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2. Juni 2009

Der unwirtliche Bahnhof von Brilon-Wald

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 15:54

(und die Schwestern vom Orden der „Unbeschuhten Karmelittinnen“ der Pius Bruderschaft)

Fotos im Anhang


Auf den Höhen des Sauerlandes pfeift der Wind gern und oft bitterkalt

Doch die kältesten Kälten die klirren dort droben in Brilon-Wald

„Schau da steht“, sagt der trunkene Alte nach dem dritten Liter

„Halb verborgen das Haus der „Unbeschuhten Karmeliter“

Liegt auch dieses nicht weit - zwei Katzensprünge - von hier

Sah noch niemals ein Sterblicher hinter die Tür

Auch Pater Klaus Wodsack warf noch nie einen Blick

In das heiligste Heiligtum des besonderen Frauen-Glück

Jenen Stuben des Häuschen in Brilon-Wald - ganz am Rand

Wohin sich sechs tapfere Frauen selber verbannt

Und mit paar Hundert trippelnden Trippelschritten

Sind am Bahnhof in circa sieben Minitten

 

Es ist bitterkalt

In Brilon-Wald

 

Es kann Gottes Wille partout nicht sein -

Dass die Bahnstation, kümmerlich und klein,

Verrottet, zerschlagen, die Scheiben zerpresst

Am Ende der Welt - letzten Endes als Rest,

So seit 100 Jahren zwischen den Stürmen,

Schneewehen, Glatt-Eisen und stählernen Türmen

Ohn´ dass eine menschliche Hand sich hier rührt

Und kein Hammerschlag, nicht mal ein Pinsel geführt

(Auch die Schwestern bleiben total ungerührt

Weil sie niemals ´nen schmutzigen Pinsel berührt) -

So zerfällt, dass die Falken und Krähen klagen: „Oh nee!

Weiß sie was hier passiert, diese Bahn-AG?“

 

Es bleibt bitterkalt

Dort in Brilon-Wald

 

Die Bremsen quietschen - der Zug rattert ein

Die Türen öffnen: das kann doch nicht sein!?

Skihüttenstürmer mit viel Flaschen Bier

Grölt wälzt sich und stampft hier als Massen-Tier

Aus Holland sie kommen und dem Revier

(Ihre Lieder sind nicht grad das „Heil´ge Brevier“)

Sie wollen nach Hessen, das ist ihr Zweck

Und haben den Frohsinn mit im Gepäck

Doch weil dieser Bahnhof kein WC nicht kennt

Sind die Wege zum Bahnsteig sehr oft überschwemmt

Denn der Willi, der zweimal in Willingen nächtigt

Amüsiert sich mit Blaster und Bier extrem prächtig

 

Es ist immer noch äußerst kalt

Hier in Brilon, am dunklen Wald

 

Wer von Bahnsteig zu Bahnsteig durch die Gänge geht

Inmitten von stinkenden Lachen steht

Keine Putzfrau nie sah die hier aufgeräumt

Einen Frühlingsduft fröhlich und kräftig aufschäumt

Die den beißenden Dreck, den Kloakenduft

Der hier wabert wie in der modernden Gruft

Wegschafft wie den Eisenbahn-Chef Zweitausendneun:

Nein, hier gibt es rein nichts, um sich zu erfreun´

Keine Cola, kein Brot, keine Pommes, kein Kuchen

Den Reisekomfort, den musst du hier suchen.

Schleimhäute zerfetzen, das Hirn brodelt kalt

Und signalisiert: Du bist in Brilon-Wald!

 

Es wird mehr und mehr bittrer und bleibt bitterkalt

Dort in Brilon, genauer: in Brilon-Wald

 

Und nun stellt Euch mal vor, es wär Uffzig vor Clock

Eine Schwester karmelittert im langen Rock´-

Und möchte noch rasch nach Olsberg fahren

- Nein, nicht nach dem Ölberg – mit langen Haaren

Doch stets ohne Schuh, denn ihr wisst ja sie ist:

Eine von jenen unbeschuhten Karmelists

Dann betet mal kräftig, dass sie es schafft

(Mit geistiger Hilfe der Pius-Bruderschaft)

Und schwebt über den Wassern in den feuchten Gängen

Wo sich schon die Ratten aneinander zwängen

Erreicht naserümpfend den rettenden Steig

Mein Gott, unbeschuht sein ist wirklich nicht leicht

 

Nun wird es nur noch finstrer und kälter als kalt

Dort in Brilon am Wald, im eisigen Wald

 

Deutsche Alltagskultur kann man staunend besehn

Hier wo zufällig diese paar Häuser stehn

Woran sich die Straße schlafmützig schlängelt

Und ab und zu auch ein Raser frech drängelt

Dort steht plötzlich der Bahnhof den niemand beschützt

Und nur ein paar Menschen dann und wann nützt

Aber Wanderer kommst du nach Brilon-Wald

Geh schneller und schneller: mach ja keinen Halt

Such Dir einen anderen Platz für die Rast

Und schreibe der Bahn-AG dass du sie hasst!

Doch verschonet die Schwestern, gedenkt ihnen leise

Der einen auf diese, der auf andere Weise

 

Schon wird es ein wenig wärmer dort droben in Brilon-Wald

Und es ist nicht mehr gar so garstig, so sehr garstig kalt

 

Die Autorin ist unter der Mailadresse mail@tanjakrienen.de zu erreichen

Bitte protestieren auch Sie mit einer Mail an die Bahn wegen der Zustände auf und um den Bahnhof Brilon-Wald: reiseportal@bahn.de

 

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7 Kommentare »

  1. Und hier ist der “trunkene Alte” in seinem Element.

    Kommentar von Tanja Krienen — 4. Juni 2009 @ 13:39

  2. Frankreich, Sommer 1794. Sechzehn Nonnen aus dem strengen Karmelitinnenorden werden zum Schafott geführt. Während der Hinrichtung singen sie gemeinsam das »Salve Regina«. Ihr Vergehen: Verschwörung gegen die Staatsgewalt. – Es ist eine blutrünstige Begebenheit aus der Schreckenszeit der Französischen Revolution, die Gertrud von le Fort zur Vorlage ihrer Novelle »Die Letzte am Schafott« wählte. Doch im Mittelpunkt steht bei le Fort eine frei erfundene Figur. Blanche ist eine junge Adlige, die von tiefer Lebensangst erfüllt ist. Aus Angst tritt sie ins Kloster ein, aus Angst entflieht sie ihm wieder. Erst bei der Hinrichtung ihrer Schwestern findet sie die Kraft, um ihre Angst zu überwinden: Als die letzte Nonne geköpft wird, singt sie stellvertretend den Choral zu Ende – ein tragischer Triumph, den sie mit dem Leben bezahlt.

    Kommentar von Campo-News — 9. Juli 2009 @ 17:47

  3. Ein schöner Text -

    “Hätten meine Eltern mich nicht nach einundzwanzig Tagen aus diesem
    Ort weggetragen, säße ich jetzt irgendwo in Brilon-Wald nachts auf
    dem Dach meines Eigenheims und würde schreien oder mit Steinen
    schmeißen.”

    Kommentar von Campo-News — 23. August 2009 @ 10:13

  4. Von Brilon nach Korbach.Ein “Einzelschicksal”.

    Kommentar von Campo-News — 27. August 2009 @ 06:45

  5. Nur, es war leider fast überall so bis in die 60er Jahre - auch in “öffentlichen Einrichtungen” der Kommunen.

    Kommentar von Campo-News — 22. Februar 2010 @ 13:17

  6. Es tut sich was! Oder auch nicht…

    Kommentar von Campo-News — 23. Februar 2011 @ 12:27

  7. http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/statt_bahn

    Kommentar von Campo-News — 22. Mai 2015 @ 06:23

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