Das Sozialismus-Experiment
Von Tanja Krienen
Der Beitrag erschien in der aktuellen “eigentümlich frei”, ef 9/05
Das Sozialismus-Experiment
Eine Dramarabel von Tanja Krienen
Er ahnte sogleich im tiefsten Innern, als er sich während einer Streiterei in seiner Stammkneipe „Zum ollen Bebel“ in Rage geredet, in die Hand des Kontrahenten einschlug und erregt ankündigte, er würde „diese Sache“ umsetzen, dass sie eine war, die man gewöhnlich dem Schnaps zuordnet (und tatsächlich diesem auch entsprungen war). Doch „diese Sache“ spukte anderseits seit langer Zeit in seinem Kopf herum, und als er von seinem Gegenüber heftig als „fauler, feiger Sprücheklopfer“ gescholten ward, blieb ihm – schon aus Gründen der Selbstachtung – keine andere Möglichkeit, als den Start eines „großes Dings“ anzukündigen. Der Name der Lokalität, wobei er das Wort in einem Zug aussprach, sei im „Heiligste Verpflichtung“, er schob nach „Allerheiligste Verpflichtung“.
Was war passiert? Er, Sascha A., der aktive Gewerkschafter, seit 25 Jahren Mitglied „seiner“ Organisation, hatte lautstark wieder „über die da oben“, die „doch nur abkassieren“ und „sich die Profite in die Tasche stecken“ gewettert, als ihm der „junge Schnösel“ mit dem spöttischen Lächeln immer wieder ins Wort fiel, u.a. mit den „provozierenden Sprüchen“: „Wenn du selbstständig wärest, würdest du sehen, welche Probleme es gibt, die vor allem durch die Aufrechterhaltung eurer Politik entstehen.“ Und: „Der Staat nimmt vor allem dort, wo wirklich gearbeitet wird, und gibt hauptsächlich denen, die weniger aktiv sind“, sowie: „Es kann nur das ausgegeben werden, was tatsächlich erwirtschaftet wird.“ Das alles empfand er natürlich als eine „neoliberale Frechheit“, es seien, so sagte er: „Sprüche der Manchester-Kapitalisten“. Doch der junge Mann ließ nicht locker und erwiderte, er, Sascha A., sei offensichtlich ein „auslaufendes Modell“, worauf dieser meinte, er würde ihm „noch zeigen, was ein gutes Modell ist“. Sein Kontrahent lachte nur und feixte: „Dann mach doch mal! Zeig doch mal mit deinen Genossen wie das ohne „Großkapitalisten“ und ohne „Heuschrecken“ funktioniert!“
Gesagt, getan – am nächsten Tag telefonierte er ein paar gute Kollegen und Genossen, die mit ihm auf einer Wellenlänge lagen und aus der gleichen Branche kamen zusammen, und sie vereinbarten einen gemeinsamen Termin um über „die Sache“ zu reden. Sein Vorschlag lautete: „Wir gründen eine Firma „Arbeitskollektiv Gas - und Wasser-Installationen – Perpetuum mobile“, die alle linken und fortschrittlichen Leute zusammenfasst und von der Ausbeutung durch die privaten „Handwerker-Kartelle“ befreit. Schnell wurde eine Kommission gegründet, ein Statut ausgearbeitet und dabei eine Reihe allgemeiner Grundsätze festgelegt wie: Gleicher Lohn für alle, umfassende Sozialleistungen, Betriebsrente, Gründung eines Kindergartens usw….
Innerhalb von vier Wochen war der organisatorische Komplex abgeschlossen. Gut 100 Arbeiter fanden sich in der Großstadt zusammen, und wurden mit unterschiedlichen Teilen „Jeder nach seinen Möglichkeiten“, Eigner des Kollektivs. Mit einer den Gewerkschaften verbundenen Bank hatten sie günstige Kredite ausgehandelt, die zur Anschaffung von Betriebsinventar, Renovierung des Bürogebäudes und vor allem des Wagenparks Verwendung fanden.
Es war ihnen selbst schon klar: Eine homogene Truppe waren sie nicht, sie einte die Vorstellung, man könne besser, kostengünstiger und effektiver produzieren, vor allem aber sei das Gesamtergebnis viel stärker sozialer ausgerichtet und selbstverständlich: humaner. Zwangsläufig wäre man „Teil des Systems“, jedoch müsse der Vorteil, der durch die „Abwesenheit von Ausbeutung“ entstünde, diesen Nachteil deutlich wettmachen.
Da man gänzlich auf hierarchische Strukturen verzichtete, war auch hier theoretisch ein Geldvorteil gegeben, denn der „Kauf der Arbeiterelite durch die herrschenden Klasse“ war ja nun entfallen. Die ersten disziplinarischen Probleme, die so manches Arbeitsteam bereits nach wenigen Tagen meldete, übersah man noch mit manchem Scherz, meinte, diejenigen, die sich allzu sehr an die Disziplin hielten, seien wohl „gut gedrillte Untertanen“, welche die „Ideologie der Arbeits – und Ausbeutergesellschaft“ besonders stark verinnerlicht hätten. Als die ersten Aufträge storniert wurden, und vier Arbeitsteams, die man Kolonnen genannt hatte, auf Grund unüberbrückbarer Differenzen auseinander fielen, berief man eine „Versammlung zwecks Koordination von Produktionsdifferenzen innerhalb antagonistischer Widersprüche“ ein.
Dort wurde auch Unmut über die Arbeit einiger weiblicher Kollektivmitglieder laut. Diese hätten bestimmte Tätigkeiten nicht so ausführen können, wie es das Arbeitsgebiet vorsah, und waren auch überdurchschnittlich oft ausgefallen, murrten einige der Arbeiter. Angesichts der insgesamt geringeren Arbeitsleistung bei gleichem Lohn, empfänden sie das „so nicht gerecht“, meldete man sich zu Wort, doch sie wurden sofort von der erdrückenden Mehrheit als „ideologisch nicht gefestigte, mehr als latente Sexisten“ bezeichnet. Drei Mitglieder des Gesamt-Kollektivs schieden nach diesem Meeting, welches man „Arbeitsplenum“ hieß, freiwillig aus, zwei hingegen wurden aus „disziplinarischen Gründen“ und „charakterlichen Schwächen“ ausgeschlossen. Einer fragte, wie es wäre, wenn das in der „offenen Gesellschaft“ geschehe, ob man ihm dann keine Unterstützung zu billigen, oder keine weitere Arbeit geben würde? Er habe sich, so sagte man im, mangels „fehlendem Bewusstsein“ und „geringer theoretischer Beschäftigung mit dem Subjekt“ so schuldig gemacht, dass er „ganz einfach gehen solle“, und zwar: „zügig“, es sei „kein weiterer Kommentar nötig“.
In den kommenden Wochen sanken die Auftragseingänge rapide. Es gab nur wenige in der Verwaltung, die bereit waren, die „Wolfgesetze der Werbung im Kapitalismus“ zu berücksichtigen, bzw. anzuwenden. Es gäbe dabei „unüberbrückbare psychologische Hemmnisse“, man empfände es „als pervers, Leute anzurufen oder zurückzurufen“ und dabei um „Aufträge zu betteln“. Die Leiterein der Kindergartentagesstätte, hier nur „Kita“ genannt, fiel zu dieser Zeit langfristig aus, weil „die günstige Prognose“, die man der Drogensüchtigen Gabriele Z. bei der Einstellung erteilt hatte, leider nicht eintrat, und so musste die Arbeitsstätte allein von einer angelernten Kinderpflegerin betreut werden. „Das hätten wir sonst nie akzeptiert“, sagte eine der Mütter dem Lokalblatt, das auf diesen Misstand aufmerksam gemacht wurde und nun ausführlich berichtete, „aber ich werde mich nun einen halben Tag, so lang es geht, zusätzlich einbringen, bis die Gabi wieder da ist.“
Die Reparaturwerkstatt litt chronisch an einem Belegungsmangel. Mehr als drei KFZ-Mechaniker waren einfach nicht „drin“. Schulungen, Freistunden, zusätzliche Kindererziehungstage und – in einem Fall – ein Ausfall durch Schwangerschaftsübungen, die der Mechaniker gemeinsam mit seiner Frau „aus Solidarität“ mitmachte, sorgten dafür, dass meist zwei oder drei Autos nicht ausfahren konnten. Freitagnachmittags schloss die Werkstatt Punkt 12.00 Uhr. Ohnehin wurden zwischen montags und donnerstags nur 7 1/2 Stunden pro Tag gearbeitet, um die 34 Stunden-Woche zu erreichen, die man beschlossen hatte, um „demonstrativ unter der Kampfgrenze zu bleiben.“
Wo denn die versprochenen Zusatzleistungen blieben, fragten die Frauen mancher Arbeiter auf der „Kollektiven Vollversammlung zum Zwecke der Rettung des Projektes Perpetuum mobile“. Die Abwesenheitsquote betrug über 25% - das war enttäuschend. Mehr noch, da so manche „Absetzbewegung“, wie es der Vorsitzende des „Vermittlungsrates humanitärer Gestaltungsprozesse“ ausdrückte, zu erkennen seien. Die Außenstände hätten schon jetzt – da das Experiment erst vier Monate dauerte – den Umfang eines ca. sechswöchigen, notwendigen Auftragsvolumen. Zusätzliche Leistungen seien nun „einfach nicht mehr möglich“, man bat „mit Nachdruck“ darum, „jede überflüssige Kontaktierung des Betriebsarztes drei Mal zu prüfen.“
Auch würde umgehend jene durch die Gender-Gruppe „Das Problem seid ihr, nicht wir!“ durchgesetzte „geschlechtsneutrale Arbeitsanzugsfarbe“ lila-rosa-türkis, auf Grund der „sich in der Praktik als wenig publikumsverkehrstauglich erwiesenen Farbgestaltung“ abgeschafft. Aber wer die illegalen Beschäftigen, die man „aus Solidarität selbstverständlich genau so entlohnt wie alle“ infrage stelle, obwohl sie nie zuvor in diesem Beruf gearbeitet hatten, sondern kurz zuvor aus Uganda, Nigeria und Somalia kamen, wo sie als Schafhirten, Reisbauern und Arbeitslose lebten, der „rüttelt an unseren Grundprinzipien der Solidarität: Niemand ist illegal.“
Einstimmig wurde das Vertrauensfrau (da geschlechtsunspezifischen Anreden vermieden werden sollten, wurden alle in der weiblichen Form ausgewiesen, um „die Welt ein Stück weit femininer zu gestalten) G. gewählt, der, so die Antragskommission, als „temporär begleitender Beobachterin mutmaßlicher Anti-Gerechtigkeitsbefürworter“ – eine Tätigkeit die der Klassenfeind gewöhnlich als „Stasi-Tätigkeit“ verunglimpft – schon seinerzeit in der DDR erfolgreich ausgeführt habe. Er solle nun „rigoros zum Wohle aller“, sämtliche „individuell verschuldeten Fehler dekadenter Elemente“ aufspüren. Es sei ein „skandalöser Vorwurf Ewiggestriger“, wenn diese davon sprächen, das System sei schuld an der Misere. „Perpetuum mobile“ sei quick lebendig, und existiere auch noch in….(Das Ende des Satzes ging im aufbrausenden Beifall unter „Hoch die nationale Arbeits-Solidarität“-Rufen unter).
Als zwei Wochen später der Konkursverwalter, das Ordnungsamt und Spezialisten der ortansässigen Psychiatrie auf dem Betriebs – und Verwaltungshof erschienen, wusste jeder, dass es zu Ende ging. Der Betrieb musste wegen Zahlungsunfähigkeit aufgeben.
Die Abgaben seien zu hoch gewesen, sagte später Sascha A., weil die Steuergesetze „zu restriktiv“ wären und keinen „Spielraum für Menschliches außerhalb des kapitalistischen Verwertungsprozesses“ gelassen hätten. In einer Presseerklärung teilte der Sprecher der Linkspartei mit, dies sei „wieder ein Beweis für die Unvereinbarkeit von Kapitalismus und Menschlichkeit, und müsse deshalb so schnell als möglich überwunden werden“. Auf Nachfragen, welches von beiden er überwinden wolle, sagte er, auf die „Provokation antisozialistischer und rechtskonservativer Medienvertreter“ würde das Volk in der nächster Zeit eine zielorientierte Antwort geben.
Seit einigen Tagen geht das Gerücht um, der weiterhin an seinen Idealen festhaltende Teil des „Pepetuum-Mobile-Kollektivs“ sei nach Cuba ausgewandert, und organisiere die nächste und noch erfolgreichere „Milch für alle cubanischen Kinder“ – Kampagne.
Prima - “Wir richten uns insbesondere an Physik- und Chemie-Leistungskurse und jene jungen Menschen, die technologisch in diesem Land demnächst Zukunft gestalten wollen/sollen/müssen”, schreibt Henning Zoz in einer E-Mail “an lokale Schulen und Bildungseinrichtungen”, die SPIEGEL ONLINE vorliegt.
Allerdings, so schreibt Zoz weiter: “Wir richten uns nicht an Menschen mit bunten Haaren, Blech im Gesicht und jene, die die Füße nicht heben und die Hose kaum auf den Hüften halten können und/oder eines ordentlichen Sprachgebrauches kaum mächtig sind.” Als “Aushängeschild Deutschlands in die Welt” würden die Veranstalter “angemessene Kleidung und Auftreten” erwarten. http://www.spiegel.de/karriere/berufsstart/wenden-zoz-chef-laedt-schueler-mit-piercings-aus-a-1081021.html
„Wir richten uns nicht an Menschen mit bunten Haaren, Blech im Gesicht und jene, die die Füße nicht heben und die Hose kaum auf den Hüften halten können und/oder eines ordentlichen Sprachgebrauches kaum mächtig sind. Kein Einlass für Vermummte – im Rathaus und im ZTC keine Mütze, keine Kapuzen und auch keinen Helm auf dem Kopf. Bei Teilnehmern aus mindestens 17 Ländern liefern wir ein Aushängeschild Deutschlands in die Welt und erwarten angemessene Kleidung und Auftreten.“ https://de.wikipedia.org/wiki/Henning_Zoz
Kommentar von Campo-News — 7. März 2016 @ 16:20
Und so sind ihre Plätze - https://jungefreiheit.de/politik/deutschland/2016/refugees-welcome-aber-nicht-bei-uns/
Kommentar von Campo-News — 6. April 2016 @ 14:24
Etwas aus der Systemzeit, lang bevor man Fässer aufmachte, die nun nicht mehr zu schließen sind -
Das Sozialismus-Experiment
Der Beitrag erschien in der “eigentümlich freiâ€, ef 9/05
Eine Dramarabel von Tanja Krienen
Er ahnte sogleich im tiefsten Innern, als er sich während einer Streiterei in seiner Stammkneipe „Zum ollen Bebel“ in Rage geredet, in die Hand des Kontrahenten einschlug und erregt ankündigte, er würde „diese Sache“ umsetzen, dass sie eine war, die man gewöhnlich dem Schnaps zuordnet (und tatsächlich diesem auch entsprungen war). Doch „diese Sache“ spukte anderseits seit langer Zeit in seinem Kopf herum, und als er von seinem Gegenüber heftig als „fauler, feiger Sprücheklopfer“ gescholten ward, blieb ihm – schon aus Gründen der Selbstachtung – keine andere Möglichkeit, als den Start eines „großes Dings“ anzukündigen. Der Name der Lokalität, wobei er das Wort in einem Zug aussprach, sei im „Heiligste Verpflichtung“, er schob nach „Allerheiligste Verpflichtung“.
Was war passiert? Er, Sascha A., der aktive Gewerkschafter, seit 25 Jahren Mitglied „seiner“ Organisation, hatte lautstark wieder „über die da oben“, die „doch nur abkassieren“ und „sich die Profite in die Tasche stecken“ gewettert, als ihm der „junge Schnösel“ mit dem spöttischen Lächeln immer wieder ins Wort fiel, u.a. mit den „provozierenden Sprüchen“: „Wenn du selbstständig wärest, würdest du sehen, welche Probleme es gibt, die vor allem durch die Aufrechterhaltung eurer Politik entstehen.“ Und: „Der Staat nimmt vor allem dort, wo wirklich gearbeitet wird, und gibt hauptsächlich denen, die weniger aktiv sind“, sowie: „Es kann nur das ausgegeben werden, was tatsächlich erwirtschaftet wird.“ Das alles empfand er natürlich als eine „neoliberale Frechheit“, es seien, so sagte er: „Sprüche der Manchester-Kapitalisten“. Doch der junge Mann ließ nicht locker und erwiderte, er, Sascha A., sei offensichtlich ein „auslaufendes Modell“, worauf dieser meinte, er würde ihm „noch zeigen, was ein gutes Modell ist“. Sein Kontrahent lachte nur und feixte: „Dann mach doch mal! Zeig doch mal mit deinen Genossen wie das ohne „Großkapitalisten“ und ohne „Heuschrecken“ funktioniert!“
Gesagt, getan – am nächsten Tag telefonierte er ein paar gute Kollegen und Genossen, die mit ihm auf einer Wellenlänge lagen und aus der gleichen Branche kamen zusammen, und sie vereinbarten einen gemeinsamen Termin um über „die Sache“ zu reden. Sein Vorschlag lautete: „Wir gründen eine Firma „Arbeitskollektiv Gas - und Wasser-Installationen – Perpetuum mobile“, die alle linken und fortschrittlichen Leute zusammenfasst und von der Ausbeutung durch die privaten „Handwerker-Kartelle“ befreit. Schnell wurde eine Kommission gegründet, ein Statut ausgearbeitet und dabei eine Reihe allgemeiner Grundsätze festgelegt wie: Gleicher Lohn für alle, umfassende Sozialleistungen, Betriebsrente, Gründung eines Kindergartens usw….
Innerhalb von vier Wochen war der organisatorische Komplex abgeschlossen. Gut 100 Arbeiter fanden sich in der Großstadt zusammen, und wurden mit unterschiedlichen Teilen „Jeder nach seinen Möglichkeiten“, Eigner des Kollektivs. Mit einer den Gewerkschaften verbundenen Bank hatten sie günstige Kredite ausgehandelt, die zur Anschaffung von Betriebsinventar, Renovierung des Bürogebäudes und vor allem des Wagenparks Verwendung fanden.
Es war ihnen selbst schon klar: Eine homogene Truppe waren sie nicht, sie einte die Vorstellung, man könne besser, kostengünstiger und effektiver produzieren, vor allem aber sei das Gesamtergebnis viel stärker sozialer ausgerichtet und selbstverständlich: humaner. Zwangsläufig wäre man „Teil des Systems“, jedoch müsse der Vorteil, der durch die „Abwesenheit von Ausbeutung“ entstünde, diesen Nachteil deutlich wettmachen.
Da man gänzlich auf hierarchische Strukturen verzichtete, war auch hier theoretisch ein Geldvorteil gegeben, denn der „Kauf der Arbeiterelite durch die herrschenden Klasse“ war ja nun entfallen. Die ersten disziplinarischen Probleme, die so manches Arbeitsteam bereits nach wenigen Tagen meldete, übersah man noch mit manchem Scherz, meinte, diejenigen, die sich allzu sehr an die Disziplin hielten, seien wohl „gut gedrillte Untertanen“, welche die „Ideologie der Arbeits – und Ausbeutergesellschaft“ besonders stark verinnerlicht hätten. Als die ersten Aufträge storniert wurden, und vier Arbeitsteams, die man Kolonnen genannt hatte, auf Grund unüberbrückbarer Differenzen auseinander fielen, berief man eine „Versammlung zwecks Koordination von Produktionsdifferenzen innerhalb antagonistischer Widersprüche“ ein.
Dort wurde auch Unmut über die Arbeit einiger weiblicher Kollektivmitglieder laut. Diese hätten bestimmte Tätigkeiten nicht so ausführen können, wie es das Arbeitsgebiet vorsah, und waren auch überdurchschnittlich oft ausgefallen, murrten einige der Arbeiter. Angesichts der insgesamt geringeren Arbeitsleistung bei gleichem Lohn, empfänden sie das „so nicht gerecht“, meldete man sich zu Wort, doch sie wurden sofort von der erdrückenden Mehrheit als „ideologisch nicht gefestigte, mehr als latente Sexisten“ bezeichnet. Drei Mitglieder des Gesamt-Kollektivs schieden nach diesem Meeting, welches man „Arbeitsplenum“ hieß, freiwillig aus, zwei hingegen wurden aus „disziplinarischen Gründen“ und „charakterlichen Schwächen“ ausgeschlossen. Einer fragte, wie es wäre, wenn das in der „offenen Gesellschaft“ geschehe, ob man ihm dann keine Unterstützung zu billigen, oder keine weitere Arbeit geben würde? Er habe sich, so sagte man im, mangels „fehlendem Bewusstsein“ und „geringer theoretischer Beschäftigung mit dem Subjekt“ so schuldig gemacht, dass er „ganz einfach gehen solle“, und zwar: „zügig“, es sei „kein weiterer Kommentar nötig“.
In den kommenden Wochen sanken die Auftragseingänge rapide. Es gab nur wenige in der Verwaltung, die bereit waren, die „Wolfgesetze der Werbung im Kapitalismus“ zu berücksichtigen, bzw. anzuwenden. Es gäbe dabei „unüberbrückbare psychologische Hemmnisse“, man empfände es „als pervers, Leute anzurufen oder zurückzurufen“ und dabei um „Aufträge zu betteln“. Die Leiterein der Kindergartentagesstätte, hier nur „Kita“ genannt, fiel zu dieser Zeit langfristig aus, weil „die günstige Prognose“, die man der Drogensüchtigen Gabriele Z. bei der Einstellung erteilt hatte, leider nicht eintrat, und so musste die Arbeitsstätte allein von einer angelernten Kinderpflegerin betreut werden. „Das hätten wir sonst nie akzeptiert“, sagte eine der Mütter dem Lokalblatt, das auf diesen Misstand aufmerksam gemacht wurde und nun ausführlich berichtete, „aber ich werde mich nun einen halben Tag, so lang es geht, zusätzlich einbringen, bis die Gabi wieder da ist.“
Die Reparaturwerkstatt litt chronisch an einem Belegungsmangel. Mehr als drei KFZ-Mechaniker waren einfach nicht „drin“. Schulungen, Freistunden, zusätzliche Kindererziehungstage und – in einem Fall – ein Ausfall durch Schwangerschaftsübungen, die der Mechaniker gemeinsam mit seiner Frau „aus Solidarität“ mitmachte, sorgten dafür, dass meist zwei oder drei Autos nicht ausfahren konnten. Freitagnachmittags schloss die Werkstatt Punkt 12.00 Uhr. Ohnehin wurden zwischen montags und donnerstags nur 7 1/2 Stunden pro Tag gearbeitet, um die 34 Stunden-Woche zu erreichen, die man beschlossen hatte, um „demonstrativ unter der Kampfgrenze zu bleiben.“
Wo denn die versprochenen Zusatzleistungen blieben, fragten die Frauen mancher Arbeiter auf der „Kollektiven Vollversammlung zum Zwecke der Rettung des Projektes Perpetuum mobile“. Die Abwesenheitsquote betrug über 25% - das war enttäuschend. Mehr noch, da so manche „Absetzbewegung“, wie es der Vorsitzende des „Vermittlungsrates humanitärer Gestaltungsprozesse“ ausdrückte, zu erkennen seien. Die Außenstände hätten schon jetzt – da das Experiment erst vier Monate dauerte – den Umfang eines ca. sechswöchigen, notwendigen Auftragsvolumen. Zusätzliche Leistungen seien nun „einfach nicht mehr möglich“, man bat „mit Nachdruck“ darum, „jede überflüssige Kontaktierung des Betriebsarztes drei Mal zu prüfen.“
Auch würde umgehend jene durch die Gender-Gruppe „Das Problem seid ihr, nicht wir!“ durchgesetzte „geschlechtsneutrale Arbeitsanzugsfarbe“ lila-rosa-türkis, auf Grund der „sich in der Praktik als wenig publikumsverkehrstauglich erwiesenen Farbgestaltung“ abgeschafft. Aber wer die illegalen Beschäftigen, die man „aus Solidarität selbstverständlich genau so entlohnt wie alle“ infrage stelle, obwohl sie nie zuvor in diesem Beruf gearbeitet hatten, sondern kurz zuvor aus Uganda, Nigeria und Somalia kamen, wo sie als Schafhirten, Reisbauern und Arbeitslose lebten, der „rüttelt an unseren Grundprinzipien der Solidarität: Niemand ist illegal.“
Einstimmig wurde das Vertrauensfrau (da geschlechtsunspezifischen Anreden vermieden werden sollten, wurden alle in der weiblichen Form ausgewiesen, um „die Welt ein Stück weit femininer zu gestalten) G. gewählt, der, so die Antragskommission, als „temporär begleitender Beobachterin mutmaßlicher Anti-Gerechtigkeitsbefürworter“ – eine Tätigkeit die der Klassenfeind gewöhnlich als „Stasi-Tätigkeit“ verunglimpft – schon seinerzeit in der DDR erfolgreich ausgeführt habe. Er solle nun „rigoros zum Wohle aller“, sämtliche „individuell verschuldeten Fehler dekadenter Elemente“ aufspüren. Es sei ein „skandalöser Vorwurf Ewiggestriger“, wenn diese davon sprächen, das System sei schuld an der Misere. „Perpetuum mobile“ sei quick lebendig, und existiere auch noch in….(Das Ende des Satzes ging im aufbrausenden Beifall unter „Hoch die nationale Arbeits-Solidarität“-Rufen unter).
Als zwei Wochen später der Konkursverwalter, das Ordnungsamt und Spezialisten der ortansässigen Psychiatrie auf dem Betriebs – und Verwaltungshof erschienen, wusste jeder, dass es zu Ende ging. Der Betrieb musste wegen Zahlungsunfähigkeit aufgeben.
Die Abgaben seien zu hoch gewesen, sagte später Sascha A., weil die Steuergesetze „zu restriktiv“ wären und keinen „Spielraum für Menschliches außerhalb des kapitalistischen Verwertungsprozesses“ gelassen hätten. In einer Presseerklärung teilte der Sprecher der Linkspartei mit, dies sei „wieder ein Beweis für die Unvereinbarkeit von Kapitalismus und Menschlichkeit, und müsse deshalb so schnell als möglich überwunden werden“. Auf Nachfragen, welches von beiden er überwinden wolle, sagte er, auf die „Provokation antisozialistischer und rechtskonservativer Medienvertreter“ würde das Volk in der nächster Zeit eine zielorientierte Antwort geben.
Seit einigen Tagen geht das Gerücht um, der weiterhin an seinen Idealen festhaltende Teil des „Pepetuum-Mobile-Kollektivs“ sei nach Cuba ausgewandert, und organisiere die nächste und noch erfolgreichere „Milch für alle cubanischen Kinder“ – Kampagne. http://www.campodecriptana.de/index.php?page=presse_ef_dramarabel
Ein paar gut und ein paar weniger gute Ausführungen - https://www.achgut.com/artikel/die_rente_ist_unsicher_ein_vorschlag_zur_guete
https://ef-magazin.de/2020/07/29/17306-historische-fakten-zu-covid-19-die-ddr-und-das-coronavirus
https://ef-magazin.de/2020/08/22/17408-querdenken-demonstrationen-gegen-die-schon-lange-regierenden-querfront-an-allen-fronten
Tanja Krienen
30. November 2019 ·
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Ö2yx3/0
20:05 Uhr
Diese Kälte spüre ich nicht nur auf der Haut, sie legt sich auf die Lunge, die Nieren, das Herz, drückt, sticht. Anderseits empfinde ich eine Leichtigkeit, eine Euphorie. Und dann ist da diese Müdigkeit. Diese unerträgliche Müdigkeit und das Verlangen zu schlafen. Doch schlafen bedeutete hier draußen meinen Tod. Und wenn sie mich erreichen, dann…. Regungslos verharre ich jetzt sicher schon eine halbe Stunde in dieser beinahe uneinsehbaren Mulde. An ein Entrinnen von hier ist kaum zu denken. Meine Füße spüre ich kaum noch. Schuhe besitze ich schon etwa zehn Jahre nicht mehr. Wieso? Wieso und warum das alles? Alle Fragen, Empfindungen, selbst meine Sinne, sirren durch den Kopf, den Körper, pochen in den Fingerspitzen. Wann hat es angefangen?
Ich war noch ein Kind und kenne das Leben noch kurz nach der Jahrtausendwende (mein Geburtsort ist mir unbekannt. Meine Mutter wollte es so). Fünf Jahre muss ich alt gewesen sein, damals, 2005, als ich mit meiner Mutter in Südspanien lebte, wegen der Nähe zu Afrika, das sie doch so sehr liebte („Da komme ich her, hier bin ich zu Haus“). Sie nahm mich damals, an der Meerenge von Gibraltar, ganz fest in den Arm und sagte, hier würden immer Menschen sterben. Aber die Hoffnung auf eine Welt ohne Grenzen dürfe man nicht aufgeben. Schlimm sei die Welt. Ja, sicher. Aber diese wunderschönen Windkrafträder, die her aufgereiht wie an einer Perlenschnur standen, seien ein Vorbote und Hoffnung, wie die Zukunft in eine herrliche, angstfreie und solidarische, ohne Geld, ohne Machtgefälle, oder Geschlechterrollen umgewandelt werden könne.
20:17 Uhr
Meine Mutter war in einer Landkommune aufgewachsen, die meine Großmutter mit fünfzehn anderen Leuten Ende der 60er Jahre gründete. Großmutter starb wenige Jahre nach der Geburt ihrer Tochter an einer Überdosis Heroin. Die anderen Kommunarden zogen sie gemeinsam auf, bis sich die Kommune auflöste und meine Mutter mit etwa 14 Jahren in ein Kinderheim eingewiesen wurde. Meinen Vater kannte ich nicht, auch nicht meine beiden jüngeren Geschwister. Jedenfalls hatte ich meine Mutter immer bewundert. Alles was sie sagte schien Sinn zu machen. Sie war so frei und anders. Auffällig waren wohl ihre Sprunghaftigkeit, ihre Jähzornigkeit und ihre extreme Angst vor der Dunkelheit. Überhaupt ihre Ängste. Sie erzog mich zu einem sensiblen, sehr vorsichtigem Kind – manchmal schlug sie mich auch. Meine Kindheit erschien mir glücklich. Wir lebten wieder in Deutschland, doch besaßen fast nichts, wohl auch, weil meine Mutter jeglichen Besitz ablehnte. In der Schule wurde ich wegen meines nachlässigen Äußeren und meiner fehlenden Pausenbrote oft gehänselt. Meine Mutter arbeitete nur wenige Stunden im örtlichen Bioladen, kassierte außerdem „Stütze“ und sagte: „Kind, wenn ich alt bin, bekommen wir eine schöne Rente und sie wird für alle gleich sein.“. Ich durchlief alle wichtigen Station zur „Menschtierwerdung“ wie es in der Szene hieß, inklusive des Waldkindergartens, der Waldorfzeit und der Freakkaster-Vorschule, einer internen Fortbildung der „Grün-Braunen-Erlebniswelt“. Auch wenn ich schon 17 Jahre alt war, als wir freitags für unsere Zukunft zu streiken begannen, fühlte ich mich fast noch wie ein Kind, ohne Beruf und ohne Ambitionen. Mein „Elter Einzig“, wie ich zu meiner Mutter sagte, unterstützte mich bei meinen Freien Tag-Aktivitäten.
20:25 Uhr
War da ein Geräusch? Sicher war da etwas, aber was? Welches? Ich höre nur noch dumpf, alle Töne wie hinter einer Watteschicht – und die Kälte nimmt zu. Ich bin ein Wrack. Und ich trage Schuld an meinem Zustand. Bewusst habe ich ihn nicht herbeigeführt, ökologisches Leben war meine erste Bürgerpflicht, wenn ich das einmal pathetisch formulieren darf. Mir ist überhaupt nicht nach Formulierungen. Ich kann nicht mehr. Minus Nullkommanull. Doch wenn ich überlege, so kamen mir seit ungefähr meinem 25. Lebensjahr Zweifel, ob meine politischen Aktivitäten und meine gelebten Grundprinzipien wirklich richtig waren. „Nix Karnivore. Fix Kannibale“ hieß der Slogan der Radikalen unter uns, die man eine gewisse Zeit auch ächtete, ehe sie mehr und mehr durch ihre mediale Präsenz die ganz Jungen erreichten. Ausgang waren die Happenings der ganz Alten, die sich „Senioren-Dementer“ nannten (bewusst nach Demenz und Demeter) und sich aus der Pflegeszene der Alt-68er rekrutierten, die mit Kotwerfen, Schlierenattentate in Supermärkten durch ihre jüngeren mobilen Vertreter und „Panikschreien“ – eine Aktion, in der sich auch getarnt junge Leute mischten – für Publicity sorgten, auch weil der damals 81jährige Chef der größten Sendeanstalt des „Gründeutschen Landes“ ausgerufen hatte „Wir alle sitzen in der Falle, riechen streng und wollen das auch“ und damit die Aktivisten erst öffentlich so richtig bekannt machte. Diese ganzen Aktivitäten waren aus dem Ruder gelaufen und ich merkte zudem, wie das freie Leben als Lebens – und Gesellschaftsentwurf nicht mehr gewünscht war.
20: 33 Ich lausche in die Nacht. Nacht ist überall. Wo ist mein Körper? Noch funktioniert mein Hirn. Die Schläfen pochen. Ich erinnere mich: Durch freie Wahlen an die Macht gelangt, hatte sich der „Große Klimarat“ zur „Ewigkeitsregierung“ ausgerufen und weitere Wahlen bis auf weiteres „zum Schutze der Welt“, wie es offiziell hieß, ausgesetzt. Als die Grundsätze des „Größen Ökologischen Weltrates“ zum „Weltgrundgesetz“ erklärt wurden, hatte ich mich aus allen Aktivitäten längst zurückgezogen. Meine Mutter bat kurz vor ihrem 60. Geburtstag den 2025 initiierten „Guten Allgemeinen Suizidrat“ um Hilfe, der ihr darauf erklärte, sie, besonders sie, müssen den Tod nicht fürchten, und das Heil läge auf der Seite der vegetativen Glaubensleute, die bekanntlich längst als Institution alle Entscheidungen des gesellschaftlichen Lebens durch ihre objektiven „Spiegelungen aus dem Bauch heraus“ entschieden. Sie hatte sich dem Rat gefügt. Ich muss gestehen, dass ich sie nicht wirklich vermisste, wenn man von den gehäkelten Taschentücher absieht und den als Abfallprodukt gefertigten „Popowischern“, die sie überall bei den Eingeweihten bekannt machte. Im Ökoladen waren sie echter Renner und verkauften sich gut, etwa dreimal pro Woche. Ansonsten verkaufte sich nur das, was in einem sehr komplizierten Verfahren von der „Kommission zur Rettung Naturgegebener Ressourcen und ihrer Aussicht auf Verwertbarkeit“ (KZRNRAV)“ genehmigt wurde. Ohne die Kommission lief nichts. Ihre Mitglieder mit 99,9% Zustimmung gewählt, wer nicht wählte, oder gar in Verruf geriet nicht mit dem propagierten Kurs überein zustimmen, wurde einer Sonderbehandlung unterzogen. Nicht jeder überlebte diese, die meisten zogen sich danach zurück. Und war es zu diesem Zeitpunkt noch egal, weil wir mit dem oppositionellen Kurs nicht einverstanden waren. Ich war inzwischen sehr gegen diese Entwicklung, aber das Erbe unserer ökologischen Anschauungen, von Hahnemann über Himmler bis zu Gruhl wollte ich nicht verraten. Nicht alles war früher schlecht, sagte ich mir.
20:45 Uhr
Die Ereignisse überschlugen sich nun. Die Bewegung „Nix Karnivore. Fix Kannibale“ hatte sich auf allen Ebenen durchgesetzt. Inzwischen regnete es zwar doppelt so oft als früher, es war auch 3 Grad kälter als in der Referenzperiode 1961-1991, aber das alles galt nach UN-Beschluss als „Extremwetter positiv“, dem das „Extremwetter negativ“, die Erwärmung, bald folgen würde. Jedes Wetter mit Abweichungen von 0,5 Grad galt offiziell als „Extremwetter“. Tierschutz war uns absolut wichtig. Die Bewegung entschied, dass der Mensch auf Grund seiner „Historischen Belastung im Anthropozän“, unumkehrbar den Tieren unterzuordnen sei und anstatt ihrer getötet werden könne, so es das Überleben anderer Lebewesen sichere. Vereinzelt gab es damals schon Opferungen von Kranken zugunsten von Wespen, Spinnen und Kakerlaken, die mit ihren Überresten gefüttert wurden. Was war das? War da nicht ein Knacken im Unterholz? Wie nah waren sie?
20:53 Uhr
Als sich das „Neue Ökologische Zeitalter“ (NÖZ) des „Klimaoptimismus´“ (ein feststehender Begriff für die Aufgaben des Alltags) weltweit etablierte, war an Widerstand im eigentlichen Sinne gar nicht mehr zu denken. Im Grunde bestand unsere einzige Möglichkeit gegen das System zu agieren, im verbalen Austausch, organisiert in sehr überschaubaren und sehr kleinen Gruppen, bzw. Zirkeln, von maximal sieben Personen. Nur der Leiter einer solchen Gruppe kannte andere Gruppenvorstände, die wiederum mit weiteren verwoben waren. Wie viele wir wirklich waren wusste niemand ganz genau, doch die Struktur und die Notwendigkeit der Geheimhaltung, auch der extrem genauen Überprüfung neuer Zirkelkandidaten, sorgten dafür, dass wir keine echte Massenbasis gewinnen konnten und im Wesentlichen isolierte Individuen waren, die sich kaum jemanden mitteilen konnten, ohne Gefahr zu laufen, selbst von den eigenen Kindern oder Enkelkindern buchstäblich ans Messer geliefert zu werden. Die Verwandtschaftsverhältnisse waren ohnehin nur schwer nachvollziehbar, wurden nur durch persönliche Kontakte rudimentär bekräftigt, denn es gab keine Familiennamen mehr. Auch keine Vornamen. Nur Bezeichnungen, Nummern. So war die „Anonyme Gerechte Gleichheit“ (AGG) besser herstellbar und sie war schließlich eines der obersten gesellschaftlichen Ziele.
In dieser Zeit erfuhr ich von systematischen Gräuel und Hinrichtungen, z.B. von Mehmet, der als 17 Jähriger mit einer 25 Jahre alten Frau geschlafen hatte; Kathrin, die man auf Anordnung der Gesundheitspolizei wegen drei Kilo Untergewicht zwangsgestopft und der man auf Grund ihres Berufsziels Model Fettzellen einspritzt hatte; Jan, der wegen seines Übergewichtes zu einem Jahr staatlich kontrollierten Fastens verurteilt worden war; Paul, der sich strikt bis zuletzt geweigert hatte, seine Glühbirnen gegen LEDs auszutauschen und auf dem elektrischen Stuhl buchstäblich verbrannt wurde; Meik, verschrobener Künstler ohne Broterwerb, der wegen eines Mantels mit echtem Pelzaufsatz, den seiner Großmutter einst gehört hatte und den er – ohne es zu wissen – im Kleiderschrank aufbewahrt hatte, vom Mob auf den Marktplatz gezerrt und gesteinigt worden war; Frank, den hier alle nur Elvis nannten und der sich mit einer Pistole bewaffnet gegen die Verschrottung seines Oldtimers gewehrt hatte und den man mit Auspuffgasen vergiftete; Bill, der seine Elektrogitarre und das Haarfärbemittel nicht abgeben wollte und zur Strafe alles trinken musste; Thorsten, den man bei dem Versuch erwischt hatte, drei Flaschen Bier aus dem Freistaat Grönland einzuschmuggeln (Alkohol war verboten, sein Verzehr wurde nicht unter zwei Jahren Arbeitslager bestraft) und nach Schwedentrunk-Tradition behandelt ward; Bille, eigentlich Sybille, die man gefangen hatte, weil sie öffentlich ein verbotenes Buch las fünf Jahre in abgedunkelter Einzelhaft hielt; Christopher, der zuerst in die Vereinigten Staaten über den Seeweg geflohen war, aber nach seiner Rückkehr wegen dortiger Inanspruchnahme eines Flugzeuges zu einer lebenslänglichen Haft verurteilt worden war; Anna, die Tabak im Garten angebaut hatte und wegen „unsachgemäßer Verwendung von Pflanzen“ mit nachwachsenem Bambusrohr gepfählt wurde; Samuel, der Pin-ups an seiner Schlafzimmerwand aufgehängt hatte und den man noch am Tage des Verbotes sämtlicher Pornographie durch die Ex-Reichsjugendführerin Schwarzel vor der Hinrichtung auch zwangskastriert hatte; usw.
20:57
Uhr Ich kann keinen Schritt mehr gehen, meine Beine machen nicht mehr mit, mein Verstand spielt mir Streiche. Vorhin sah ich meine Großmutter, die ich doch nur von Fotos kenne. Sie sang: „Lebe glücklich, lebe froh“, ein altes Lied der frühen Friedensbewegung. Wir tanzten wild. Und wir lachten. Lachen. Noch einmal lachen. Dann war ich wieder allein. Allein? Oder war ich schon umzingelt und sie setzten an mich zu erwischen? So wie vor zwei Jahren, als sie mich fast überwältigt hatten und ich mit letzten Kraft entweichen konnte. Dass ich solange überleben konnte, verdanke ich nur den Resten unserer Gruppe, zwei alten Bekannten, die ebenfalls überlebten.
20:59 Uhr
Gestern wurde ich verraten. Der letzte Überlebende unserer Gruppe muss ihnen von meinem Aufenthaltsort erzählt haben. Ob er schon immer ein Spitzel war, werde ich nicht mehr erfahren. Ich sah, als sie kamen, ihre Schatten auf der Lichtung und floh. Doch was hilft es? Es verlängert doch nur das Sterben. Sie werden mein Fleisch an Viehzüchter verkaufen oder an die hungernden Massen, die nach dem weitgehenden Zusammenbruch ihrer Ökolandwirtschaft auf etwas Verwertbares warten. Da. Meine Mutter. Sie streichelt mein Haar, gibt mir Schokolade und lässt einen Brummkreisel drehen. Sie weint. Ich fühle ihre Tränen. Ich weine auch. Den Stich, der mich in den Rücken trifft, fühle ich kaum, der Schnitt, der meine Kehle durchtrennt, lässt mich einen warmen Schwall Flüssiges auf meinen Schultern spüren. Das Vorletzte. Das Letzte sind die Beile, die auf mich niederprasseln und mich auf immer zerlegen.
„Auslesen“, sagt eine ruhige Frauenstimme. „Ö2yx4/9. Unsere Maschine macht keinen Fehler.“ Sie lächelt.
https://www.achgut.com/artikel/die_fuenfte_kolonne_2021
Kommentar von Campo-News — 7. August 2016 @ 16:53
Spielt es eine Rolle, ob ich mein Kind sehr früh in die Kita gebe oder selber betreue?
Stahl: Wenn Kinder zu früh in Kita kommen und das Sicherheitserleben nicht genug ausgeprägt ist, ist es später irreversibel. Diese Kinder sind dann viel schneller gestresst, weil sie nicht runterregulieren können. Das liegt auch daran, dass Kinder ein Jahr zu früh geboren werden, sie müssen eigentlich erst einmal „nachgebrütet“ werden.
Im ersten Jahr geht es nur um Sicherheit und Geborgenheit, was ehrlicherweise am besten die Mutter als Bezugsperson machen kann. Also Sicherheit durch Körperkontakt geben, aufheben, trösten, streicheln. Dadurch schüttet das Gehirn beruhigende Hormone aus. Das kindliche Gehirn kann nicht selbst Stress regulieren. Nur mit Mama und Papa spurt sich das Gehirn ein und das Kind bekommt Sicherheit. Wenn es aber zu früh und zu lange in der Kita ist, entsteht dieser Kreislauf nicht, sondern es entwickelt sich ein Hardware-Schaden.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr, heißt es https://www.focus.de/gesundheit/gesundleben/kinder-duerfen-nicht-zu-frueh-in-die-kita-sagt-bestseller-autorin-stefanie-stahl_id_57645080.html
Kommentar von Campo-News — 6. März 2022 @ 06:36