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1. April 2005

Harald Juhnke ist tot - Extrabreit-Interview

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 13:10

Harald Juhnke starb am Freitagmorgen im Alter von 75 Jahren, er lebte zuletzt in einem Pflegeheim für geistig verwirrte Menschen in der Nähe von Berlin. Aus diesem Anlass möchten wir an das Interview des CAMPO erinnern, das mit Kai Hawaii von EXTRABREIT, die mit Juhnke arbeiteten, gemacht wurde.

Sie bildeten eine der wichtigsten Bands der Neuen deutschen Welle (NDW) und sind nun nach einer vierjährigen Pause wieder sehr aktiv und EXTRABREIT im Einsatz. Ein Grund für den CAMPO, mit dem Sänger der Gruppe, „Kai Havaii“, ein Interview zu führen und noch mal zurück zu blicken; war es doch eine turbulente Zeit, damals, Ende der 70er, Anfang der 80er, denn, die -

„ DieVerhältnisse in der populären Musik schienen Kopf zu stehen.“

CAMPO: Du sprichst vom zunehmenden Hass auf Amerika. Bist du wirklich der Meinung, dieser wäre auch berechtigt? Ich meine: Die islamischen und feudalistischen Regimes knüpfen doch Leute mit individuellen oder extremen Lebensstilen – also so etwas wie dich und mich – an der nächsten Laterne auf. Hätten wir nicht mehr Grund, DIE zu hassen?

Kai Havaii: Dass ich nicht in einem fundamentalistischen „Gottesstaat“ leben möchte, ist nicht der Punkt. Es geht ja gerade darum, dass Amerika NICHT aus noblen Motiven handelt, sondern um seine strategisch dominierende Position auf Jahrzehnte hinaus zu befestigen und auszubauen. Der Hauptgrund für die Stärke der Islamisten ist ja gerade die fortgesetzte Demütigung der arabischen Welt durch die USA und die Doppelzüngigkeit ihrer Politik, die ja nicht nur Amerika-loyale feudalistische Regime wie das in Saudi-Arabien stützt, sondern auch im israelisch-palästinensischen Konflikt ständig mit zweierlei Maß misst. All das hat die moralische Glaubwürdigkeit der US-britischen Politik so nachhaltig zerstört, dass immer mehr Araber ihr Heil im radikalen Fundamentalismus suchen und auch der islamistische Terror immer neue Nahrung erhält.

Was meine persönlichen Gefühle gegenüber Regimes à la Taliban betrifft, möchte ich hier nur kurz Keith Richards zitieren, der es so ausgedrückt hat: „Sie haben keinen Beat – sie mögen keine Frauen – was also verstehen sie schon vom Leben?“

CAMPO: Der Musikjournalist Hollow Skai, hat schon 1981 die „endgültige Geschichte“ des Punks geschrieben und meinte, 1976/77 habe weltweit etwas in der Luft gelegen. Wann hast du gemerkt, dass die Chance bestand, die bis dahin vorherrschende Dominanz glatt gebügelter John Travolta-Figuren und Schlagersusen auf der einen und Bombast-Rockern - die längst die Ursprünge der Musik verrieten, auf der anderen Seite - mit schnellen Rhythmen und provozierenden Texten auf die Plätze zu verweisen?

Kai Havaii: Nichts gegen John Travolta und „Saturday Night Fever“, das ist ein sehr guter Film, wie ich allerdings erst viel später festgestellt habe, damals hat mich das in der Tat nicht interessiert. Bis die Pistols kamen, hörte man bei uns in der WG eher Zappa, auch Reggae. Richtig wahrgenommen habe ich Punk aber erst 1977, da begannen die Uhren anders zu laufen, wobei daraus ja auch sehr schnell eine vielfältige „New Wave“ – Szene entstand. Neben PISTOLS oder RAMONES haben wir z.B. B 52‘s bis zur Vergasung gehört, auch THE CURE, ECHO & THE BUNNYMEN, JOY DIVISION, alles…

Und dass damals etwas in der Luft lag, stimmt natürlich. Diese „Kulturrevolution“ hatte etwas sehr Befreiendes, die Rückkehr zu Klarheit, Schärfe und Authentizität. Wobei sich das durchaus mit einem leicht diffusen, „linken“ Lebensgefühl vertrug.

CAMPO: „Nur Nina ist nicht aus Hagen“ lautete ein bekannter Spruch, weil in und um eurer Heimatstadt Hagen tatsächlich Ende der 70er/Anfang der 80er viele Fäden des Punks und New Waves zusammen liefen: Der leider schon verstorbene Carlo Karges, der später zu Nenas Band gehörte, spielte kurz bei Extrabreit, Nena selbst machte ihre ersten Schritte mit den Stripes, die Humpe-Sisters (Ideal, Neonbabies) kamen aus der direkten Nachbarstadt usw.. – hast du die Szene damals als eine Einheit gesehen oder gab es „unversöhnliche Gegensätze“?

Kai Havaii: Es gab durchaus klare Grenzen innerhalb der Musikszene, das betraf besonders die schon erwähnte Abkehr vom 70er-Pomp-Rock. GROBSCHNITT z.B., die ja eine national sehr bekannte Hagener Band waren, waren für uns definitiv keine Vorbilder. Hunter stieß zu uns nicht weil, sondern obwohl er bei GROBSCHNITT gespielt hatte.

Die STRIPES fand man musikalisch ganz okay, aber die englischen Trallala-Texte gingen für uns gar nicht. Die Humpes mit NEONBABIES und IDEAL fand ich gut, da war schon Geistesverwandtschaft. Die gab es auch mit Carlo Karges, obwohl der auch in Bands wie NOVALIS begonnen hatte, die eher für das Alte standen. Carlo hat aber immer schnell die Zeichen der Zeit erkannt und sich dann ja auch zu einem Schreiber moderner deutscher Popsongs entwickelt.

CAMPO: „Anything goes“ hieß das Prinzip Anfang der 80er Jahre, das Leben schien wie elektrisiert; Alt-Hipppies waren out, unlustige Polit-Revolutionäre dem Spott freigegeben und Provokationen unkonventioneller Art en vogue. Es war wie zu revolutionären DADA-Zeiten
alle paar Wochen gab es neue Varianten! Warum konnten letztlich doch „Gutmenschen“ und die „Political Correctness“ – auch in der Musik – triumphieren?

Kai Havaii: „Das Leben schien wie elektrisiert“ trifft es gut. Die Verhältnisse in der populären Musik schienen Kopf zu stehen. Etablierte Schlagersänger verkauften kaum noch Platten, ein Song wie „Polizisten“ in den Top Twenty, TRIO, DAF, FEHLFARBEN – da war schon was los. Aber wie bei allen „Revolutionen“ folgte dann eine restaurative Phase, verstärkt durch die „Industrialisierung“ und Verflachung der so genannten „NDW“. Aber in dieser Zeit ist der Grundstein einer vielfältigen deutschen Musikkultur gelegt worden, weswegen in Hip-Hop und Techno-Kreisen deutsche Musik aus den 80ern ja gerne auch als „Old School“ bezeichnet wird…

CAMPO: Ihr ward der Schrecken der Etablierten; Hitparaden-Heck wünschte, ihr solltet euch möglichst bald „wieder mit Kernseife waschen”, der Sozialkitsch-Komponisten-Sängerdarsteller Udo Jürgens, der mit bürgerlichem Namen Bockelmann heißt, ließ euch aus dem Hotel entfernen, nur weil ihn jemand aus der Gruppe (für eine derartige Existenz doch sehr freundlich formuliert) mit: „Na, Bockelmann, du altes Arschloch, wie geht’s denn so?” begrüßte – war es Absicht die Bad Boys zu verkörpern oder rutscht man in dem Milieu automatisch in diese Rolle, wenn man gewissen Prinzipien treu bleibt?

Kai Havaii: Diese Sache mit Udo Jürgens ist hochgespielt worden. Ich habe persönlich überhaupt keinen Hass auf den Mann, habe vor ein paar Jahren noch mit ihm und Juhnke in einer Hotelbar gesessen.

Aber dieses „Bad Boy“-Image passte eben zu uns und wurde auch gefühlsmäßig von uns aufgegriffen. Es ist ein exzellentes Image, viel besser als „der nette Junge von nebenan“ und es traf ja den richtigen Kern: ich mit meiner großen Klappe und den Revoluzzer-Attitüden, Stefan, der die Band in einer Lebenssituation von Langeweile und Perspektivlosigkeit gegründet hatte, später z. B. auch Hunter, der vorher aus zwei Bands rausgeflogen war – wir waren eben nicht diese glatten Typen und wollten das auch nicht sein.

CAMPO: Mit Hildegard Knef, Harald Juhnke und Marianne Rosenberg habt ihr in unterschiedlichen Phasen Eurer Karriere Lieder aufgenommen. Ist das nur in der Sparte „Trash“ abzulegen oder hatte es eine andere Bedeutung für die Band?

Kai Havaii: Der Begriff „Trash“ passt vielleicht auf die Zusammenarbeit mit Marianne, da steht eher die Ironie im Vordergrund, etwas scheinbar Gegensätzliches zusammen zu führen, wobei Marianne schon damals von ihrem „Lieber Paul McCartney“-Image weg wollte.

Hilde Knef habe ich aber schon als 14-Jähriger echt bewundert. Ihre Stimme, ihre Sprache. Ich mochte ihren Mut und ihr Durchhaltevermögen, aber auch ihre Zerbrechlichkeit. Im Übrigen ist „Rote Rosen“ ein Song von ganz besonderer Güte. Es war ein Glücksfall und so einen „Schlager“ zu machen, war ein reines Vergnügen. Die Begegnung und die Gespräche mit Hilde gehören auf jeden Fall zu den absoluten Highlights meines EXTRABREIT-Lebens und es war eine gute Sache, sie auch durch den „Rote Rosen“-Hit wieder mehr in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt zu haben. Danach standen dann ja alle Schlange, um irgendwas mit ihr zu machen.

Die Idee, mit Juhnke etwas zu singen, war eigentlich uralt und stammte noch aus dem Beginn der 80er, wo sich z.B. Punkbands „Harald Juhnkes Army“ nannten. Er war ja auch immer so ein Outlaw. Als es 1996 dazu kam, begannen seine Eskapaden aber schon ins Tragische zu kippen. „Nichts ist für immer“ wurde damals dann auch nicht so gut aufgenommen, allein die Kombination „Juhnke“ und „Extrabreit“ war vielen Leuten wohl too much. Dabei geht das Lied über ein „Hoch die Tassen“-Feeling weit hinaus.

CAMPO: Jedenfalls waren das echte Stars. Was hältst du eigentlich von der neuen Entwicklung künstlich „Superstars“ aus dem Nichts erschaffen zu wollen?

Der Begriff „Superstar“ wird hier end-demokratisiert, meinetwegen, aber ohne alle Ironie, so wie dieser ganzen Inszenierung jeder Humor abgeht. Ich muss dabei aber auch an Warhol und die berühmten „15 Minuten Ruhm“ denken, bloß noch mit einem Orwellschen Einschlag. Denn das Dauerfeuer eines Propaganda-Großgeschützes wie der BILD-Zeitung trägt natürlich sehr zu einem solchen Erfolg bei.

CAMPO: Krisen hat es immer mal in der Band und mit ihr gegeben, gilt dein Motto noch: „Auf die Fresse fliegen, aufstehn, weitermachen“?

Kai Havaii: Mir wäre es lieber, wenn wir in Zukunft auf den Füßen bleiben und ich bin guter Hoffnung, dass das auch so sein wird.

CAMPO: Dazu passt, dass ihr vor fünf Jahren euer „Abschiedskonzert“ gegeben habt, doch inzwischen wieder auf die Bühne gestiegen seid. Ist es schwer als Narzisse – ich nehme mal die Selbstbezichtigung aus „Hart wie Marmelade“ auf – abseits des Rampenlichtes zu leben?

Kai Havaii: Ich denke, dass jeder, der sich jahrelang auf eine Bühne gestellt hat und behauptet, er habe keine „narzisstischen“ Motive, nicht die Wahrheit sagt. Es ist ein besonderer Trip, vor einer Menge Leute zu stehen und sie zu rocken. Das hat viel mit Selbstbestätigung zu tun, aber auch mit Erotik. In einer Band ist es natürlich auch ein kollektives Erlebnis.

1998 allerdings waren wir aber in der Tat ausgebrannt. Daher der Entschluss, die Band aufzulösen – ein inzwischen revidierter Schritt. Die vier Jahre Pause haben uns gut getan, wir sind mit neuem Enthusiasmus bei der Sache.

CAMPO: Was habt ihr als Band in der nächsten Zeit vor?

Kai Havaii: Wir werden in diesem Jahr viel live spielen, einige Open Airs im Sommer und eine zusammenhängende Tour im Dezember. Am 31. Mai filmen wir im DOCKS in Hamburg ein Live-Konzert für die kommende Doppel-DVD, ein Projekt, das uns noch eine Weile beschäftigen wird. Zwischendurch haben wir unseren Fußball-Song „Er macht ihn rein“ von 1996 neu aufgenommen und produziert - Anlass sind die mehrwöchigen Feierlichkeiten und Freudenkundgebungen zum 40-jährigen Jubiläum der Fußball-Bundesliga, Ich habe Fußball immer geliebt – als Spiel und weil es etwas bietet, was C.G. Jung den „Trost der ewigen Wiederkehr“ genannt hat.

Zwischen den Konzerten arbeiten wir weiter an neuem Material, es wird aber wohl nächstes Frühjahr werden, bis ein neues Album erscheint.

1 Kommentar »

  1. Hunter ist tot

    Kommentar von Extra — 29. Oktober 2007 @ 20:52

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