TV-Tipp: Il Duce und seine Faschisten
ARTE 04.03.2009 | 21:00
Il Duce und seine Faschisten, in Farbe
Dokumentation von Chris Oxley, GB 2006
Das makabre Nachleben des Duce begann, als seine Leiche (und die seiner Maitresse Claretta Petacci) auf der Mailänder Piazzale Loreto an den Füßen aufgehängt und Bestialitäten ausgesetzt war, an denen sich die primitivsten Kannibalen entsetzt hätten
Nachdem der faschistische Diktator am 28. April 1945 von kommunistischen Partisanen erschossen worden war, stellte man seine sterblichen Überreste auf dem Piazzale Loreto in Mailand aus und überließ sie den Furien der Leichenschändung, die ganze Arbeit leisteten: Junge Burschen trampelten auf dem Toten herum. Einige Schaulustige hatten Gewehre und Pistolen mitgebracht und feuerten auf die Leiche. Andere bespuckten sie oder schlugen mit Peitschen und Ochsenziemern auf sie ein.
Die italienische Resistenza habe lediglich ein Urteil vollstreckt, das die Geschichte schon lange zuvor gefällt hatte - behaupteten diejenigen, die für Mussolinis Hinrichtung und das makabre Schauspiel in Mailand verantwortlich waren. Danach riss ihr heißer Draht zur Geschichte aber offenkundig ab, denn sie wussten nicht mehr, was sie mit dem Leichnam des “Duce” anfangen sollten. Schließlich verscharrte man ihn auf einem Mailänder Friedhof - in einem anonymen Grab, dessen Existenz und genaue Lage strengster Geheimhaltung unterlagen.
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Nur schwerlich auch die dezidierten Antifaschisten, die demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze nicht nur im Bürgerkrieg gegen die Faschisten mit Füßen traten, sondern auch danach noch missachteten. Dies zeigt vor allem die Tatsache, dass sie in der Hinrichtung Mussolinis eine Art Modell für die Behandlung politischer Gegner erblickten, an dem sie sich noch in den fünfziger und sechziger Jahren orientierten. Selbst die seit 1945 von den Christdemokraten geführte Regierung stolperte bei der geistigen Bewältigung der Hinterlassenschaft des Faschismus von einer Verlegenheit in die nächste. Fast möchte man sagen, sie fürchtete sich vor dem toten Diktator und hätte die Erinnerung an die Vergangenheit am liebsten ganz einfach getilgt.
Der tote “Duce” blieb so noch lange lebendig - für die einen als Vorbild, für die anderen als Feindbild und für die gesamte Gesellschaft als Gradmesser für die Stabilität von Demokratie und Rechtsstaat, die sich immer auch am Umgang mit der Vergangenheit ablesen lässt.
Hans Woller, Auszug
Lesetipp: Über die jüdische Faschistin Margherita Sarfatti
Keine andere Episode der italienischen Geschichte
ist so grauenhaft wie jene, die sich auf dem Piazzale
Loreto ereignet hat. Nicht einmal die Stämme der
Kannibalen vergehen sich so grausam an den Toten.
Allerdings muß man sagen, daß diese Mörder nicht
für die Zukunft, sondern für die Rückkehr des
primitiven Urmenschen stehen. […] Und man kann
auch nicht allein den Krieg für diese Grausamkeit
verantwortlich machen. Die Lynchmörder vom
Piazzale Loreto haben nie einen Schützengraben
gesehen; es handelt sich um Drückeberger oder
Minderjährige, die nie im Krieg gekämpft haben.
Benito Mussolini über die Schändung des Polizisten Giuseppe Ugolini durch Anarchisten und Sozialisten 1920
Der entstellte tote Körper Mussolinis hängt kopfüber vom Gitterdach einer Tankstelle am Piazzale Loreto in Mailand. Ein Bild, für das die Worte grausam oder bestialisch nicht weit genug gehen. Seine Augen sind leer; die Augenflüssigkeit ist längst herausgelaufen. Sein Gesicht ist gezeichnet von unzähligen Deformationen. Schädelbrüche, Kieferbrüche. Könnte ein menschlicher Körper mehr geschunden werden? Durch die bereits eingetretene Leichenstarre sind seine Hände nach innen gewölbt, was der Haltung der Leiche ein noch unterwürfigeres Antlitz verleiht.
Die Geschichte schreibt den 29. April 1945. Die italienischen Partisanen, das italienische Volk rächt sich grausam an dem Mann, der es über 20 Jahre lang führte. Er wurde jedoch von kommunistischen Partisanen erkannt, und zusammen mit seiner Gefährtin Clara Petacci am 28. April 1945 nach einer sogenannten Gerichtsverhandlung standrechtlich erschossen.
Der Eichborn Verlag hat nun dem sagenhaften Buch des Turiner Historikers Sergio Luzzatto über den Körper Mussolinis in der »Anderen Bibliothek« einen gebührenden Platz im Deutschen gegeben. Die Übersetzung von Michael von Killisch-Horn ist kongenial. Es ist ein unglaubliches Werk, ein Geschichtsbuch bei dessen Lektüre so manches Mal der Atem stockt. Es ist ein Buch über die Massaker des Faschismus über die es keine Bilder gibt. Und über die Massaker der Antifaschisten, die Sprache und Symbolik der Bilder zu inszenieren und zu nutzen wussten.
Bevor die Partisanen wirkungsmächtig den Duce wie ein geschlachtetes Schwein ans Gitter hängten, hatten sie den Leichnam auf den Platz geworfen. Die letzte Tat der deutschen Besatzer sollte nicht ungesühnt bleiben. Auch in diesem historischen Moment spielten sich ungeheuerliche Szenen ab. Die Umstehenden misshandelten die toten Körper mit Fußtritten. Als konnten sie sich an der Leiche rächen. Einer ruft höhnisch: »Lass uns jetzt deine Rede hören, lass uns deine Rede hören!« Eine Frau schießt auf den Leichnam; durchsiebt ihn mit Kugeln. Luzzattos Schilderung ist quasi die der italienischen Geschichte von Mussolinis Machtantritt bis heute aus der Perspektive des Körpers Mussolinis. Wie unendlich der Hass einiger gewesen sein muss, wird an einem Photo deutlich: Nach der Abnahme der Leiche vom Dach stehen drei uniformierte und bewaffnete Partisanen direkt am Sarg Mussolinis und lachen voller Verachtung und Genugtuung in das völlig entstellte Gesicht.
Matthias Lubinsky
Wie tote Schweine
Das entscheidende, im kollektiven Bewußtsein der Italiener tief eingesenkte Datum dieser ‚Epochenwende’ ist die barbarische Zurschaustellung des toten Duce und der gleich ihm wie tote Schweine aufgehängten Claretta Petacci und zwei weiterer faschistischer Führer. Mit dieser kurzen, radikalen und barbarischen Hinrichtung wurden zweifellos die Rachegefühle des den Faschismus ablehnenden Teils der italienischen Bevölkerung befriedigt. Aber eine demokratische Abrechnung mit einer Diktatur sieht anders aus. „So beginnt das Leben des freien Italien mit einer Feier des Todes. Die Ereignisse in Mailand sind für den Gründungsmythos des neuen Italien wahrlich nicht sehr rühmlich.“ Und waren alle, die an jenem Tag auf der Piazzale Loretto mit so viel Wut die am Galgen baumelnden faschistischen Tote feierten in den Jahren zuvor auch ebenso leidenschaftlich am Kampf der Resistenza beteiligt? „Die Italiener sind Faschisten oder Antifaschisten, wie es gerade paßt“, zitiert Luzzatto zustimmend aus dem Tagebuch eines italienischen Soldaten, der in einem amerikanischen Kriegsgefangenenlager inhaftiert war.
Wie ein Basso continuo durchzieht die Erinnerung an den Faschismus in allen nur denkbaren Varianten die italienische Nachkriegskultur. Luzzatto widmet dem Echo des Faschismus und des Anti-Faschismus in der italienischen Literatur ein eigenes Kapitel, in dem man zum Beispiel staunend erfährt, wie sehr auch literarische Größen wie Carlo Emilio Gadda von dem lebenden Duce ebenso fasziniert waren wie sie dann post mortem von ihm angewidert wurden. Lupenreine Antifaschisten waren nur die wenigsten unter den bekannten Schriftstellern jener Zeit.
Der Duce stirbt nie
Wie lebendig der tote Mussolini auch Jahrzehnte nach den Ereignissen auf der Piazzale Loretto noch in der Tagespolitik war, zeigt Luzzatto abschließend in seiner Rekonstruktion der Debatte um eine Ãœberführung des Leichnams nach Predappio, dem Geburtsort des Duce. Für die Regierungsbildung war die christdemokratische Partei angewiesen auf die Stimmen der Neo-Faschisten, die ihre Unterstützung jedoch abhängig machten von der Genehmigung eines Grabes für Mussolini in Predappio. Die machtorientierten Christdemokraten wußten natürlich, daß sie damit einen Pilgerort für die Ewiggestrigen zuließen. Aber verpflichtet der katholische Glaube nicht zur Pietät gegenüber den Toten…? Einer wirklichen Auseinandersetzung mit dem fortwirkenden Faschismus in Italien konnte man sich so, auf seine christliche Nächstenliebe berufend, entziehen. Und das letzte Urteil über das Leben des Benito Mussolini wird letztlich sowieso nicht von einem irdischen Gericht gesprochen….
Dass diese historische Untersuchung von Sergio Luzzatto bis zur letzten Seite spannend bleibt und sich wegen einer oft wunderbar leicht eingefügten Ironie auch sehr unterhaltsam liest, ist auch der glänzenden Übersetzung von Michael von Killisch-Horn zu verdanken. Hoffentlich wird das neueste Buch von Sergio Luzzatto über den merkwürdigen italienischen Nationalheiligen Padre Pio auch möglichst bald ins Deutsche übersetzt. Der schräge Blick von Luzzatto auf die Zeitgeschichte sollte auch bei uns Schule machen.
Carl Wilhelm Macke über das Buch von Sergio Luzzatto: Il Duce - das Leben nach dem Tod
Nicht nur das, bei Wikipedia heißt es z.B., Hitler sei bei dem “Trauerzug zur Beisetzung Eisners, eines Sozialisten jüdischer Herkunft” dabeigewesen, war also einer, der das Ende die Räterepublik betrauerte.
Kommentar von Campo-News — 1. Mai 2009 @ 16:34
http://www.spiegel.de/einestages/clara-petacci-mussolinis-geliebte-folgte-ihm-bis-in-den-tod-a-1029933.html
Kommentar von Campo-News — 27. April 2015 @ 11:10
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-9086132.html
Kommentar von Campo-News — 15. März 2017 @ 19:04
Im Juni 1923 erregte Zetkin auf der Tagung des Exekutivkomitees der Komintern in Moskau mit ihren Thesen zum Klassencharakter des Faschismus, der im Jahr zuvor in Italien an die Macht gekommen war, Aufsehen. Der bei vielen Marxisten verbreiteten These, Mussolinis Diktatur sei als „bloßer bürgerlicher Terror“ und als Angstreaktion der Kapitalisten auf die Bedrohung durch die Oktoberrevolution zu verstehen, erteilte sie eine scharfe Absage. In Wahrheit habe der Faschismus …
„[…] eine andere Wurzel. Es ist das Stocken, der schleppende Gang der Weltrevolution infolge des Verrats der reformistischen Führer der Arbeiterbewegung. Ein großer Teil der proletarisierten und von der Proletarisierung bedrohten klein- und mittelbürgerlichen Schichten, der Beamten und bürgerlichen Intellektuellen hatte die Kriegspsychologie mit einer gewissen Sympathie für den reformistischen Sozialismus ersetzt. Sie erhofften vom reformistischen Sozialismus dank der ‚Demokratie‘ eine Weltwende. Diese Erwartungen sind bitter enttäuscht worden. […] So kam es, dass sie nicht bloß den Glauben an die reformistischen Führer verloren, sondern an den Sozialismus selbst.“
Den Nationalsozialismus bezeichnete sie als „Strafe“ für das Verhalten der deutschen Sozialdemokratie in der Novemberrevolution. https://de.wikipedia.org/wiki/Clara_Zetkin
Kommentar von Campo-News — 24. März 2017 @ 07:54
„Ich bedauere nicht, dass ich Sozialist gewesen bin. Aber ich habe die Brücken zu dieser Vergangenheit abgebrochen. Ich bin nicht nostalgisch. Ich denke nicht darüber nach, zum Sozialismus zu gelangen, sondern darüber, von ihm loszukommen. In wirtschaftlichen Angelegenheiten sind wir Liberale, weil wir glauben, dass die nationale Wirtschaft nicht kollektiven Körperschaften oder der Bürokratie überlassen werden kann.“
Kommentar von Campo-News — 14. Mai 2017 @ 10:59
Der Zusammenstoß zwischen Mussolini und der Mafia war unvermeidlich. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46168991.html
https://www.welt.de/geschichte/zweiter-weltkrieg/article117826289/Ermoeglichte-die-Mafia-die-Invasion-Siziliens-1943.html
Kommentar von Campo-News — 5. Juni 2017 @ 09:20
http://www.spiegel.de/einestages/celeste-di-porto-juedische-nazi-kollaborateurin-entschied-ueber-leben-und-tod-a-1134709.html#ref=recom-outbrain
Kommentar von Campo-News — 9. August 2017 @ 14:16
http://ef-magazin.de/2017/08/25/11516-rechtsanarchistisches-denken-anarcho-faschismus
https://www.heise.de/tp/features/Bjoern-Hoecke-droht-mit-Dunkeldeutschland-4186178.html?seite=all
https://jungefreiheit.de/politik/ausland/2019/eu-parlamentspraesident-tajani-lobt-mussolini/?fbclid=IwAR3Og_Ywj4Iv_iY__xTrOmW37IE8eVFPb5KUIlBcoiWxVU5mGh6BuAlmXjo
Kommentar von Campo-News — 25. August 2017 @ 16:25