Der neue Blog ist unter http://campodecriptanablog.apps-1and1.net erreichbar




27. Februar 2009

Philipp Poisel oder „Wie eine Taube in ihrem Schlag“

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 09:59


 pp.jpg

„Zu meinem Engel gebetet“, stößt Philipp Poisel in der ersten Zeile des ersten Liedes seiner ersten CD aus und fragt „Wo fängt dein Himmel an“, jenem Himmel, von dem bei ihm oft die Rede ist. So metaphysisch es beginnt, so bilderreich, emotional und sonderbar in einem respektierlichen Sinne, geht es weiter. Philipp Poisel als das größte Talent der deutschen populären Musik auszurufen, muss das Mindeste sein, das nach diesem Einstandsalbum zu proklamieren ist.

 

Er lässt sich den Lebensernst nicht nehmen. Endlich mal wieder einer. Äußerlich dem jungen Max Goldt ähnelnd, stellt er jedoch schwer heterosexuell Texte her, die er – unterlegt durch elektrische Instrumente – durchaus klampfend vorträgt:

„Du wärst das Mädchen mit den sonnengelben Haaren
Und ich der Junge, der an deiner Seite geht
Die Leute würden sich umdreh’n und fragen wer wir waren
Wer wohl der Junge ist, mit dem das schöne Mädchen geht“

 

12 Liedeslieder sind es, die er selbst getextet und arrangiert präsentiert, dabei stimmlich manchmal wie Rio Reiser in seiner kurzen produktiven Zeit abseits der versimpelten und plakativen Epoche klingt.  Als letzter, vielleicht auch wieder als erster Romantiker, gar letzter erster Liedermacher/Liedersänger, gibt er denen die Hoffnung zurück, die den Glauben an den Sinn eines Liedes – ohne die Musik zu vernachlässigen – nicht verloren haben.

 

Ja, es gibt sie wieder: Lieder, die etwas aussagen, vermittelt durch einen Künstler, der keine kalkulierten und toxischen Casting-Schmierenkomödien benötigt. Poisel klingt modern und ist es auch in dem Sinne, dass er keine falsche Gruppensolidarität bedient, wie es einst Politsänger vollzogen. So einer ist er nicht. So etwas bedarf es auch nicht zwangsläufig, um Lieder zu machen, die etwas aus dem Hier und Jetzt erzählen: „Deine Hand an meiner, meine Handschuhe an deinen, deine warmen Wangen, deine Lippen an meinen. Und die Schneeflocken fallen am Seerosenteich“.

 

Seit Till Eulenspiegels Streich, den er einem Bäckermeister spielte, als er diesem tatsächliche Meerkatzen bug, hat man das Wort nicht mehr in einem epischen Werk vernommen. Doch nicht nur Meerkatzen gibt es bei Philipp Poisel auch – ein Bild aus uralter Zeit – Vorhänge, die durchs Abteil flattern und dazu den: „Kopf in deinem Schoß, wie eine Taube in ihrem Schlag. Ich vermiss dich, weil du Heimat und Zuhause bist“. Heimat und zu Hause, für ihn gibt es das noch! Wie eine Taube in ihrem Schlag!

 

„Ich war noch nie bei dir in deiner Stadt am baltischen Meer und du warst noch nie bei mir hier in Stuttgart“, so klar, real und doch poetisch kann ein Lied sein, das nicht klebt, sülzt und schmiert, wie bei anderen „Künstlern“ südlich der Mainlinie mit ihren jammervollen Pseudo-Weisheiten aus der bekoksten Kinderstube. Er scheut auch keine Sequenz  wie „Na, Na, Na, Na, Na, Dam, Dam, Dam, Dam, Dam…“ einzuflechten. Im Gegenteil, gerade dabei trifft er den Punkt im Bauch, der auch Tränen schießen lässt. Leicht, lustig, melancholisch und schön:

„Wir laufen barfuß nach Italien und verkaufen unsere Schuh

Setzen uns an den Straßenrand und hörn den Grillen zu.“

 

Und wenn dich ein Drache fängt dann werd ich dich befrei’n

 

Und wie er singt, „Als gäb´s kein Morgen mehr“, als er „damals im Zirkus“ „sie“ sah und er daraufhin in einer quasi kreisenden Musikkette immer wieder extatisch ausruft: „Ich hab getanzt, ich hab geweint, ich hab geschrie’n vor Glück. Hol’ der Teufel meine Seele ich will zu dir zurück.“ Die großen Gefühle liegen manchmal so nah und er zeigt sie fast beiläufig. Wie schwierig das aber ist, wie genial, diese Einfachheit:

„Wir fahren mit dem Fahrrad hinaus auf’s Erdbeerfeld
Gleich hinter dem alten Bauernhof beginnt die große weite Welt
Unter den Holunderblüten schenke ich dir Wundertüten
Wir tanzen auf den Mauern bis ins Abendrot
Klau’n uns ‘n paar Kirschen, wer braucht schon Abendbrot?
Ich und du
Du und ich und ich und du
Ich und du

Du und ich und ich und du
Wir zwei gehör’n zusammen, es kann gar nicht anders sein
Und wenn dich ein Drache fängt dann werd ich dich befrei’n“

 

Unterhalb des Qualitätsniveau liegt lediglich das viel zu lang geratene „Durch die Nacht“. Schade, dass Philipp Poisel auf seinen Hit „Herr Reimer“ verzichtete, enthält der Song doch die geheiligt schöne Phrase „Herr Reimer war noch niemals auf Mallorca, bald ist er 63, und dann fliegt er hin. Ich hab’ mich nicht getraut ihm zu verraten, wo ich mit 23 Jahren schon überall gewesen bin.“ Doch vielleicht hat er Recht, dieses Lied ist mit seinen politischen Anklängen nicht unbedingt geeignet in den Liederzyklus seiner ersten CD aufgenommen zu werden.

 

Wenn er jetzt noch seine Manierismen herausarbeitet, die vor allem darin bestehen, die Aussprache manchmal ins Unverständliche zu interpretieren (bitte: immer an die Hörer denken!) und somit den Mann, auf dessen Label er veröffentlicht, nämlich auf Herbert Grönemeyer Grönlands Records (die verdienstvollste Leistung seines Lebens), zu überwinden, statt – wenngleich wohl eher unbewusst – nachzuempfinden. Man muss nämlich nicht „Ohren“ hören, wo doch Augen gemeint waren, die sich aber wie „Oogen“ und Artverwandtes anhören. Legt er das ab und werden die Videos auch noch besser, wird er noch größer, als er jetzt schon ist, der wahre Superstar des Jahres  2009: Philipp Poisel: *sing*

„Mit jedem deiner Fehler, mit jedem deiner Fehler,
Mit jedem deiner Fehler lieb’ ich dich mehr.“

 

Man presse diese CD auf Vinyl, das wäre die größte denkbare Auszeichnung! Und: Bitte nicht das Talent, wie Bill Kaulitz, an die hässlichsten aller hässlichen Medien vergeuden.

 

Philipp Poisel, Wo fängt dein Himmel an, hier eine Kostprobe „Ich und du“ -

 

Und wo kann man Philipp Poisel sehen? Na, zum Beispiel im Kulturzelt in Wolfhagen

 pp.jpg

 

 tkpp-2.JPG

4 Kommentare »

  1. Lächelnd bedankte er sich für mein Lob, sein Album sei „das Beste seit Sgt. Pepper“. Hier Bilder vom Konzert in Wolfhagen.

    Autogramm siehe im obigen Beitrag, unten eingestellt

    Und noch ein Foto von gestern Abend aus Wolfhagen (Kreis Kassel) http://blog.philipppoiselfanclub.de/uploaded_images/04062009326-701587-701913.jpg

    Das war der Vorbericht aus der hna

    Kommentar von Campo-News — 5. Juni 2009 @ 12:57

  2. Und hier nun der Artikel aus der heutigen “hessisch-niedersächsischen Allgemeinen”

    Kommentar von Campo-News — 6. Juni 2009 @ 09:44

  3. Ich weiß auch nicht warum ich keine Bilder in den Kommenatren hochladen kann - es funktioniert jedenfalls nicht, aber ich habe nun das Foto nach dem Konzert in den Eingangsartikel (ganz unten) eingestellt.

    Kommentar von Campo-News — 7. Juni 2009 @ 08:41

  4. Endlich ist dieses phantastische Lied greifbar.

    Kommentar von Campo-News — 31. Oktober 2009 @ 11:21

RSS-Feed für Kommentare zu diesem Beitrag. TrackBack-URL

Einen Kommentar hinterlassen

You must be logged in to post a comment.

kostenloser Counter

Weblog counter