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19. Oktober 2008

„Zurück zur Erde!“

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 09:13

Wall-E, „Der Letzte räumt die Erde auf“, - ein Kinofilm und seine Botschaft


“Ich beschwöre Euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu, und glaubt denen nicht, welche Euch von überirdischen Hoffnungen reden!”

Friedrich Nietzsche

Die letzten Menschen leben im Überfluss. Besser: Sie vegetieren mehr, als sie leben, in einem Raumschiff, in dem sämtliche unnützen Notwendigkeiten vorhanden sind. Hier lebt man nach dem Glückseligsbefehl: „Niemand muss zu Fuß gehen!“ So also liegen sie und ihre Vorfahren seit 700 Jahren in der Phantasielandschaft mit Riesenpool, Popcorn bis zum Erbrechen und Robotern als Diener herum, verfetten und langweilen sich. Dekadenz durchzieht sämtliche Lebensformen. Dick und dadurch androgyn, stecken alle in derselben Mischung aus rotfarbenem Strampel - und Ganzkörperbadeanzug und können aufgrund ihrer Körperfülle nicht mehr selbstständig laufen. Körperliche Liebe scheint es nicht zu geben. Ihre Kinder wachsen in gläsernen Kästen heran – von Geburt mit jenem Strampelanzug versehen: fett und auf dem Rücken liegend. In der Schlüssel-Szene des Films verlässt der Kommandant seine liegende Position und versucht auf seinen Füßen zu stehen, während Straussmusik „Zarathustra“, das Nietzsche-Motiv des Übermenschen, intoniert. Da wird mehr als mit dem Auge gezwinkert. Der Mensch, der längst unter den Menschen steht, beginnt von vorn, in dem er das Menschsein, welches mit dem aufrechten Gang begann, neu erlernt. Die stetige Entwicklung des Menschen zum Höheren durch ein Immer-Mehr an Technik und scheinbarer Vervollkommnung wird ab absurdum geführt, aber da wir ja in einem Disney-Film sind, wird die Katharsis mitgeliefert. Der Kampf gilt der Erhaltung des ersten Grün, das auf der Erde seit 700 Jahren gesichtet wurde: die Rückkehr der „letzten Menschen“ wird eingeleitet.

Zunächst aber gibt es da den kleinen, unermüdlichen Roboter „Wall-E“ (ausgesprochen Walli), der unermüdlich den Müll in einer gespenstischen, apokalyptischen Kulisse der Überbleibsel jener Zivilisation zusammensucht, die im Jahre 2110 den großen Zusammenbruch erlebte. Er hat sich in dieser Stein und Schuttwüste eingerichtet. Einige, ihm wichtige und nutzbare Gegenstände, hat er aus dem Müll gefischt und in seine vollautomatisch abriegelbare Wohnung – eine Art geschlossenen Container – und seinem dadaistisches Interieur integriert. Mittelpunkt ist ein Abspielgerät und ein Bildschirm, mit dem Wall-E am Liebsten alte Hollywood-Musikfilme anschaut. Liebeslieder und Tanzfilme mag er besonders gern, vor allem Szenen, in denen sich zwei Menschen liebevoll durch Hand-in-Hand-Berührungen nähern. Sieht man einmal von Peter Gabriels Abspannmusik ab, durchzieht den Streifen stets orchestriert klassische Hollywood-Filmmusik aus „Hello Dolly“. Jegliches Fehlen der „Press-Musike“, wie einst Kurt Tucholsky den stampfenden Takt der Marschmusik nannte, die in neuere Verpackung als „Hammerbeats“ unser aller Leben bis in jede Supermarktkettenecke durchdringt und ohne die kein Leinwald-Epos auskommt, macht sich äußerst angenehm bemerkbar.

Als Wall-E, dessen einziger Freud und Hausgenosse eine überlebende und sehr quirlige Kakerlake ist, eines Tages, einen zweiten auf der Erde ausgesetzten Roboter entdeckt, verliebt er sich über sämtliche Kettenräder. Er weiß noch nicht, dass dieser aus dem Raumschiff der Menschen mit dem Namen „Axiom“ (ursprünglich gedacht, um einen 5jährigen „Traumurlaub“ im All zu verbringen) zur Inspizierung der Erde geschickt wurde. Dieser Roboter entpuppt sich als ein weibliches Wesen namens „Eve“. Die zarten Annährungsversuche, die Wall-E unternimmt um Eve kennen und lieben zu lernen, gehören zu den schönsten Kinoszenen der letzten Jahre. Fraglich nur, warum beide scheppernd und abgehackt sprechen, als würden nicht schon heute Maschinen verständlicher reden können? Als aber beide eines Tages eine Pflanze entdecken, Eve sie in ihren Körper aufbewahrt und diese dabei wie ein Herz leuchtet, wird sie zum Mutterschiff beordert. Wall-E folgt ihr. Dort angekommen zetteln beide einen Aufstand der Roboter an. Der Kommandant des Schiffes kommt zu der Überzeugung, man müsse zurück zur Erde und sie wieder besiedeln. Nach Kämpfen mit widerstehenden Robotern aus dem Machtzentrum kehren alle zur Erde zurück, wo geduldig die Kakerlake wartet. Man gräbt die mitgeführte Pflanze wieder ein, gießt sie, lernt wieder gehen und – das geht aus dem Abspann hervor - erobert die Erde zurück. Mit der Zeit normalisieren sich auch die Leiber der Menschen wieder.

Der Film ist ohne Altersbegrenzung und so sieht man auch viele sehr junge Kinder im Vorführraum. Doch da agieren keine Teletubbies. Da wird eine sehr komplexe Abfolge von Bildern gezeigt, die, um sie richtig zu verstehen, schon einige Informationen zur Verarbeitung voraussetzen. Zwar ist die Botschaft einfach und selbst Teilbereiche daraus reichen ja manchmal um einen Lern – und Unterhaltungseffekt zu erzielen, aber es besteht doch die Gefahr für sehr junge Kinder, dass sie bei schneller Bilderfolge und 98 Minuten Dauer, doch nicht mehr als „bunte Bilder“ im Gedächtnis behalten. Unter der Ebene von acht Jahren scheint ein Verständnis des Filmes nicht wirklich möglich. Zur Botschaft sei noch gesagt, dass hier erfreulicherweise nicht mit dem Zeigefinger gedroht, doch in äußerst zugespitzter Weise Fakten gezeigt werden. Das Problem sind wir, unsere Lebensweise. Jeder, der da mitmacht, trägt seinen Anteil daran – da helfen auch keine Ablassscheine zur Beruhigung des Gewissens.

P.S. Der verzweifelt-optimistische Ausruf des Captain „Ich will NICHT überleben“ (weil sich das Leben unter diesen Umständen nicht mehr lohnt, erinnert an meine Satire „Schönes Grün- 2022, die nicht überleben wollen.“ Aber nicht nur das. Man lese und siehe.

2 Kommentare »

  1. Artikel

    Kommentar von Campo-News — 23. Oktober 2008 @ 07:38

  2. Der neue Disney “Oben” begeisterte mich nicht so, tendierte mir zu sehr zu einer überzogenen Action-Komödie (zumindest gegen Ende) und besaß ein paar nicht logische Elemente. Die “Moral” aber, das Abenteuer sei in Wirklichkeit nicht das klassische Abenteuer, sondern das alltägliche Familienleben, lässt aufhorchen, aber befriedigt nicht vollständig. Gesamtnote 4plus.

    Aber der Vorfilm, ist einer, der die Note 1 verdient. Hier ist er zu sehen. Teilweise wolkig.

    Kommentar von Campo-News — 24. Oktober 2009 @ 08:14

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