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30. April 2005

Zum 1. Mai

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 15:14

Von Tanja Krienen

Den Tätigen fehlt gewöhnlich die höhere Tätigkeit: ich meine die individuelle.
Die Tätigen rollen, wie der Stein rollt, gemäß der Dummheit der Mechanik. –

Alle Menschen zerfallen, wie zu allen Zeiten, so auch jetzt noch, in Sklaven und Freie;
denn wer von seinem Tage nicht zwei Drittel für sich hat, ist ein Sklave, er sei übrigens wer er wolle: Staatsmann, Kaufmann, Beamter und Gelehrter.

Friedrich Nietzsche, ,,Menschliches, Allzumenschliches“, 1878 -

Das schöne Geld der Arbeitswelt

– Der DGB, die Tradition und die große Pleite

Von Tanja Krienen

„Wir wollen die Arbeitswelt humanisieren“ tönten die Gewerkschaften. „Wir wollen mehr Lohn“, schreit die Belegschaft. Die Mitgliederzahlen sinken. Widerspruch in der zunehmend cool durchdachten Arbeitswelt wäre wünschenswert – debattiert wird jedoch wohl kalkuliert an der Oberfläche mit Stimmungen und dem alten Bart, den viele der Agierenden zur Schau und spazieren tragen, denn -…

Es wird der Status Quo zementiert; notwendige Veränderungen - möglich und sinnvoll - durch Geldzahlungen befriedet. Eine Diskussion darüber findet nicht statt! Paul Lafargues Müßiggang – abzüglich idealistischer Schwärmereien – wird unter den Proletariern verachtet. Wenn er stattfindet, dann als billiges Spektakel, als simple Belustigung, gedacht und bemessen wird dabei: Nichts!

Man nimmt sie hin, die Hatz, die Einfalt des tagtäglichen Einerleis, auch Stumpfheit, welche durch immergleiche Handlungen, die schöpferischen unter den Menschenmaschinen, fast bis in den Wahnsinn treibt. Unterordnung herrscht vor, weil Fragen stören; Initiativen Einzelner werden skeptisch beäugt, da sie eine Autoritätsverschiebung darstellen; Misstrauen wird gesät, weil es zur Differenzierung der Belegschaft beiträgt.

Der Laden brummt. Die Lautsprecher dröhnen. Sie blöken unentwegt das Lied im Stil der Pressmusike. Der Rhythmus klebt im Raum. Er sickert in die Gemüter. Hier und dort strömt Duft aus einem Plastikgehäuse. Tag für Tag, Stunde für Stunde, - Pausen werden nervös abgesessen. „Für den Lärm muss es 10 Cent Zuschlag in der Stunde geben“, poltert der Betriebsrat. Alle nicken. Guter Mann, der schonungslos sagt, was Sache ist. Sie klopfen ihm auf die Schulter. Die Wiederwahl ist ihm sicher. Seine Schritte werden länger und breiter.

Es wird gehn. Das billige Glück, der breiteste Fernseher, die funktionellste Uhr, die Anlage mit noch dunkleren Bässen (für noch mehr nichts sagende Töne als je zuvor), das Auto mit allen Schikanen. Hat man es nicht, heißt man das Armut. Um nicht arm zu sein, werden die Rahmen-bedingungen jeden Morgen taxiert und verschämt begrüßt. Sonne fehlt sowieso.

Früher war alles besser. Die Bergmannskappelle spielte so schön. Jawoll, da wurde im Pütt malocht (Staublunge ab 45 garantiert), vor dem Hochofen um die Wette geglüht, mit heißer Schlacke getanzt, Plaste und Elaste durch die Nasen direkt ins Hirn gesogen. An diese Tradition erinnert man sich, schwelgt, beschwört – es hat das kleine Häuschen gebracht. Die Enkelkinder können nicht „Synagoge“ buchstabieren. Und fragt jemand doch mal: „Opa, wieviel Juden habt ihr puttemacht?“ sagt der: „Hamas Lexikon denn wieder verlegt?“

Die Arbeiterbewegung findet nicht statt. Sie hockt auf dem Campingplatz und schmort Würste, große Würste; sie klopft sich auf die breiten Schenkel, im Schunkel-Takt; sie hört die Lieder der „Geschwister Weißwäscher“; sie liest manchmal, die Frauen das „Bunte Blatt“ und die Männer jetzt auch ein Buch: „Die Dieter Bohlen-Biographie“ – dann diskutiert man bis spät in die Nacht, ob Naddel es mehr bringt als Verona. Geprügelt wird selten. Die Frauen werden nicht angesehn. Ihre übel riechenden Hunde fressen die Reste.

Ja, gesungen wird oft, doch sind darunter keine politischen Mailiedchen und schon gar nicht das von Erich Weinert aus dem Jahre 1923:

Sozialdemokratisches Mailiedchen
Stell auf den Tisch das Bild von Vater Bebel,
Den Vorwärts, Jahrgang 13, hol herbei,
Und klirre wieder mit dem Schutzmannsäbel
Wie einst im Mai
Lies mir noch mal die alten Manifeste,
Der ersten Jugend holde Schwärmerei,
Und reich mir wieder die gestrickte Weste
Wie einst im Mai

Noch einmal singt die INTERNATIONALE,
Doch macht nicht wieder solchen Krach dabei,
Und nicht mit so pathetischem Finale
Wie einst im Mai
Noch einmal tragt die feierlichen Fackeln
Die Reichswehr mit Musik ist auch dabei.
Wer weiß, ob uns nicht doch die Ärsche wackeln
Dereinst im Mai

Tanja Krienen

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