Der neue Blog ist unter http://campodecriptanablog.apps-1and1.net erreichbar




9. Januar 2022

Gedankenanker

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 16:53

 142116331_3582280008507524_2434928722687216191_n1.jpgstartbild.jpg

Der Traum zuvor von Bernd Rump

Eine Ostbiographie für die Westlethargie! 

 Der Zug rattert nicht, er rast mit 250 km/h Richtung Osten, Richtung (relativer) Freiheit. ICE gekühlt. „Unser Mann“ ist sicher früher oft hierher, auf dem gleichen Gleis, in ähnlicher Weis´, gefahren. Tschebumtschebumtschebumratata ganz um halb Sachsen rum! Vielleicht mehr geruckelt als heute, vielleicht langsamer, vielleicht auch ohne so ein dickes Buch, aber mit Zetteln. Für die vielen Notizen, schon im Alter des Novizen: Lieder, Szenen und Gedankenanker! Vielleicht auch für eine „literarische Biographie“ von 670 Seiten, die er irgendwann mit über 70 vorlegen wird. Und nun ist sie da! Der Träger der Erich-Weinert-Medaille und des Kunstpreis des FDGB (beide 1977 erhalten, letzteren gemeinsam mit Ernst Busch) hat mitten in der coronalen Stumpfzeit, etwas für den widerstehenden Verstand herausgebracht. Jedenfalls; als ich sein Buch lesend zu Ende brachte, irgendwo zwischen Bad Lausick und Geithain, war ich etwas „Trulla“ und erschöpft, stellte es eine Stunde später zwischen Biermann und Busch in meiner Marxstädter Wohnung ab, hatte aber gelernt, und wieder einmal realisiert, dass nur dort lebt(e), was die Schreiber der „Historie aus der Sicht der Pressehäuser“ als „gescheiterten Versuch“ beschimpfen, währenddessen sie sich selbst sehr erfolgreich in ihrigen Irrläufen kühn vollendend, doppelgesichtig im Spiegel der Zeit entlarvend, hoffentlich bald selbst voll enden.  

Und wie er mit der Sprache umgeht! Klasse! Und das Detailwissen! Ich bin ja schon nicht schlecht…aber…tiefe Verbeugung! Hat er das als Student der Energetik an der TU Dresden oder als Ingenieur im Kraftwerksanlagenbau gelernt? Möglich. Oder wie kommt das alles in einen, den einen Kopf? Was so alles passierte in der GDR. Another Country, andere Karrieren, andere Sitten, wenn auch freiheitsbeschnitten. Anfang der 70er wusste er, dass das nicht alles sein konnte. Im Buch läuft das nicht so, wie die Zuschauer den sonntäglichen Totort kennen: alles hübsch chronologisch, so zwei hinter eins und vor drei, sondern: bei “Unserem Mann” ist das nicht immer ganz klar, oft weiß man nicht, wer da grad was macht und wann oder warum. Das gilt auch für die Begriffe und Personen. Der Barde, nun ja, wird ja auch aufgelöst, aber wer ist der Troubadour? Nur wenige Personen werden benannt und man muss die Fakten hinter den versteckten Anspielungen kennen. Fiktionen (Monroe usw.) machen es nicht leichter zu unterscheiden zwischen Leben und Phantasie. Ja, ich weiß, “unser Mann” ist nicht durchgängig real, aber…so bleibt er und es eine schwere Kost. Privates fehlt fast völlig, der Mensch ist schwer erkenntlich. Wahrscheinlich Absicht, aber der geneigte Leser quält sich dadurch mit vielen Fragen herum. Auch ermüdet die Sicht aus der neutralen Perspektive denn „Unser Mann“ macht dies und manchmal ein wenig zu Ungunsten der Lebendigkeit. Man weiß ja, dass in der DDR aus Vorsicht vor dem Feind, grad in den eigenen Reihen, manches eher umschrieben, als direkt benannt wurde. So einer war er aber eigentlich nicht. Parteimann zwar, aber einer, dessen größere Stunde eher kam, als der große Brocken beiseite geräumt war: Kulturchef der Partei auf des letzten Partei – und Staatschefs Wunsch, dann die Arbeit in Bundestagsbüros und plötzlich doch: der Bruch, USPD (sozusagen ;)) und dann doch wieder dort, wo Mutters mächtiger Arm schützt, aber auch straft, oder – bis heute – wie olle Frau unterm Arm müffelt.

Es ist eine „DDR-Biographie“ und gottlob bin ich eine Wessierianerin, die sich so gut dort auskennt, wie nur wenige Zehntausend anderer aus Restdeutschland. Aber wie er mir das zurückgibt!!! Viel Biermann, noch mehr Brecht, US-Mythen überraschend originär adaptiert und… na klar, zum Gundermannkreis gehörte er auch. Auch darum war die Lektüre ein Genuss. So wie ein lang ersehnter heißer Kaffee mit frischen Brötchen und Konfitüre, aber mit dem Aufdruck „vegetarisch“, obwohl dort nie etwas biss, schiss oder blutig blökte. Man verstehe mich recht. Doch hier ein Beispiel, mit dem ich schließen möchte, da „unser Mann“ einmal in den eigenen Ich-Körper fährt und dennoch nicht seiner selbst sein kann, weil…..ach lesen wir ihn selbst:

„DU HAST DEN UNRECHTSSTAAT UNTERSTÜTZT kommt es mir entgegen. Du warst das. Ich erschrecke. Habe ich das gesagt? Oder alle? Alle im Saal. Aber was, um Gottes Willen ist das für ein Saal? Und warum stehe ich plötzlich an der Peripherie. Jetzt bitte ich erneut ums Wort. Ich, sage ich, ich habe… Weiter komme ich im Moment wieder nicht. Der Angeklagte möchte noch etwas sagen, höre ich. Es klingt höhnisch. Es klingt: Hat er noch etwas zu sagen? Das war der Ankläger. Eindeutig meine Stimme. Wie spreche ich jetzt mit meiner Stimme gegen meine Stimme. Ich versuche mit der einen gegen die andere anzukommen. DAS KÖNNT IHR DOCH NICHT MIT MIR MACHEN. Doch, sagt die andere Stimme. WIR KÖNNEN DAS. Wir können alles. Wir sind legitimiert. Wir sind das Gericht der Geschichte. Wir sind der Rechtsstaat. Wir sind die letzte Instanz. Wir sind die Sieger der Geschichte.“

Der Traum zuvor, Bernd Rump

ISBN: 978-3-95908-422-2, 29,80 €

Thelem 2020. Hardcover mit Schutzumschlag. 15 x 21 cm, 670 S.

10 Kommentare »

  1. https://www.achgut.com/artikel/wo_sind_wir_hingekommen_ein_ruf_aus_dunkeldeutschland_ Auch die helldeutschen Medien machten den Linksrutsch mit. Was früher der Klassenstandpunkt war, hieß nun die richtige Haltung. Das Sturmgeschütz der Demokratie wurde zu einer Gulaschkanone mit deutlicher Schleimspur zu den Regierenden. Mein bewunderter Deutschlandfunk hört sich mehr und mehr an wie die einstige Stimme der DDR. Der kluge Kopf hinter der FAZ kündigte sein Abonnement. Die einst stolze Süddeutsche erschien einem mehr und mehr wie ein helldeutsches Neues Deutschland, mehr Zentralorgan der richtigen Gesinnung als kritische Zeitung. Die Tagesschau mutierte zu einer Art Aktuellen Kamera in HD. Eine undurchdringliche Mischung aus Halbwahrheiten, plumpen Lügen und Verschweigen fing an, die Berichterstattung zu dominieren.

    Kommentar von Campo-News — 5. Februar 2022 @ 06:57

  2. VORSCHAU AUF EINE PREMIERE:
    Die beiden Akteure des Abends kennen sich seit über vierzig Jahren, aber sie stehen zum ersten Mal gemeinsam auf der Bühne. Ihre erste Begegnung geht zurück auf das Jahr 1979 beim Zentralen Poetenseminar der FDJ in Schwerin, Frank Viehweg ist Teilnehmer in der Seminargruppe von Bernd Rump. Ohne Rumps Lieder und die Kenntnis seiner Arbeit, wäre der Dichtersänger Frank Viehweg heute ein anderer Mensch, anders wären seine Lieder!
    Der Dresdener Bernd Rump ist Lied- und Lyrikautor sowie Theatermacher. Er war Gründer der „Songgruppe der TU Dresden“ und später Chefdramaturg des legendären „Schicht-Theaters“.
    Frank Viehweg arbeitet professionell seit 1985 als Liedermacher, Lyriker und Nachdichter. Zahlreiche CDs und Bücher zeugen von seiner Arbeit.
    Aus den Liedern beider Barden formt sich ein denkwürdiges Programm, bereichert durch Auszüge aus Bernd Rumps 2020 erschienenen Buch „Der Traum zuvor“.
    Also: „Man kann uns die Hoffnung nicht nehmen, weil: für Hoffnung zahlt keiner mehr!“ (Bernd Rump)
    BERND RUMP & FRANK VIEHWEG

    Samstag, 26. März 2022, 21 Uhr

    ZIMMER 16

    Florastraße 16, 13187 Berlin

    Kommentar von Campo-News — 23. Februar 2022 @ 15:10

  3. https://www.l-iz.de/bildung/buecher/2021/03/der-traum-zuvor-die-tastende-lebenserkundung-des-dresdner-lieder-und-theatermachers-bernd-rump-381819

    Kommentar von Campo-News — 20. Mai 2022 @ 12:30

  4. Lesung von “Der Traum zuvor - Storyline” von Bernd Rump

    Am 23.06. um 20:00 findet nun die lang erwartete Lesung von Bernd Rumps Roman “Der Traum zuvor - Storyline” im TUSCULUM mitsamt musikalischer Untermalung statt:

    https://www.studentenwerk-dresden.de/kultur/tusculum/veranstaltungen-1984.html

    Der Eintritt ist frei.

    Zudem findet eine Lesung am 18.06. ab 19:00 im Café “Kunst & Krümel” in der Hönower Str. 65 in Berlin statt.

    Hier die aktuellen Informationen:

    https://kunst-und-kruemel.com/event/lesung-bernd-rump-der-traum-zuvor/

    Wir freuen uns über reichlich Zuhörende!

    Kommentar von Campo-News — 25. Mai 2022 @ 13:09

  5. http://www.campodecriptana.de/blog/2022/01/09/2169.html

    Kommentar von Campo-News — 24. Juni 2022 @ 17:51

  6. https://www.facebook.com/photo?fbid=3752257251509798&set=a.140867659315460

    Kommentar von Campo-News — 24. Juni 2022 @ 18:01

  7. https://www.facebook.com/photo?fbid=3752214424847414&set=a.140867659315460

    Kommentar von Campo-News — 24. Juni 2022 @ 18:03

  8. https://www.facebook.com/photo?fbid=3752213748180815&set=a.140867659315460

    Kommentar von Campo-News — 24. Juni 2022 @ 18:05

  9. https://www.facebook.com/tanja.krienen.7/posts/pfbid0hMEaecEWuhD42kQXJWtgxtf2NskBT2JpAexKyGawj1VcRk9Q2APojpA3qajnoKUsl

    Kommentar von Campo-News — 29. Juni 2022 @ 17:42

  10. Die Steigerung von Krieg
    Ãœber das neue Buch von Marc Zoellner
    Kriege sind grausam. Meistens vor allem abstrakt. Um das echte Grauen zu zeigen, muss darum die Realität gezeigt werden. Meist geschieht dies in fiktionaler Form. Dafür gibt es die Literatur. Doch wenn nun die Handlung gar keine Fiktion ist, sondern das wahre Geschehen abbildet, und dies dennoch spannend und in eine interessante Nebengeschichte verpackt wird, dann haben wir so einen wunderbaren und seltenen Fall wie den des vorliegenden Buches.
    Es existieren zwei Handlungsstränge. Der eine spielt im Jahr 1961, kurz nach der Errichtung der Toure-Diktatur im postkolonialen Guinea, der andere 1941, nach dem der deutsche Kreuzer Thor, das englische Passagierschiff Britannia versenkte. Wieder so eine Kriegsgeschichte aus peinlichen Zeiten, so mit viel sinnlosem Bumm Bumm und falscher Melancholie über Verluste, die wieder und wieder durchgekäut werden? Nein, ganz und gar nicht. Es ist mehr eine (fast) wahre Geschichte, die an Abenteuer von Herman Melville erinnert. Die Tatsache, dass von den 484 Passieren 249 starben, wird hier in Teilen geschildert.
    Wie Zoellner das macht, verdient herausgehoben zu werden. Sein Geflecht aus Literatur und Historie, gepaart mit großen Detailwissen sowohl über die Schifffahrt, als auch über den afrikanischen Kontinent, lassen die Handschrift eines echten Kenners und eines Schriftstellers erkennen, der einen großen Entwurf für vielerlei vorlegt, auch für eine Verfilmung. Geschickte Verflechtungen, glaubwürdige Charaktäre und eine straffe Handlungsführung weisen das Buch aus, sehr selten wirkt die Sprache etwas zu „blumig“, vielleicht, weil der historische Abenteuerroman dazu immer neigt.
    Wenn dann die Handlung auf den schauerliche Höhepunkt zustrebt, diesen erreicht und der Druck wieder nachlässt, kann auch hier bescheinigt werden, dass es sich nach menschlichem Ermessen und Überlieferung genauso abspielte. Was, wird hier nicht verraten. Nur so viel: der Buchumschlag in schickem Schwarz, so finster wie die Unterwasser selbst, lässt schemenhaft einen Riesenkalmaren aus dem Nichts kommen. Glühende Augen visieren den Betrachter, während die Tentakeln des Kopffüßler voraus nesselnd wie ein Alien seine Opfer ertasten.
    Marc Zoellner; S.O.S. Britannia Arnshaugk Verlag; 128 Seiten; ISBN 9783959302203

    Kommentar von Campo-News — 3. November 2022 @ 10:22

RSS-Feed für Kommentare zu diesem Beitrag. TrackBack-URL

Einen Kommentar hinterlassen

You must be logged in to post a comment.

kostenloser Counter

Weblog counter