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11. März 2005

Wohlfühlen im 3. Reich

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 18:55

Der Journalist Götz Aly veröffentlichte im SPIEGEL 10/2005 wohl einen der interessantesten und provokantesten Beiträge der letzten Jahre.

Aly schreibt gleich zu Anfang: „Wer die verbrecherische Dynamik des Nationalsozialismus verstehen will, sollte nicht länger auf Großbanken und Konzerne starren.“

Die NS-Herrschaft sei eine gewesen, die als Gefälligkeitsdiktatur gesehen werden könne – etwa 95 % der Deutschen seien davon begünstigt gewesen. Er führt aus: „Sie empfanden den Nationalsozialismus nicht als System des Terrors, sondern als Regime der sozialen Wärme, als eine Art Wohlfühl-Diktatur. Sozialreformen für den kleinen Mann rücksichtsvolle Steuerpolitik und die – vielfach auf Kosten anderer – gebotenen Möglichkeiten des Aufstiegs sorgten für steigende oder zumindest konstante Werte auf dem politischen Stimmungsbarometer.“

Aly macht deutlich, dass der Nationalsozialismus in Wirklichkeit tatsächlich ein nationaler Sozialismus war und nicht, wie meist behauptet wird, eine Diktatur der Konzerne: „Mit den Reichen und den Unternehmen ging die Regierung Hitler weit weniger zartfühlend um. So stieg die Körperschaftssteuer bis auf 55 %. Hinzu kamen die ab 1941 wirksame Gewinnabführung und der Einkommensteuerzuschlag, der die Normalsteuer der Besserverdienenden seit September 1939 um 50% erhöhte. Die deutschen Hausbesitzer mussten Ende 1942 eine Sonderabgabe von acht Milliarden Reichsmark entrichten. Das entspräche heute mindestens 80 Milliarden Euro.“

Der SPIEGEL spricht vom „gekauften Volk“ und listet die national sozialen Wohltaten auf, u.a..
- Kindergeld
- Schuldnererlass für Arier
- Rentenerhöhung von 15%
- Krankenversicherung für Rentner
- Keine direkten Kriegssteuern für Arbeiter, Bauern, einfache Angestellte, niedere Beamte
- Befreiung von Steuern und Sozialabgaben bei Zuschlägen für Nacht, Sonn- und Feiertagsarbeit

Die nach dem November-Pogrom 1938 erhobene „Judenbuße“ erhöhte die Staateinnahmen in diesem Jahr um 6 %. Der SD (Sicherheitsdienst“ bemerkte: „Anders als das Pogrom selbst, hätten die Sühnegesetze in der Bevölkerung überall Anklang gefunden.“

Aly Kernsätze lauten: „Im Kontext des sozialpolitischen Appeasement der NS-Regierung entstanden viele der noch heute vertrauten Annehmlichkeiten. Die noch immer gültigen Steuerklassen, das Ehegattensplitting und das Kindergeld führte die Regierung mit der Reichsfinanzreform von 1934 ein. Sie verfolgte die politische Absicht, die Steuerlast zugunsten der Verheirateten und der Familien mit Kindern zu mildern und zum Nachteil der Ledigen zu erhöhen. Betrachtet man das steile Anwachsen des Kindergeldes und der Familienbeihilfen während des Krieges, dann ergibt sich eine Vervielfachung: Im Jahre 1939 stiegen die Leistungen um 25%, 1940 um 28%, 1941 um 56% und 1942 um 96%. Der Schuldnererlass rangierte seit 1933 vor den Interessen der Gläubiger. Sämtliche Zwangsmaßnahmen, insbesondere die Räumung der Wohnung wegen Mitschulden, konnten gerichtlich abgewendet werden, wenn sie >eine dem gesunden Volksempfinden gröblich widersprechende Härte“ darstellten.<“

Es durften auch nicht die Zuwendungen an Soldatenfamilien, oder Leistungen aus Überstunden und Sonderschichten gepfändet werden. Dasselbe galt für das Kindergeld. Nochmal der SPIEGEL: Solche Gesetze sicherten die gesellschaftliche Basis der NS-Führung mehr als jede rassistische Tirade. In dieselbe Richtung wirkte die strikte Lebensmittelrationalisierung, die bereits im August 1939 einsetzte. So beobachtete ein Berichterstatter der SPD: Die Arbeiterschaft begrüßt es durchaus, dass die ´besseren Leute´ praktisch aufhörten, welche zu sein.“ Ganz in diesem Sinne gab Hitler schon 1935 für den Kriegsfall aus, dass die höheren Einkommen beschränkt werden sollten. Verschont blieben die deutschen Arbeiter, die Bauern, die einfachen Angestellten und die kleinen Beamten.“

Wer würde das heute nicht begrüßen?

Tanja Krienen

8 Kommentare »

  1. Hallo, diesen verdienstvollen Artikel hab’ ich auch gelesen. Wir ahnten es schon lange : wer für soziale Gerechtigkeit ist, ist ein verkappter NAZI!
    Nun aber husch, husch, liebe Gewerkschafter : Ab in die braune Ecke! muhaha.
    gruss ecc

    Kommentar von Ecclesiastes — 15. März 2005 @ 18:30

  2. und als nächstes zweifelt der spiegel noch an den opferzahlen von auschwitz oder was?
    isch werd bekloppt!

    Kommentar von kopfkino — 15. März 2005 @ 20:21

  3. Den Zusammenhang sehe ich nicht. Wir müssen die Fakten aber klar benennen und wenn der berühmt berüchtigte Führer mit “Sozialmaßnahmen” die Politik betrieb, die hierzulande von der Linken - sowie auch von den ganz Rechten gefordert wird - dann müsste das zu denken geben.

    Gruß, TK

    Kommentar von Campo-News — 16. März 2005 @ 08:17

  4. Hallo, ich schätze nur mal, dass unseren heutigen Neocons kein Argument zu blöd ist, eine bestimmte Politikauffassung zu kritisieren. Eine gegen Verelendung gerichtete Politik ist nicht allein deshalb falsch, nur weil sie auch die Politik im 3. Reich war.
    Und beim “SPIEGEL”, dem Zentralblatt der Neocons, liegt m. E. die Vermutung nahe, dass hier diffamiert werden soll.
    gruss ecc

    Kommentar von Ecclesiastes — 16. März 2005 @ 10:37

  5. Es geht nicht um Verelendung, denn davon ist Deutschland so weit weg wie vom Pluto, wenn z.B. der Sudan den Mond darstellt und Portugal den Jupiter.

    In der Tat gibt es noch immer viel zu viele überflüssigen Gesetze und einen Handlungsrahmen, der aus der Zeit der großen Kontrolle stammt.

    Niemand will aktuell den Menschen ihre Grundsicherung - die es nur in wenigen Ländern gibt - nehmen, aber die Diffamierugen gegen “Das Kapital” haben inzwischen unschöne Züge erreicht und da ist ein solcher Artikel schon mal ganz gut, um an dieses oder jenes zu erinnern und vor allem klarzustellen, dass dies in Wirklichkeit keine ausschließliche Diktatur der Konzerne, sondern viel eher der Umsetzung des Denkens der “kleinen Leute” entsprach. Summasummarum eine Art Nationalbolschewismus, wie ihn Goebbels schon immer wollte.

    Gruß, TK

    Kommentar von Campo-News — 16. März 2005 @ 14:59

  6. Selbstverständlich hat Götz Aly Recht. In überwiegender Mehrheit war den Deutschen bewußt, woher ihr Wohlstand kam, nahmen die mörderische Diktatur in Kauf, nahmen in Kauf, daß Nachbarn verschwanden, in Kauf auch die gegenseitige Denunziation. Der Füher, als “charismatischer Vater”, so schon 1966 Mitscherlich, die Deutschen mehrheitlich in der Rolle “Kleiner Leute”, Untertanen also, “die nur ihre Pflicht taten”.

    Als dann, endlich nach 12 Jahren der Barbarei, dieses Land niedergerungen, niedergerungen unter entsetzlichem Blutzoll der Allierten, da ahnten sie es dunkel, aus ihrer Verantwortung entließ sie nicht ihre “selbstverschuldete Unmündigkeit” (Roussou, ihr Status als Untertanen.
    Weder Dresden, noch die Excesse der Roten Armee oder die Vertreibung “Heim ins Reich” waren Themen - zu groß die Schuld, die die deutschen Untertanen auf sich luden als sie ihre Herrschenden gewähren ließen.

    Die Möglichkeit also, sich zu einem zivilisierten Staat selbstbewußter Bürger zu entwickeln waren gegeben. Das dem nicht so wurde, das lag am Zerbrechen der Siegerkoalition. Nicht Morgenthau, kein neutrales Deutschland, welches “die Bürgerliche Revolution von 1848 vollendet” (Grundsatzprogramm der KPD von 1945), die Deutschen wurden gebraucht als nützliche Idioten im Kalten Krieg. Und nicht mehr der Führer als charismatischer Vater, sondern Adenauer hüben und Ulbricht drüben. Gleichzeitig Aufbau des Wohlfahrtstaates nach Bismarckschem Vorbild, die “Bestechung der Arbeiterklasse” (August Bebel). Bestechung, weil administrativ und nicht auf der Basis eines gesellschaftlichen Konsens bestehend.

    Gleichzeitig, mal wieder, die Legendenbildung. Der NS war zerschlagen und für alle Zeiten diskreditiert. Die Verantwortung aber wurde, wieder hüben und drüben auf den Führer, oder “das Kapital”, je nach Beliebigkeit, geschoben. Und die Untertanen nahmen dankbar an.
    Es ist müßig aufzulisten, wie nun die “Kleinen Leute” ihre Vorteile aus dem Sozialstaat erschlichen, hüben hatten u.A. Behindertenausweise den Rang eines Verdienstkreuzes, drüben wurde beim Bau der Datschen der Begriff des Volkseigentums allzu wörtlich genommen.

    “…Sie fragten nicht nach den Kosten, sie sahen nicht auf das Geld:
    Sie waren aus dem Gröbsten heraus.
    Hier werden wir’s recht toll treiben sagten sie
    Hier können wir wundervoll bleiben sagten sie
    Und sie zogen die Stiefel aus.

    Gut, das sagen die Äste
    Aber der Baumstamm schweigt.
    Mehr her sagen die Gäste
    Bis der Wirt die Rechnung zeigt.
    (Bertolt Brecht)

    Nicht fragen nach den Kosten, so auch dann, als dem Dicken doch allzu leichtfertig geglaubt wurde. Geglaubt, der Legende von den “Blühenden Landschaften”. Geglaubt wider besseren Wissens. Und bereit zur Mordbrennerei, als die Legende sich als Legende erwies. Denn es waren keine Nazis, die in Hoyerswerder und Rostock Pogrome veranstalteten, es waren keine Nazis, die verantwortlich sind für die rassistische Blutspur, die seit dem Beitritt der DDR durch dieses Land zieht, es waren die ewigen deutschen Untertanen, die wieder bereit waren zum Raub.

    Und so verwundert es nicht, daß, immer wieder Montags, der Beobachter nicht erkennen kann, ob nun die PDS oder die NPD das Selbstmitleid der deutschen Untertanen in den Innenstädten herausposaunt.

    Was aber hat der Wohlfahrtstaat, speziell der Deutsche, mit Sozialismus zu tun? Sozialismus, als höchste Stufe der Demokratie? Ist der bürgerliche Wohlfahrtsstaat in den zivilisierten Ländern Ausdruck eines gesellschaftlichen Konsens, das bedeutet, die Starken treten für die Schwachen ein, so war er in D. immer die Gabe der Herrschenden an seine Untertanen, die “Bestechung der Arbeiterklasse”. Und die Untertanen fragten nie nach den Kosten, schauten gleichzeitig voll Mißgunst auf die Schwächeren, die ihnen evtl. etwas nehmen könnten.
    Mit einer selbstbewußten Demokratie hat das nichts zu tun. Und mit Sozialismus erst Recht nicht.

    Burkard Schulte-Vogelheim

    Kommentar von Burkard Schulte-Voge — 17. März 2005 @ 11:10

  7. Ich wollte nach links marschieren
    Nach rechts marschierte ER

    Ebenfalls aus dem Lied, das du zitiertest - ja, genau so war das bei der SA!!! Leider braucht Brecht trotzdem das alte Feindbild (”Der Dicke” ist rechts, Das Ich ist links)

    Deinen Beitrag kann ich im Wesentlichen unterschreiben: Sozialpolitik ohne zu fragen: Wie? ist reaktionär.

    Viele Grüße in den Pott, Tanja

    Kommentar von Campo-News — 17. März 2005 @ 16:57

  8. Mensch Tanja, Du endtäuscht mich. Du weißt doch ganz genau, daß mit den Begriffen “links” oder “rechts” nichts anfangen kann - und in Anbetracht der bundesdeutschen, (klein)bürgerlichen und vor allem, antisemitischen “Linken”, jeden verklagen würde, der mich in diese Kategorie einreihen würde.
    Und der Dicke? Schon vom Volumen her füllte er die “Mitte” aus, ansonsten plünderte er für seine Untertanen die Sozialkassen, führte diesen Staat in die Pleite und stand leider als Konkursverwalter nicht mehr zur Verfügung. Nicht mehr zur Verfügung, weil der andere aus der “Mitte” diese Rolle übernahm, übernahm, “in der Stunde der Not” und um dieses Ziel zu erreichen versprach er seinen Untertanen “Maßnahmen gegen die soziale Kälte”, wundergläubig wie die Deutschen nun mal sind, glaubten sie auch ihm.

    Das wird, neben der Änderung des Staatsbürgerrechtes, der bleibende Verdienst des “Medienkanzlers” sein. Daß allerdings dazu Mittel angewandt wuren, die einer konservativen Partei alle Ehre gemacht hätten, das ist ein anderes Thema.

    “Der Feind steht rechts!” Mit dieser Aufruf wandte sich der konservative Reichskanzler Josef Wirth an den Reichstag 1923 nach der Ermordung Walter Rathenaus (”der gottverdammten Judensau”)
    DIESE Aussage war verbindlich, ebenso verbindlich wie Brechts “nach links marschieren”. Verbindliche, weil es eine linke Intelligenz gab. Verbindlich, weil dieser Unfug mit der Mitte noch nicht aktuell war. Und von einer linken Intelligenz kann man heute wirklich nicht mehr reden. Und ernstzunehmen, ich tat es zumindest nie, war die (klein)bürgerliche Nachkriegs”linke” nie. Nicht ernstzunehmen als sie noch ihrem heiligen Stalin, Mao oder Hodscha anhingen und erst recht nicht ernstzunehmen, als sie dann zum grünen Kindergarten mutierten.

    Nun denn, der von der Sozialdemokratie mit Hilfe der senilen Grünen eingeleitete Kurs zur Staatssanierung, wird in absehbarer Zeit von den Konservativen fortgesetzt Und spätestens nach der Wahl in NRW wird die SPD wohl einsehen müssen, daß wer die Konservativen kopiert sich nicht wundern muß, wenn der Untertan dann das Original wählt. Und wird wohl hoffentlich auch zur Einsicht kommen, eine Partei des saturierten und zutiefst unsolidarischen gehobenen Kleinbürgertums, eine Partei der gutmenschlichen Unfähigkeit, nicht der Bündnispartner einer Arbeiterpartei sein kann. Und das läßt doch wieder hoffen. Hoffen, daß die Nachgeborenen sich als solidarischer, als staatsbürgerlicher beweisen, als es meine, unsere Generation war. Denn das steht doch wohl fest: Ein Konzept zur Zivilisierung dieses Völkchens fehlt den bürgerlichen Parteien ebenso wie der Sozialdemokratie. Und die Gestrauchelten dieser Gesellschaft, denen es dann richtig dreckig geht, die werden sich in weniger als 10 Jahren nach der ach so idyllischen Zeit zurücksehnen, in der ihnen Hartz IV den Lebensunterhalt in Anstand ermöglichte. So ärgerlich das auch ist: Darauf setze ich 1000 Euro.

    Proletarischer Gruß aussem Pott

    Schurkrad

    http://www.pi-news.net/2019/04/welt-adolf-hitler-begann-seine-politische-karriere-als-linksextremist/
    https://ef-magazin.de/2013/05/23/4228-sozialdemokratie-und-nationalsozialismus-heil-dir-lassalle

    Kommentar von Burkard Schulte-Voge — 17. März 2005 @ 22:49

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