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7. Juni 2005

Kennen Sie Colostrum?

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 10:13

Seit ich 48 bin, befinde ich mich permanent auf dem Gerontologietrip. Dadurch erfuhr ich aber jetzt von der Existenz des Stoffes Colostrum, welcher „das wertvollste Nahrungsmittel von MUTTER NATUR“ sein soll. Doch davon später und vor allem, warum das „Muh“ der Kuh dazu, eigentlich „Du darfst“ meint.

Aber es begann damit, dass ich in einer Zeitung die Anzeige für einen auf alt getrimmten Schallplattenspieler sah, der, so stellte man in Aussicht, die Einstellung „78“ besitzen und damit die Möglichkeit für mich eröffnen sollte, endlich seit den 80er Jahren, genauer, nach dem Tode meiner Großmutter (die einen alten Plattenspieler mit solcherlei Optionen besaß), wieder einmal meine alten Schellack-Platten hören zu können.

Und tatsächlich: Das schöne, aber preiswerte Gerät, das ungefähr so aussieht wie ein Plattenspieler mit Lautsprecher aus dem Jahrgang „49“ (ohne Schrank), kam ins Haus und stellte sich im alten, umgebauten Pferdestall-Büro auch gleich vortrefflich in Positur. Apropos Jahrgang „49“. Sogleich nahm ich die alte Ernst Busch - Platte mit der Hanns Eisler Komposition zur Hand, legte sie auf und es machte:
Rrrrittztzrrrriztritzrrrrittz
Düdelidüdüdelidüdüdülidütirili (die berühmten Eisler-Phantasien mittels Blasinstrument)

„Go home Ami, Ami go home!
Spalte für den Frieden dein Atom!
Sag‘ “good bye” dem Vater Rhein,
rühr‘ nicht an sein Töchterlein,
Loreley, solang du singst wird Deutschland sein!

Go home Ami, Ami go home!
laß’ in Ruh’ den deutschen Strom,
denn für deinen “way of life”
kriegst du uns ja doch nicht reif.
Gruß von Lorchen “bon plaisier”, der Kamm bleibt hier.“

Nun, der Text hätte auch 1944/45 gesungen werden können, oder erst 2005 – für den „Way of life“ werden, wollen und können die Deutschen wohl auch in weiteren 2005 Jahren nicht reif sein. Die B-Seite zieht dann alle Register derjenigen Subversivität, die kurze Zeit vorher Eisler und Brecht noch vor dem Untersuchungsausschuss McCarthys leugneten.
An Eisler: „Sind oder waren Sie Kommunist?“
„Ich bin jetzt kein Kommunist. 1926 beantragte ich die Aufnahme in die deutsche KP. Aber ich fand schnell heraus –sehr schnell –dass meine künstlerische Tätigkeit nicht zu
vereinbaren wäre mit irgendeiner politischen Partei. So schied ich aus.“
„Also sind sie beigetreten?“
„Es war nur eine Anwartschaft.“
„Sie sind also beigetreten?“
„Ich beantragte es. Vielleicht war ich kurz…es ist so….Man beantragt und bekommt Antwort.“
„Die Frage ist doch einfach: Sind sie Mitglied der KP?“
„Ich war kein echtes Mitglied. Ich habe meine Beiträge nicht bezahlt. Ich war nicht richtig
in der KP.“

Dabei fängt „In allen Sprachen“ so hübsch an:

„Die Sonne schickt der Erde Wärme zu und Licht
Macht da ´ne Negerhaut und dort ein Bleichgesicht
Ob du am Kongo, an der Elbe
Eines bleibt dasselbe
Blut ist rot und das verfärbt sich nicht.
In allen Sprachen liebt man auf der Welt
In allen Sprachen hasst man auf der Welt
In allen Sprachen hasst man, liebt man, - hängt man an der Welt“

Hm, soweit ja ganz ok.

Die Besetzung der guten und der bösen Begriffe, transportiert mit eben jener Sprache, funktioniert dann prächtig. Denn, wo das Unrecht herrscht
„Da gibt es wenig happy happy days“
Denn, wo englisch gesprochen wird, ist dort „wo nicht das Volk für sich den Ackergrund bestellt“, anders als da, wo russisch gesprochen wird, denn dort ist es „sehr gut“. Da da!
„Dann singen alle otschen, he he otschen, he he otschen karascho
Und das will heißen schöner, he he besser, he he glücklich ist die Welt“

Zwischenruf: „Colostrum! Was ist nun aber mit Colostrum?“
Gemach.

Dieser Politkram, sagte ich mir, ist doch nicht so ganz das Wahre für einen nostalgischen Abend, dämpfte also das Licht, beförderte etwas vom roten Wein aus der Flasche ins Glas, stellte das alte Bild Konrad Adenauers auf (die KPD VOR ihrem Verbot, bzw. DESHALB: “Zur Durchführung der Befehle der ausländischen und deutschen Imperialisten geht das Adenauer-Regime, das in zunehmendem Maße an Einfluß im Volk verliert, immer mehr zu terroristischen Methoden über. Das Instrument, mit dem die amerikanischen und deutschen Imperialisten ihre Kriegspläne durchzusetzen versuchen, ist das Adenauer-Regime. Dieses ist daher ein Regime des nationalen Verrates, der Ausbeutung und Unterdrückung, des Krieges und des Elends. Der Sturz des Bonner Adenauer-Regimes ist somit die Voraussetzung für die Wiederherstellung der Einheit Deutschlands.“) und legte als erste die Platte „Kathrein“ auf:

Wieder ritzratztssss, dann macht es plötzlich aus der Kulisse „Kuckuck“, hebt dann aber doch noch an

„Kathrein, Kathrein
Hieß des Müllers-Töcherlein
Sie war wie Milch und Blut
Vom Glück zu Zwein
Träumt sie still im Kämmerlein
Wie´s jedes Mädchen tut
Kuckuck, Kuckuck
Aus dem einsamen Haus
Schaut ein Blondkopf raus
Wann kommt die erwartete Stunde
Da kam ein junger Müllerbursch im Herbst vorbei
Und Hochzeit gab es dann im schönen Mai
Kathrein, Kathrein, Kuckuck“ usw. usf.

So ging es dann sämtlich erstrebendwerte Berufe Berufen durch: nach dem Förster der Jäger, dann der Schäfer und der Köhler, auch der Matrose darf nicht fehlen. Auch ein ausgestorbener Beruf: Der „Papi“. „Spiel ohne Grenzen Camillo Felgen und „Back die Badehose ein“-Conny singen im Duett „Ich heirate Papi“:

„Ich heirate Papi wenn ich mal groß bin
Weil mir mein Papi, ja Papi so gefällt
Cornelia das geht nicht, ich hab doch Mami
Sie ist die Beste, die Beste auf der Welt
Das weiß ich!
Na also!
Doch was ist schon dabei
Die Mami soll ja bleiben dann hast du eben zwei“

Wieder ein Zwischenruf: „Colostrum! Was ist nun aber mit Colostrum? Spannen Sie uns doch nicht immer so auf die Folter, Frau Krienen! Viele Worte um nichts! Typisch! Sagen Sie mal: Wieviele Kommunisten haben Sie heute schon gefrühstückt. Das wollen Sie doch, ja!“

Einen Moment, mein Allerwertester, langsam. Hör zu, von dir ist hier auch gleich die Rede, denn:

Oft ging es in die Ferne: nach Tahiti, Sevilla, Capri, dorthin wo die Palmen grün oder die Zitronen blüh, oder einfach „on the road“:

„Mein Lied und ich wir beide müssen wandern
Wir haben keine Ruhe auf der Welt
Wir müssen fort von einer Stadt zur andern
Wenn es uns auch einmal irgendwo gefällt
Ich weiß dass viele Menschen mich beneiden
Doch oft ist unsere Wanderschaft auch schwer
Auf und ab - kreuz und quer
Und das Heimweh läuft uns immer hinterher

Ein kleines Lied auf allen Wegen
Mehr hab ich nicht ich bin ja nur ein Vagabund
Ich kenn die Welt bei Wind und Regen
Wohin ich komme lockt für mich ein roter Mund
Mir hat das Glück soviel zu geben
Doch wenn am Schönsten ist dann muss ich wieder gehen
Ein weiter Weg ist dieses Leben
Doch überall wohin ich kam, da war es schön
Die Welt ist groß und rund
Ich bin ein Vagabund“

Der Vagabund mit dem Way of life ist selbstverständlich nichts für „Internationalisten“ mit der Betonung auf „national“. Die Adenauerzeit postulierte das Versprechen, welches sich die Adressaten dann auch nahmen: zuerst mit Kurzausflügen in die Sonne, später folgten nicht selten längere Aufenthalte genau dorthin. Ihre Kinder und Enkel bleiben unter dem Pflaumenbaum, in der Nähe des sicheren Kirchturmes, sie sind die Schafe aus Orwells „Animal farm“, die beim Schäfer immer wieder unterkriechen, weil ihnen die Welt da draußen viel zu gefährlich ist.

Ach so, ach ja: Colostrum!

In dem beigelegten Katalog der Produktionsfirma des schönen (Ideen muss man haben) altneuen Plattenspielers (mono, wie schön das es noch so etwas Tolles gibt), entdeckte ich dann eine Werbung, die von dem WDR-Gesundheitscharmeur – nur echt mit dem Halstuch - Prof. Hademar Bankhofer getragen wurde. Er warb darin für den Zusatzstoff Colostrum.

Colostrum wird auch „Erstmilch“ genannt, denn sie ist die Milch eines Säugetieres in den ersten zwei, drei Tagen nach der Geburt. Die Milch soll also sehr viele Nährstoffe besitzen. Aus 10 Litern Milch produziert man 1 Kilo des Produktes „Colomun“ und für 60 Kapseln zahlt der Kunde dann knapp 40 Euro.

Bis dahin könnte man das einfach denen empfehlen, die es zu benötigen glauben. Interessant ist etwas anderes. Die Substanz wird mit der Versicherung angeboten „Selbstverständlich wird zuerst das Kalb versorgt.“

Das lässt schwer aufhorchen. Man stellt sich doch sofort dabei vor, der Bankhofer hadert da mal nur kurz mit ganzen technischen Apparat und sorgt dann dafür, dass die Kälbchen nichts zu essen bekommen, stürzt sich gleich auf die Zitzen der Kuh und saugt alles heraus, was das Tier so hergibt. Unweigerlich erinnert man sich dabei des Spruches von Insterburg und Co:

„Die Kälbchen werden im Sommer geboren
Mit langen Beinen und weichen Ohren
Doch weil die Hausfrau auf Kalbfleisch geil
Zerhackt sie der Fleischer mit Beil“

Doch nein, es wird geradezu beunruhigend wiederholt versichert: „Da eine Kuh aber mehr Colostrum produziert als das Kalb benötigt, ist es für das Tier unbedenklich, den Überschuss zum Wohle des Menschen zu verwenden.“

Das ist doch….“für das Tier unbedenklich“. Schön wie das Tier an uns denkt und das Unbedenklichkeitssiegel herausgibt: „Da Mensch, verwende du den Überschuss. Isch brauch dat nich. Zum Wohle!“

Kennen Sie noch Klaus Wolfermann? Nein? Doch, bestimmt, dass ist der mit den kurzen Hosen und dem Streifen auf der Brust: Speerwurf Olympiasieger 1972! Der sagt: „Ich fühle mich wesentlich vitaler. Dank Colomun fühle mich wieder deutlich gesünder, jünger und fitter.“ Na super. Wirft er wieder über 90 Meter? Ob sich jetzt regelmäßig rasiert, sagt er nicht, aber es ist ihm natürlich alles zu gönnen.

Aber wenn Colostrum hilft, kann man sich ja die Creme gegen Alterflecken für 14,95 Euro sparen. Oder den Verdauungssaft für 17,95. Immerhin. Wenn das nichts ist?! Alt werden ist lustig. Und lehrreich.

Tanja Krienen

4 Kommentare »

  1. Hahaha!

    Ewig haben die Töchter meiner nicht so Nazi Oma (”Kaiser Wilhelm? Der ist doch abgehauen! Und erst dieser Adolf, der haut auch noch ab!”), eine davon meine Mutter, über die “gemeine” Requirierung eines solchen Plattenspielers durch die “amerikanischen Besatzer” gequengelt. Die wollten aber keine genialen Ernst Busch Lieder hören, die Töchter… nur schportlich und fesch ausschauende Nazijünglinge heiraten…

    Was aber “Colostrum” ist, da musste ich auch passen. Klaus Wolfermann kenne ich noch, der hatte auch so einen proto-Kuraniy-Bart, immer rein in die Nutella… mein Kurzer sieht nach dem Verzehr dieser Jubiläumspampe auch immer so aus…

    Kommentar von hegelxx — 7. Juni 2005 @ 15:48

  2. Öh, hast den Busch-Text (Ami go home) GELESEN? Er ist der beste aller Sänger, keine Frage, aber er schrieb bisweilen - ojeoje:

    Roter Wedding, grüßt euch, Genossen
    Haltet die Fäuste bereit
    Haltet dir roten Reihen geschlossen
    Dann ist der Tag nicht mehr weit
    Kämpfen wir als Sozialisten endlich in einer Front (WASG/PDS)

    Links, links, links, links
    Der Kampf wird weiter geführt
    Ein Lump wer kapituliert
    Wir tragen die Wahrheit von Haus zu Haus
    Und jagen die Lüge zum Schornstein hinaus
    Wie Karl Marx es und Lenin gelehrt
    Und schlug auch der Feind unsre Besten tot
    Der Wedding kommt wieder
    Berlin bleibt rot:
    DAMIT DEUTSCHLAND DEN DEUTSCHEN GEHÖRT!

    TK

    Kommentar von Campo-News — 7. Juni 2005 @ 16:28

  3. Das kenne ich auch.

    Tja, nicht nur wir machen Fehler, auch ein Ernst Busch. Die WASG/PDS hätte er aber sicher mit Verachtung bedacht.
    Marx hätte sie alle geohrfeigt, Nietzsche dito.(Letzterer war ja auch kein Marxkritiker, sondern ein Kritiker im Sinne Marxens, wenn es um den Lämmersozialismus ging… Und ein “antideutscher”, *g*)

    Kommentar von hegelxx — 7. Juni 2005 @ 17:14

  4. Selbst die KONKRET fängt an, Nietzsche zu begreifen, - zu seinem 100. Todestag haben sie noch den letzten Unsinn eines Detlef Hartmann verbreitet.

    Dass Busch Biermann an seinem 70. Geburtstag in der tiefsten Verbotsphase einlud, ist ihm anzurechnen - er war halt sehr widerspruchslosvoll, subjektiv ehrlich, im besten Sinne aggressiv (warf Ulbricht sein Parteibuch vor die Füße)
    TK

    Kommentar von Campo-News — 7. Juni 2005 @ 17:36

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