Vera Oelschlegel: “Deutschland ist ein wunderbares Theaterland.”
Ihr Spielplan sei - so das ZK der SED anno ´89 - “elitär, intellektuell und unangemessen ernst”: ein vortrefflicher Grund für Tanja Krienen, ein Gespräch mit der Intendantin des „Theater des Ostens“, Vera Oelschlegel, zu führen; Themen: Religion, Theater, “Frauen als Männer”, Philosophie und Biermann
Vera Oelschlegel war in der DDR eine bekannte Bühnen – und Filmschauspielerin, Theaterintendantin und Brecht-Interpretin. 1976 gründete sie das renommierte TIP (Theater im Palast der Republik), das bis 1990 bestand. Danach erfolgte die Gründung des „Theater des Ostens“ als „Tournee-Theater“, das seitdem in den vergangenen Jahren immer wieder durch qualitativ hervorragende Produktionen von sich reden machte. Die keineswegs ideologisch angepasste Oelschlegel unterrichte außerdem als Honorarprofessorin an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“. Sie war zuletzt mit dem SED-Staatsratsmitglied Konrad Naumann verheiratet, zuvor jedoch mit Hermann Kant, Schriftstellerverbandsvorsitzender der DDR, und als solcher Nachfolger der international bekannten Emigrantin Anna Seghers (Das siebte Kreuz) Bereist 1991 erschien im Ullstein-Verlag Oelschlegels viel beachtete Biographie „Wenn das meine Mutter wüsste“.
Ort: Garderobe. Zeit: eine Stunde vor dem Auftritt. Situation: Gespräch, während sich die Schauspielerin für die Maske vorbereitet.
Tanja Krienen: „Der Name der Rose“ wurde ja zunächst durch das Buch, mehr aber durch den Film mit vielen internationalen Stars bekannt. Welches sind aus ihrer Sicht die größten Unterschiede und Besonderheiten zwischen der Umsetzung des Stoffes zu einem Film - bzw. Bühnenwerk?
Vera Oelschlegel: Die größte Schwierigkeit liegt darin sich zu entscheiden was weggelassen werden kann und trotzdem die Geschichte nicht zu beschädigt. Der Teufel steckt im Detail.
Tanja Krienen: Gibt es ein Beispiel wo Sie sich gefragt haben was Sie weg lassen können und welche Inhalte unbedingt wichtig sind?
Vera Oelschlegel: Die Architekturbeschreibungen des Originals kann man zum Beispiel nicht umsetzen. An der Geschichte muss man aber eng dranbleiben. Bei diesem Stoff ist es besonders wichtig auch die philosophischen Aspekte zu betonen.
Tanja Krienen: Sie spielen im Stück eine Männerolle, den Jorge von Burgos.
Vera Oelschlegel: (wirft schmunzelnd ein) Es gibt ja leider nur wenige Frauen im Buch.
Tanja Krienen: Sicher, wie soll es bei diesem Thema auch anders sein? Aber gibt es noch einen besonderen Aspekt dabei?
Vera Oelschlegel: Bei Kindern und Greise verwischen sich die Geschlechtsmerkmale sowieso. Der Jorge muss zudem etwas Unheimliches haben und die Ãœberlegung ist, wenn sich eine Frau dahinter verbirgt, dass es der Figur noch etwas Befremdlicheres gibt. Mich werden Sie gleich nicht wieder erkennen (lacht).
Foto: Christian Lietzmann
Tanja Krienen: Sie haben ja auch schon ein Nietzsche - Programm in Szene gesetzt. Nun folgt der Eco. Haben sie ein Faible für religionskritische Stoffe?
Vera Oelschlegel: Nicht, dass ich das besonders hervorheben würde. Was uns aber doch alle beschäftigt, ist die Frage nach dem Sinn des Lebens, wie sie in Nietzsches Philosophie gestellt wird. Selbstverständlich beinhaltet die Auseinandersetzung mit der Sinnfrage auch die Beschäftigung mit dem Unsinn, der als Sinn angeboten wird und zum Missbrauch einer guten Idee werden kann.
Tanja Krienen: Früher hatten Sie ein festes Theater, das TIP -Theater im Palast (der Republik) – heute aber sind Sie mit einem „Tournee-Theater“ unterwegs. Wobei man sagen muss, dass Sie auch vor der Wende schon viele Gastspiele absolvierten, auch in der damaligen Bundesrepublik Worin aber liegen die Vor – und Nachteile der Theater-Formen?
Vera Oelschlegel: Deutschland ist ein wunderbares Theaterland im Vergleich zu allen anderen Ländern der Welt. Eine solche Theaterdichte gibt es nicht noch einmal. Die Möglichkeit für das Tournee-Theaters sind sehr gut, da etwa 500 Kommunen in Deutschland Theatergebäude unterhalten und dem Publikum einen regelmäßiges Spielplan bieten. Theater als gesellschaftliches Leben – das ist schon toll! Natürlich hat sich die Funktion des Theaters im Vergleich zur DDR gewandelt. Unsere Erfahrungen sind aber sehr positiv – auch mit dem Publikum.
Tanja Krienen: Wo steht Ihrer Meinung nach das deutsche Theater heute? Konkret: Wie bewerten Sie die Qualität und die Trends, z.B. die ständigen Überarbeitungen und „Modernisierungen“ der Fassungen? Um ein Beispiel zu geben: Vor geraumer Zeit sah ich die „Mutter Courage“, die statt eines Planwagens, eine große Tiefkühltruhe auf die Bühne zogen musste. Da habe das Theater umgehend verlassen.
Vera Oelschlegel: Die Sache ist so alt wie das Theater selbst, dieses Bestreben, das Rad neu zu erfinden. Ich bin sehr für das Partiturspielen! Die besondere Sicht sollte aber aus der Tiefe, nicht aus Oberflächlichkeiten geholt werden, also nicht daraus, den Hamlet in Jeans zu präsentieren…
Tanja Krienen: Zum Abschluss eine kulturpolitische Frage: Der erste ehemalige Ostberliner, der nun Gesamtberliner Ehrenbürger werden soll, ist Wolf Biermann. Auf welcher Seite stehen Sie bei dem Streit, der um die Nominierung entbrannte?
Vera Oelschlegel: Ich bin schon der Meinung, dass er sie bekommen sollte. Die Auseinandersetzung mit seinem Werk und seiner Person ist ein ganz wunder Punkt der Kulturgeschichte der DDR. Aber auch die dunklen Seiten gehören dazu.
Tanja Krienen: Ich bedanke mich sehr für das Gespräch.
„Der Name der Rose“: Ein mittelalterlicher Kriminalfall
Das „Theater des Ostens“ gastiert mit gelungenem Spiel
Von Tanja Krienen
Wenn zuletzt die ganze Abtei in Flammen steht, wissen die Zuschauer längst, dass sie ein Bühnenstück gesehen haben, dessen künstlerische Adaption des ursprünglichen Stoffes überzeugend glückte.
Schwierig, so scheint es zunächst, muss die Umsetzung eines so komplizierten Buches wie das des Umberto Eco sein. Erschwerend und belastend mag sogar der Bekanntheitsgrad des internationalen Kino-Erfolges aus dem Jahre 1986 mit den Megastars Sean Connery, Christian Slater, F. Murray Abraham, Michael Lonsdale und Helmut Qualtinger hinzukommen. Die Popularität dieses Filmes aber wiederum sorgt in seinen positiven Nebeneffekten dafür, dass der geneigte Theatergänger ein besonderes Interesse für diesen Stoff empfindet.
Die Handlung spielt in dunkler Zeit und düster ist auch die Stimmung, die von dem 1327 angesiedelten Schauplatz ausgeht. In einer norditalienischen Benediktinerabtei kommt es vor dem Hintergrund eines Kirchenstreites zu fünf Morden innerhalb der Klostermauern. Der ehemalige Inquisitor William von Baskerville (bravourös gespielt von Dieter Wien) wird mit der Aufklärung beauftragt und versucht – zunächst erfolglos – den geheimnisvollen Abläufen auf Spur zu kommen. Er stößt auf eine undurchdringliche Mauer von Schweigen, Vertauschungen und Abhängigkeiten. Letztlich geht es dabei um die alten Themen Freiheit, Zensur, Glaubwürdigkeit und Individualität.
Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive des jungen Novizen Adson von Melk, frisch gespielt von Fabian Oscar Wien, der im wirklichen Leben nicht nur der Zögling der eigentlichen Hauptfigur, sondern gar der leibliche Sohn des Schauspielers ist. Der junge Adson erlebt die religiöse Welt jedoch als Labyrinth der Gefühle, als schwer durchschaubare Enge. Nicht zufällig spielt das Stück in weiten Teilen in den gespenstisch anmutenden Gängen der Bibliothek, die den Ausgangspunkt für die mysteriösen Morde darstellt.
Foto: Christian Lietzmann
Der auch als Kabarettist bekannte Helmut Krauss brilliert in der Rolle des Abtes, der zwischen den Lagern steht und seine Abtei vor den Kontrolleuren aus Rom schützen will. Seine Angst ist begründet, hat er doch mehrere ehemals religiös Abtrünnige im Kloster aufgenommen, so den verwirrt sprechenden und schwer körperlich deformierten (wahrscheinlich wegen früherer Folterungen durch die Inquisition) Salvatore und den Kellermeister Remigius von Varagine, einst ein Anhänger eines verbrannten „Ketzers“. Die Morde sind noch nicht aufgeklärt, als der Gesandte Roms, der Inquisitor Bernard Gui in der Abtei eintrifft.
Schnell sind die genannten als Schuldige ausgemacht, zu denen noch ein Mädchen hinzukommt, das der Hexerei beschuldigt wird, in Wirklichkeit den Mönchen aber als Liebesdienerin bereit stand. Alle drei landen als „Ketzer“ auf dem Scheiterhaufen. Doch der wirkliche Täter ist der mysteriöse Leiter der Bibliothek Jorge von Burgos, gespielt von der Theaterchefin Vera Oelschlegel, die diese Rolle glaubhaft verkörpert. Die Gesamtgemengelage in dieser Abtei spiegelt die Widersprüche des angeblichen nicht weltlichen Lebens wieder: Ausschweifungen, Homosexualität, angedeutete Päderastie, Gewalt, Indoktrination und Heuchelei.
Die relativ spärliche Kulisse vermag durch mancherlei bühnenbildnerische - und Regie- Effekte zu überraschen. In so fern ist sie gelungen. Hilfreich bei der Umsetzung der opulenten Bilderfülle, die der Ausgangsstoff nun einmal beinhaltet, ist sicher die Schule der Akteure. Alle haben „ihren Brecht“ gelesen und gespielt, agieren deshalb präzis, pointiert, sprachlich exakt, auf höchstem Niveau.
Man wünscht sich mehr solcher Aufführungen, die nicht nur unterhalten, sondern auch Einsichten vermittelt wollen. Über manche Details lässt sich natürlich wie immer vortrefflich streiten. Wenn aber der Vorhang vor den rauchenden Trümmern fällt, die Akteure nach einem recht langen Abend ihren Applaus erhalten und der Zuschauer wieder in das grelle Licht der ach so aufgeklärten Welt des Jahres 2007 blickt, dann hat er doch das Gefühl, für seine Sinne etwas Gutes getan zu haben. Das ist viel mehr, als man gewöhnlich erwarten darf.
Vera Oelschlegel als Jenny Marx, geborene von Westphalen, in den 80er Jahren im Stück “Salut an alle. Marx” (mit Ekkehard Schall als Karl Marx (und BB-S-Sohn und Hans-Peter Minetti als Friedrich Engels)
aktueller Artikel (von heute, 13. Februar 2007)
Oeli hat es immer mit denen getrieben, die ihr nutzen konnten. Erst den versoffenen Bauarbeiterkönig, der sich in Verkennung der Lage gegen Honni stellte, dann umflirtete sie selbst den noch beim morgendlichen Baden in Wandlitz. Bäh, solche Leute sollten zu allem die Fresse halten, zumal sie im Gegensatz zum Arbeiter stets ein auf sozialistischen Adel machten, den Proll ,der das finanzierte, verlachten, aber gerne nahmen, und wenn es nur die Bühne im Palast war, die man eigens für sie dort errichtete.
Kommentar von Anti-Öl — 18. Februar 2007 @ 16:29
Du solltest die Gefühle von Menschen nicht so eindimensional kommentieren. Liebe ist Liebe - auch wenn es dir nicht aus politischen Gründen nicht passt. Politisch kannst du natürlich argumentieren, aber was du da sagst, macht nicht viel her. Der “sozialistische Adel” hat euch doch zumindest hier und da etwas hingesetzt, wovon ihr heute noch träumt, was zudem immerhin bis zu einem gewissen Grad vorzeigbar war und die Zeit überdauerte. Spricht ernsthaft etwas gegen das “Theater im Palast”? Dann trag es mit inhaltlicher Kritik bitte vor. Fakt ist, dass es dort ein pluralistischen Programm wie sonst nirgendwo in der DDR gab. Aber vielleicht ist es ja das, was dir schon damals nicht gefiel.
Ãœbrigens hat das “der Proll” nicht weniger oder mehr finanziert als alles andere, und wenn “der Proll” (der meiner Erfahrung nach in der DDR nie verlacht, sondern viel zu stark mit falschen Argumenten hofiert wurde) im Gegensatz zum “sozialistischen Adel” nichts für das Theater übrig hat (was gottlob in der DDR nicht ganz der Fall war - aber leider wahrscheinlich bei dir), so spricht das eben nicht unbedingt jene Bände, die nach der Wende auf den Müll geworfen wurden.
Vera Oelschlegel hat wie kaum eine andere Person in der Wendezeit und unmittelbar davor philosophisch richtig auf die neue Zeit reagiert, nämlich mit Nietzsche. Außer ihr haben das zuvor nur herausgehoben Heiner Müller und Stephan Hermlin getan. Ich selbstverständlich als kleineres Licht auch - aber wir haben ja schließlich alle nur unser Licht, das, wenn möglich, nicht unter den Scheffel gestellt werden sollte, wenn es zu strahlen vermag…
Kommentar von Campo-News — 18. Februar 2007 @ 17:12
Öli hat immer richtig in der richtigen Zeit funktioniert. Das ist ja das Problem.
Kommentar von Anti-Öl — 22. Februar 2007 @ 01:20
Wer hat denn nicht in der DDR “funktioniert”? Man kann nur in seinem Bereich Akzente setzen. Das hat sie meiner Auffassung nach getan. Lies doch mal diesen FREITAG-Artikel - http://www.freitag.de/2004/20/04201701.php
Kommentar von Campo-News — 22. Februar 2007 @ 07:28
https://orf.at/v2/stories/2392049/2392056/#:~:text=R%C3%B6mer%20und%20Griechen%20waren%20zu,das%20durchlie%C3%9F%2C%20was%20genehm%20schien.
Kommentar von Campo-News — 2. Februar 2023 @ 13:06
Peinlich, Helmut heißt der Krauß natürlich.
Kommentar von Campo-News — 2. Februar 2023 @ 13:11