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27. April 2006

Von Piraten und Seemännern/Seeleuten

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 10:27

Nach Cowboys, Kölnern und Pinguinen hat man nun DIE Sensation ausgegraben: Es gab wohl auch einige schwule Piraten. Wieso nicht? Aus mehreren Gründen liegt das doch nahe.

Von Tanja Krienen




Heinrich Brinkmann, Die Goldenen Zitronen

1
Baby

Wenn man fünfzehn ist, ist der Ozean weit,
und bei Muttern ist’s eng, und man flieht.
Und die Welt steht offen dem Seemannskleid,
und der Seemann sei frei - aber Schiet!
Sind in Kingston morgen, in Tokio heut’,
es ist immer wieder dasselbe
Kombüsen gescheuert und Fässer verteert
Und machst Du mal schlapp, wird ein and’rer betreut -
mal Schwarze, mal Blonde, mal Gelbe.
Und kehrst du heim wie Mulatten gefärbt,
von Malaria und Sünden geplagt
und die Haut von Prügel und Sünden gegerbt,
das erste was Mutter dann sagt:
Baby, wo ist mein Baby?
Groß ist der Ozean, mein Baby ist klein!
Und wenn’s zum Nordpol fährt und wieder heimkehrt,
paßt Baby immer noch ins alte Bettchen hinein.
Lulelu (lulelu), mein Baby,
lulelu (lulelu), mein Baby,
schlafe du, mein Baby, ein.
Die Jahre kreisen, und wir vergreisen,
aber mein Baby, Baby bleibt klein!

Baby, Walter Mehring/ Friedrich Holländer

2
Wohin die Seefahrt mich im Leben trieb
Ich weiß noch heute was mir Mutter schrieb
In jedem Hafen kam ein Brief an Bord
Und immer schrieb sie: Bleib nicht so lange fort!

Ich weiß noch wie die erste Fahrt verlief
Ich schlich mich heimlich fort als Mutter schlief
Als sie erwachte war ich auf dem Meer
Im ersten Brief stand: Komm doch bald wieder her

Junge, komm bald wieder, bald wieder nach Haus
Junge, war nie wieder, nie wieder hinaus
Ich mach mir Sorgen, Sorgen um dich
Denk doch an Morgen, Denk doch an mich

Junge komm bald wieder, Freddy

3
Mit 14 Jahren fing er als Schiffsjunge an
Er war der Jüngste aber er war schon ein Mann
Ein Mann wie Baum und stark wie ein Bär
So fuhr das erste Mal übers Meer

Als Seemann hatte er seine 18 Karat
Und nach der 3. Reise, da war schon Maat
Und jeder Captain war hinter ihm her
Doch fiel ihm das Wechseln zu furchtbar schwer

Und als er eines Tag erster Steuermann war
Da liebte er ein Mädchen mit strohblondem Haar
Er gab ihr sein Herz, doch sie war ihm nicht treu!
So fuhr er bald wieder zur See: Ahoi!

Sie hieß Mary-Mann, Freddy

4
Jackie war als Seemann einer
Der so treu war wie sonst keiner
Doch am treuesten war er seinem Schiff

Treu war er auch seinem Mädchen
Seinem heißgeliebten Gretchen
Aber nur bis dass sein Dampfer pfiff

Ich bin bald wieder
Sprach er an Land zu ihr
Und dann ging er an Bord
Und blieb ein Jahr, ein Jahr, ein Jahr lang fort

Ich bin bald wieder hier, Freddy

5
Jeden Tag geht er durch viele Länder
Und sein Name ist Johnny oder Fred
Aber überall bleibt er ein Fremder
Und findet KEINEN der ihn versteht

Männerchor:
Allein, noch immer allein geht er durchs Leben
Wann wird es für ihn Herz voll Liebe geben
Wann wird das sein, wann wird das sein?

Noch immer allein, Freddy

6
Heimatlos sind viele auf der Welt
Heimatlos und einsam wie ich
Ãœberall verdiene ich mein Geld
Doch es wartet KEINER auf mich

Keine Freunde, keine Liebe
KEINER denkt an mich an das ganze Jahr

Heimatlos, Freddy

7
Wer kennt das heimlich stille Sehnen
Wer zählt die ungeweinten Tränen
Nur wer die Welt so wie ich gesehn
Nur der kann mich verstehn

Weit ist der Weg, Freddy

Schwule Piraten

Prinzipiell gibt es ja kaum etwas Asoziales als Piraten. Wenn wir z.B. den Bericht in der BILD lesen, fällt es uns wie Schuppen wie den Augen: es könnte wirklich sein, dass sie oft schwul waren.

Die Rolle der Homosexuellen in der Nazi-Zeit wurde schon mehrfach hier im Blog thematisiert und woran fühlt man sich wohl erinnert, wenn es heißt: „Sie kaperten und killten ohne Gnade“?!

„Sie lebten in einer nie endenden Leibesnot“, doch was für heutige Schwule auch in der Regel stets so bleiben wird, musste bei den Piraten nicht sein, aber wer schon einmal etwas von Darkrooms gehört hat, dem kommt es hier gewaltig, vor allem aber der Gedanke, dass sie brautchen, was sie suchten, weshalb der selbstgewählte Weg in die Bindung – und Hemmungslosigkeit nahe liegt: “Die Piraten trieben es unter Deck in ihren 40 Zentimeter breiten Hängematten. Dort stank es nach ungewaschenen Körpern, verwesten Ratten und Erbrochenem.“

Heute waschen sie sich, halten Katzen statt Ratten, und brechen nur noch wenn sie an AIDS erkrankt sind, weil „das quälende Gefühl des Unbefriedigtsein, das die Körper einander entgegentreibt“, zu stark ist. Völlig glaubhaft klingt zudem die letzte Passage: „Es soll sogar Schiffe gegeben haben, auf denen Schafe und Ziegen nicht nur als Proviant mitgeführt wurden, sondern auch als Sexobjekt.“

„Hey Patrick, hast du das Schaf gesehen?“
„Nein Ralph, das hat der Harpe oder der Klaus.“
„Stimmt nicht, ich hab es“, schreit Georg vergnügt.
„Und wo steckt die Ziege?“, fragt Dirk, „ist Hella damit wieder durchgebrannt?“
„Bleibt denn da noch etwas für den Jürgen, den Ole, den Volker oder dem Roger?“
„Schlimm wie das alles so stinkt. Aber auch schön, nicht Rex? Ach der ist ja gar nicht mehr da.“

Ähnlich der beinahe geschlossenen Männerwelt der Cowboys, zog die Seefahrt natürlicherweise Schwule an – aus psychologischen Gründen ist das schon nahe liegend. Da aber auch die Prostituierten stets ein gutes Geschäft mit den Seeleuten machten, liegt der Verdacht nahe, es wieder eine neue Sau durch die Medienlandschaft getrieben wird. Im Übrigen gibt es auch in Gefängnissen einen sexuellen Notstand, der sich homoerotisch, NICHT WIRKLICH homosexuell entlädt, ohne das diejenigen, die es ausüben, je an ein „schwules Leben“ dächten, denn dazu gehört eine vielschichtige Melange und eine absolute Bereitschaft .

Das Seefahrerleben, besonders das der Piraten, hatte es in sich, zog viele Phantasien an, war die Vorlage für gesellschaftsprengende Gedankenspiele. Anscheinend bis heute


Abschließend ein paar Beispiele.

Friggin In The Riggin

Sex Pistols

It was on the good ship Venus
By Christ, ya shoulda seen us
The figurehead was a whore in bed
And the mast, a mammoth penis

The captain of this lugger
He was a dirty bugger
He wasn’t fit to shovel shit
From one place to another

Chorus:
Friggin’ in the riggin’
Friggin’ in the riggin’
Friggin’ in the riggin’
There was fuck all else to do

The captains name was Morgan
By Christ, he was a gorgon
Ten times a day he’d stop and play
With his fuckin’ organ

The first mate’s name was Cooper
By Christ he was a trooper.
He jerked and jerked until he worked
Himself into a stupor

Chorus

The second mate was Andy
By Christ, he had a dandy
Till they crushed his cock on a jagged rock
For cumming in the brandy

The cabin boy was Flipper
He was a fuckin’ nipper
He stuffed his ass with broken glass
And circumcised the skipper

Chorus

The Captain’s wife was Mabel
To fuck she was not able
So the dirty shits, they nailed her tits
Across the barroom table

The Captain had a daughter
Who fell in deep sea water
And by her squeals we knew the eels
Had found ‘er sexual quarters

Repeat Chorus to Fade

Von Branntwein toll und Finsternissen!
Von unerhörten Güssen naß!
Vom Frost eiskalter Nacht zerrissen!
Im Mastkorb, von Gesichten blaß!
Von Sonne nackt gebrannt und krank!
(Die hatten sie im Winter lieb)
Aus Hunger, Fieber und Gestank
Sang alles, was noch übrig blieb:
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Kein Weizenfeld mit milden Winden
Selbst keine Schenke mit Musik
Kein Tanz mit Weibern und Absinthen
Kein Kartenspiel hielt sie zurück.
Sie hatten vor dem Knall das Zanken
Vor Mitternacht die Weiber satt:
Sie lieben nur verfaulte Planken
Ihr Schiff, das keine Heimat hat.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Mit seinen Ratten, seinen Löchern
Mit seiner Pest, mit Haut und Haar
Sie fluchten wüst darauf beim Bechern
Und liebten es, so wie es war.
Sie knoten sich mit ihren Haaren
Im Sturm in seinem Mastwerk fest:
Sie würden nur zum Himmel fahren
Wenn man dort Schiffe fahren läßt.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Sie häufen Seide, schöne Steine
Und Gold in ihr verfaultes Holz
Sie sind auf die geraubten Weine
In ihren wüsten Mägen stolz.
Um dürren Leib riecht toter Dschunken
Seide glühbunt nach Prozession
Doch sie zerstechen sich betrunken
Im Zank um einen Lampion.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Sie morden kalt und ohne Hassen
Was ihnen in die Zähne springt
Sie würgen Gurgeln so gelassen
Wie man ein Tau ins Mastwerk schlingt.
Sie trinken Sprit bei Leichenwachen
Nachts torkeln trunken sie in See
Und die, die übrig bleiben, lachen
Und winken mit der kleinen Zeh:
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Vor violetten Horizonten
Still unter bleichem Mond im Eis
Bei schwarzer Nacht in Frühjahrsmonden
Wo keiner von dem andern weiß
Sie lauern wolfgleich in den Sparren
Und treiben funkeläugig Mord
Und singen um nicht zu erstarren
Wie Kinder, trommelnd im Abort:
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Sie tragen ihren Bauch zum Fressen
Auf fremde Schiffe wie nach Haus
Und strecken selig im Vergessen
Ihn auf die fremden Frauen aus.
Sie leben schön wie noble Tiere
Im weichen Wind, im trunknen Blau!
Und oft besteigen sieben Stiere
Eine geraubte fremde Frau
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Wenn man viel Tanz in müden Beinen
Und Sprit in satten Bäuchen hat
Mag Mond und zugleich Sonne scheinen:
Man hat Gesang und Messer satt.
Die hellen Sternennächte schaukeln
Sie mit Musik in süße Ruh
Und mit geblähten Segeln gaukeln
Sie unbekannten Meeren zu.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Doch eines Abends im Aprile
Der keine Sterne für sie hat
Hat sie das Meer in aller Stille
Auf einmal plötzlich selber satt.
Der große Himmel, den sie lieben
Hüllt still in Rauch die Sternensicht
Und die geliebten Winde schieben
Die Wolken in das milde Licht.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Der leichte Wind des Mittags fächelt
Sie anfangs spielend in die Nacht
Und der Azur des Abends lächelt
Noch einmal über schwarzem Schacht.
Sie fühlen noch, wie voll Erbarmen
Das Meer mit ihnen heute wacht
Dann nimmt der Wind sie in die Arme
Und tötet sie vor Mitternacht.
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!

Noch einmal schmeißt die letzte Welle
Zum Himmel das verfluchte Schiff
Und da, in ihrer letzten Helle
Erkennen sie das große Riff.
Und ganz zuletzt in höchsten Masten
War es, weil Sturm so gar laut schrie
Als ob sie, die zur Hölle rasten
Noch einmal sangen, laut wie nie:
Oh Himmel, strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren! Nur
Laßt uns um Sankt Marie die See!
Ballade von den Seeräubern , Bertolt Brecht

Von Sonne krank und ganz von Regen zerfressen
Geraubten Lorbeer im zerrauften Haar
Hat er seine ganze Jugend, nur nicht ihre Träume vergessen
Lange das Dach, nie den Himmel, der drüber war.

O ihr, die ihr aus Himmel und Hölle vertrieben
Ihr Mörder, denen viel Leides geschah
Warum seid ihr nicht im Schoß eurer Mütter geblieben
Wo es stille war und man schlief und man war da?

Er aber sucht noch in absinthenen Meeren
Wenn er schon seine Mutter vergißt
Grinsend und fluchend und zuweilen nicht ohne Zähren
Immer das Land, wo es besser zu leben ist.

Schlendernd durch Höllen und gepeitscht durch Paradiese
Still und grinsend, vergehenden Gesichts
Träumt er gelegentlich von einer kleinen Wiese
Mit blauem Himmel drüber und sonst nichts.

Ballade von den Abenteurern
Text und Musik: Bertolt Brecht


Brechts “Legende von der Dirne Evelyn Roe”




Matrosen-Song, Bertolt Brecht

1

Meine Herren, heute sehen Sie mich Gläser abwaschen
Und ich mache das Bett für jeden.
Und Sie geben mir einen Penny und ich bedanke mich schnell
Und Sie sehen meine Lumpen und dies lumpige Hotel
Und Sie wissen nicht, mit wem Sie reden.
Aber eines Abends wird ein Geschrei sein am Hafen
Und man fragt: Was ist das für ein Geschrei?
Und man wird mich lächeln sehn bei meinen Gläsern
Und man sagt: Was lächelt die dabei?
Und ein Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird liegen am Kai.

2

Man sagt: Geh, wisch deine Gläser, mein Kind
Und man reicht mir den Penny hin.
Und der Penny wird genommen, und das Bett wird gemacht!
(Es wird keiner mehr drin schlafen in dieser Nacht.)
Und sie wissen immer noch nicht, wer ich bin.
Aber eines Abends wird ein Getös sein am Hafen
Und man fragt: Was ist das für ein Getös?
Und man wird mich stehen sehen hinterm Fenster
Und man sagt: Was lächelt die so bös?
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird beschiessen die Stadt.

3

Meine Herren, da wird ihr Lachen aufhören
Denn die Mauern werden fallen hin
Und die Stadt wird gemacht dem Erdboden gleich.
Nur ein lumpiges Hotel wird verschont von dem Streich
Und man fragt: Wer wohnt Besonderer darin?
Und in dieser Nacht wird ein Geschrei um das Hotel sein
Und man fragt: Warum wird das Hotel verschont?
Und man wird mich sehen treten aus der Tür am Morgen
Und man sagt: Die hat darin gewohnt?
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird beflaggen den Mast.

4

Und es werden kommen hundert gen Mittag an Land
Und werden in den Schatten treten
Und fangen einen jeglichen aus jeglicher Tür
Und legen ihn in Ketten und bringen vor mir
Und fragen: Welchen sollen wir töten?
Und an diesem Mittag wird es still sein am Hafen
Wenn man fragt, wer wohl sterben muss.
Und dann werden Sie mich sagen hören: Alle!
Und wenn dann der Kopf fällt, sag ich: Hoppla!
Und das Schiff mit acht Segeln
Und mit fünfzig Kanonen
Wird entschwinden mit mir.

Die Seeräuber-Jenny, Bertolt Brecht

Illustrationen von Klaus Ensikat, „Über die irdische Liebe und andere gewisse Welträtsel in Lieder und Balladen von Bertolt Brecht, Vorwort Günter Kunert, Eulenspiegel-Verlag, 1990, Printed in the German Democratic Republic

http://www.spiegel.de/spiegel/piraten-historiker-zertruemmern-den-mythos-vom-tollkuehnen-seeraeuber-a-1194256.html

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