es begab sich also am Samstag den 2. Januar, als ich im kleinen Städtchen Wolfhagen - wo einst die große weise Bischöf/In Käßmann erleuchtend wirkte - in einen Zug stieg um nach Kassel zu gelangen, sogleich das entsetzlich säkular Verlangen nach einem Toilettengang verspürte, doch vor verschlossenen Türen stand.

 

„Toilette außer Betrieb“. „Vermutlich festgefroren und die Idioten bekommen sie nicht flott“, murmelte mein Begleiter, der extrem gütige KHF, mit der ihm eigenen, sauerländischen Gelassenheit. So kämpfte ich mich bis zum Lokführer vor und hob ob der Klärung des Sachverhaltes an. (Man muss noch wissen, dass der Zug hier immer drei Minuten hält, da er auf den Gegenzug aus Kassel wartet. Ferner muss man wissen, dass ich eigentlich eine sehr zurückhaltende, äußerst scheue, geradezu unsichtbare Zeitgenossin bin, wie es nur selten eine gibt.)

 

„Guten Tach. Gibt es keine Toilette hier im Zug?“

(Der Lokführer liest die BILD-Zeitung; sieht aus einer Mischung aus Verachtung und Missgestimmtheit mit leicht zu mir gedrehtem Kopf auf und raunt in das erstaunlicherweise vom Eise befreite linke Fenster):

„Wieso? Es gibt doch eine. Die ist nur defekt.“

„Ja, das habe ich gesehen. Es gibt also keine Toilette hier im Zug?!“

„Nein, es gibt eine, die ist nur defekt.“

„Also gibt es keine!“

„Doch, es gibt eine. Die ist defekt.“

(Er wendet sich wieder der BILD-Zeitung zu.)

Ich drehe ab. Komme aber nach zwei oder drei Schritten noch mal zurück:

„Früher hätte man sich zumindest noch entschuldigt!“

„Warum?“

„Früher hätte man gesagt: Es tut mir leid, aber aus diesen oder jenen Gründen ist die Toilette außer Betrieb. Entschuldigen Sie bitte.“

Keine Antwort. Er vertieft sich ins Blatt „aus dem jeden Tag frisches Menschenblut trieft“, wie Hannes Wader einmal treffend bemerkte.

Schobert und Black sangen einst in einem Lied:

„Schon oft hatte ich mir vorgenommen: Steh auf und zerschlag die Tür

Doch nach dreizehn langen Schülerjahren ist man wohl zu gebildet dafür.“

Auch ich bin es, jedenfalls soweit, um nicht einfach drauflos zu pullern, auch wenn es als Erziehungs-Maßnahme passend wäre.

10 Kommentare »

  1. So sind sie.

    Kommentar von Campo-News — 2. April 2010 @ 16:52

  2. SO GEHT ES IN DEN ZÃœGEN ZU; NUR DIE “LIBERALEN” WOLLEN DAS NICHT SEHEN:

    Kommentar von Campo-News — 26. Juli 2010 @ 19:34

  3. Leider war ich sehr in Eile und hatte keine Zeit, die Polizei zu rufen. Aber was hätte ich denen auch erzählen sollen- der Exhibitionismus ist in Berlin sehr verbreitet, niemand regt sich groß über solche Zwischenfälle auf.

    Kommentar von Campo-News — 28. August 2010 @ 08:30

  4. Ja, es gibt kaum welche, die… “„Weil keine Leute da sind, die Wert darauf legen.“

    Kommentar von Campo-News — 12. Dezember 2010 @ 15:15

  5. Sehr schön - http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/silvis_culture_club_73._ein_berliner_treppenhaus_ist_kein_ponyhof

    Kommentar von Campo-News — 28. November 2014 @ 12:35

  6. http://nblo.gs/12qyyd

    Kommentar von Campo-News — 3. Januar 2015 @ 08:31

  7. http://dietagespresse.com/eintrag-ins-buch-der-rekorde-u6-gilt-jetzt-als-laengste-geisterbahn-der-welt/

    Kommentar von Campo-News — 15. April 2015 @ 07:56

  8. Der Protagonist, Moor, als Alter Ego des Autors leicht zu erkennen, sitzt in einem ICE nach München. Es ist drückend heiß, die Klimaanlage funktioniert nicht. Moor kommt unwillkürlich der Gedanke, „dass der geistige Klimawandel, der sich im Schatten der globalen Erwärmung vollzog, wesentlich bedeutender und folgenreicher sein würde.“ Warum nur weist der Schaffner bei der Fahrkartenkontrolle auf einen Speisesaal und einen Schlafwagen am Ende des Zuges hin? Moor beschließt, diese Bemerkung als einen verfehlten Scherz abzutun.
    Der Zug hält in Ulm. Moor hat nun zwei Mitreisende, einen Mann und eine Frau. Es kommt zu einem kurzen Gespräch, ob man an schicksalhafte Fügungen glaube, dann beschäftigen sich alle drei mit ihrer Reiselektüre. Der Zug nähert sich seinem Ziel. Vor dem Fenster ziehen bereits die üblichen Vorstadtbauten vorbei. „In wenigen Minuten erreichen wir München“, tönt es aus dem Lautsprecher. Doch das geschieht nicht. Der Zug fährt und fährt, München scheint sich verflüchtigt zu haben. Spätestens hier wird die Situation kafkaesk. Die Reisenden wissen nicht, wie ihnen geschieht. Das Zugpersonal gibt keine Auskunft. „Sie fragen mich nach dem Reiseziel? Das klingt so, als wären Sie aus Langeweile in den Zug gestiegen- wahrscheinlich sogar ohne gültige Fahrkarte“, antwortet der Schaffner.
    Je länger die Fahrt dauert, je unklarer die Situation wird, desto unbesorgter erscheinen die Mitreisenden. Das Kollektiv tut so, als wäre alles in Ordnung. Moors männlicher Mitreisender mischt sich sehr bald lieber unter die anderen Reisenden, die unbesorgt weiter fahren, als hätten sie ganz vergessen, dass sie mal ein Ziel hatten, als Moors Betrachtungen, warum der Zug München nicht erreiche, weiter zu ertragen.
    Nur die Frau ist bereit, ihn bei seinem Versuch zu unterstützen, zu erfahren, was vor sich geht. Es gelingt ihnen nicht. Am Ende haben die beiden nur die Wahl, sich ihrem ungewissen Schicksal zu ergeben, oder es in die eigenen Hände zu nehmen. Sie entschließen sich, als der Zug kurzzeitig sein Tempo verringert, abzuspringen. Sie erlangen ihre Freiheit wieder. http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/die_letzte_fahrt

    Kommentar von Campo-News — 13. August 2015 @ 16:38

  9. http://ps.welt.de/2016/01/14/nur-im-auto-sind-wir-frei/

    Kommentar von Campo-News — 16. Januar 2016 @ 14:04

  10. http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/deutsche-bahn-wie-ich-im-zug-zum-kleinkriminellen-wurde-a-1107999.html

    Kommentar von Campo-News — 17. August 2016 @ 13:11

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