Frisches aus Andorra
Der Lehrer in „Andorra“ (1960) von Max Frisch:
„Jud! Jud! Jud! Jedes dritte Wort. Kein Tag vergeht. Jedes zweite Wort. Kein Tag ohne Jud. Keine Nacht ohne Jud. Ich höre Jud wenn einer schnarcht. Jud Jud. Kein Witz ohne Jud. Kein Geschäft ohne Jud. Kein Fluch ohne Jud. Ich höre Jud wo keiner ist. Und Jud und Jud. Die Kinder spielen Jud wenn ich den Rücken drehe. Jeder plapperts nach, die Pferde wieherns in den Gassen Juuuuuhhhuuuuud! Juuuuuhhhuuuud! Ja gibt es denn gar nichts anderes mehr?“
Was wir derzeit auf der Freiluftbühne erleben ist ganz großes Theater und zwar dieses Stück - Biedermann und Brandstifter
Der Haarwasserfabrikant Gottlieb Biedermann ist ein wohlhabender, korrekter und ordnungsliebender Geschäftsmann und Hausbesitzer. Er ist aus der Zeitung bestens informiert und weiß, was im Städtchen vor sich geht. Daher hat er auch von der Bande der Brandstifter gehört, die stets mit derselben Vorgehensweise die Leute täuschen. Getarnt als harmlose Hausierer nisten sie sich auf dem Dachboden des Hauses ein, welches sie planen niederzubrennen.
Eines Abends steht ein Unbekannter vor seiner Tür und appelliert an seine Menschlichkeit. Der Mann stellt sich als Josef Schmitz vor, ein ehemaliger Ringer und nun Obdachloser. Biedermann lässt sich erweichen und stimmt der Übernachtung auf dem Dachboden zu. Er gefällt sich in der Rolle des Menschenfreunds, hat er doch gerade eben noch einen seiner Angestellten gefeuert. Am nächsten Tag taucht plötzlich ein zweiter Hausierer im Hause auf. Gemeinsam mit Schmitz lagern die beiden Fremden Benzinfässer auf dem Dachboden. Biedermann wird zwar misstrauisch, aber ignoriert das Offensichtliche und glaubt weiterhin an das Gute im Menschen.
“Biedermann und die Brandstifter†gehört neben “Andorra†zu den bekanntesten Werken von Max Frisch. Seit seiner Uraufführung 1958 am Schauspielhaus Zürich wurde es an zahlreichen deutschsprachigen Bühnen inszeniert und ist auch aus dem Deutschunterricht nicht wegzudenken. Max Frisch schrieb eine Parabel über die unheilvolle Fähigkeit des Menschen, eine drohende Gefahr zwar zu erkennen, aber um sich selbst zu schützen, diese lieber zu ignorieren.
Kommentar von Campo-News — 30. Oktober 2015 @ 09:23
Gestern in Werl: Biedermann und die Brandstifter u.a. mit Martin Semmelrogge. Eine zu 99% treffende Parabel auf die menschliche Ignoranz, die selbst angesichts klarster Fakten aus Feigheit, Selbstaufgabe und Nächstenliebe eine Willkommenskultur zelebriert, die in einer Katastrophe endet. Es fehlt lediglich eine Figur, die am Untergang ökonomisch profitiert. Ansonsten ist alles dabei: Der Biedermann (Gottlieb - das ist wörtlich zu nehmen) als deutscher Michel und komplizenhaft agierender “Menschenfreund†(dessen Geschäftspraktiken menschfeindlich sind), die Brandstifter (Ringer Schmitz und Knastbruder Eisenring) als Repräsentanten unnachgefragter Einnister, die verblödete gutmenschliche Staatsmacht usw..
Viele Linke wissen nicht, dass Frisch die kommunistische Infiltration vor Augen hatte, als er das Stück schrieb: “Der Umsturz vollzog sich in der Tschechoslowakei genau nach diesem Muster: Eine ahnungslose, biedere, vertrauensselige bürgerliche Gesellschaft nahm die bolschewistischen Brandstifter in ihr Haus auf und mußte es sich schließlich machtlos gefallen lassen, daß ihr die Eindringlinge das Staatsgebäude über dem Kopf anzündeten.“ Und auch Friedrich Torberg urteilte: „Ob er’s wollte oder nicht: Max Frisch hat hier die klassische Satire gegen den Kommunismus, gegen seine Infiltrationstechnik und seine bürgerlichen Handlanger geschrieben.†(Wikipedia)
HEUTE gibt es nur eine Lesart.
„Scherz ist die drittbeste Tarnung. Die Zweitbeste: Sentimentalität … Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.â€
Eine historische Variante aus dem Jahre 1963 mit Helmut Qualtinger, Fritz Muliar und Kurt Sowinetz - https://www.youtube.com/watch?v=jrGmNXjjDNk
Kommentar von Campo-News — 30. Oktober 2015 @ 09:27