Krass, der dritte Mann
Die nachfolgende Satire, geschrieben am Neujahrstag 2002, erwies sich schon - nach dem Dscherba-Attentat und den offenkundigen Verbindungen deutscher Islamisten zu Terrornetzwerken - als schreckliche Prophezeiung. Auch wenn schon überraschenderweise - wie ich feststellte - drei der zitierten Personen nicht mehr leben, so bleibt die Satire noch immer aktuell, es scheint, sie wird sogar mehr und mehr zum realen Fakt.
>>Abgeschickt von SWAD am 27 Dezember, 2001 um 03:13:27 Hallo, benötige für Einsätze alle mögliche Bombenanleitung oder inernetadressen wo man sie findet. Bitte schnellst möglich mailen. DANKE, SWAD Headquarter. CODE: 0#A5703XX (aus Sicherheitsgründen verändert von Tanja Krienen; aus dem - nationalen Anarchieforum)<<
Anmerkung: Das “Nationale Anarchieforum” wurde inzwischen von staatlichen Stelle geschlossen *g*
Krass, der dritte Mann
(eine Neujahrsgeschichte aus einem paralysierten Land)
Trotz schneidender Kälte war der Menschenauflauf groß, dort, an der Gedächtniskirche; stand doch einer davor, nur mit einem halb zerfledderten Kartoffelsack auf dem dürren Körper, barfuß, bleich, mit langen verfilzten Haaren, welche parallel zu einem fusseligen Bart hingen, über dem der wirre, unstete Blick einer unbestimmten Kreatur loderte. Warum diese Furcht, Schrecken, Unruhe und Gestank ausströmende Gestalt, so merkwürdig bekannt vorkam, wusste ein jeder sogleich, der sein Pappschild las, welches er mit buntem Band um den Hals trug, auf dem in großen Lettern stand: “Die neue Dreifaltigkeit: Gnade für John Walker, Freiheit für Richard Reid, mehr Knete für mich!” Sein Kampfhund neben ihm schiss auf das Pflaster.
Die Leute lachten und manche schüttelten den Kopf. Sie lachten nicht mehr, als er in stakkohaften Schreien losbrüllte: “Tötet die Imperialisten! Vernichtet alle Zionisten! Rettet uns vor der satanistischen Weltherrschaft! Glaubt nicht den Schulmedizinern! Brecht die jüdische Zinsknechtschaft! Verschrottet alle Autos! Liebet Eure Feinde! Freiheit für Öcalan! Vernichtet das Schweinesystem! Für den bewaffneten Kampf gegen die USA! Spendet für die rot-rote Berliner Regierung!” Die Polizei wurde schnell herbeigerufen. Nur unter Einsatz von Insektenspray, konnte sie sich der beinahe tierischen, aber sprechenden Existenz nähern und es letztlich abführen, unter dem Vorwurf der Blasphemie! Den Sprengstoff fand man erst bei der Durchsuchung seiner Plastiktüte.
“Krass ist das hier”, sagte er zu den Polizisten auf dem Revier. Manchmal auch: “Voll krass.” ,,Is´n Scheißjob, wa, Alter?”, sagte er im ersten Verhör, “aber Hauptsache Du arbeitest nicht für einen Juden, ey!” Sie nannten ihn nur noch “Krass”. Krass sollte später auch an seiner Zellentür stehen - im Trakt für schwer Geisteskranke. Zu jedem Verhör machte sich Krass in die Hose: “Das hab ich von Marc Dutreux gelernt”, lachte er, “der macht das auch immer, ist voll krass. Für Euch Scheißbullen der richtige Geruch.” Obwohl er nichts aussagte, konnte seine Identität festgestellt werden, - jedenfalls sein bisheriger Wohnsitz, wenn man diesen partout so aufwerten will. Eine Frau hatte sein Bild in der Zeitung gesehen. Seine Kellerwohnung am Prenzlauer Berg, teilte er mit drei anderen Personen, die zwischen Müll und Sperrmüll hausten, ohne fließendes Wasser, Betten oder Heizung. Sie lagen unter Urin und Kot verschmierten Decken, lasen anarchistische und kommunistische Bücher und Schriften wie “Hare Krishna und Dein Weg zur Erleuchtung” oder “Der Islam und seine gottgegebenen Gesetze” und lediglich ein Computer mit dem Aufkleber: Stoppt die Globalisierung! Jetzt! Schafft mehr Genuas! Für ein menschliches Miteinander! - zeugte davon, dass hier “Menschen” lebten. Hier saßen er und seine Kumpanen nächtelang und schickten ihre “Botschaften” ins Internet, beleidigten ehrbare Menschen oder organisierten kriminelle Aktionen.
Krass, so fand die Polizei heraus, hatte aushilfsweise im Krematorium gearbeitet, weil ihm das Leichenwaschen so viel Spaß machte, wie einige der Mitarbeiter zu berichten wussten. Er hatte sich als “Günter” vorgestellt, doch alle bezweifelten, dass dies sein richtiger Name war. Weil er ein ungeklärtes Verhältnis zu manchen Leichen entwickelte, wie man hier hinter vorgehaltener Hand flüsterte, wurde er nach wenigen Wochen entlassen. Er war mit einer Bezirksabgeordneten der PDS liiert, die früher im Gefängnis Hohenschönhausen ihren Dienst versah. “Du bist mir noch viel zu bürgerlich”, schrie sie ihn manchmal an, während sie ihn auspeitschte. Ihre ehrbaren Wähler verstanden sie in diesem Punkte ausnahmsweise nicht.
Die Verhaftung Krass´ löste eine große Empörung aus. Horst Eberhard Richter überlegte laut, “Wir alle tragen Schuld an der Entwicklung eines jeden Einzelnen” - und forderte „Eine Therapie für alle Politiker und für die führenden Kräfte der Wirtschaft!” Rudolf Augstein verlangte eine persönliche Entschuldigung des US-Präsidenten bei Krass, weil dieser unverschuldet “an einem von den USA ausgelösten Trauma” litt, biss in den Teppich und schrie: “Deutschland müsse gegen die jüdische, anglo-amerikanische Dominanz, nun Bombe mit Bombe vergelten” und bekräftigte noch einmal sein vor wenigen Monaten abgegebenes bekennendes Verständnis zum Mauerbau. Walter Jens gab näselnd zu bedenken, dass „die Sprache des Eingekerkerten, sehr bunt und überdurchschnittlich präzise“ und “sein ungeheures Potential, unbedingt für die Kräfte des Fortschritts im Kampf gegen die Barbarei zu nutzen” sei. Ähnlich äußerte sich Santa Claus, Eskalationsvorsitzender der PDS im deutschen Bundestag und fügte hinzu: “Wir kämpfen um jede Seele. Das müssen die Amerikaner jetzt schnell verstehen lernen. Und das sage ich Ihnen: Wir haben den Euro nicht gewollt!!!” Jürgen Mullamann sagte in seiner Funktion als Vorsitzender der deutsch-islamischen Gesellschaft, in einem Interview mit der in der arabischen Welt hochgeschätzten Zeitung “Unser Kampf”: ,,So wie der Kartoffelkäfer die Kartoffeln zerstört, ja zerstören muss, so zerstört der Jude rücksichtslos die Grundlagen des heiligen Islam. Der junge sympathische Mann Krass reagierte darauf und wir dürfen ihn nicht aufgeben.” Auch Rudolf Moshammer meldete sich perückennestelnd zu Wort: ,,Man sagt doch, er liebe Hunde. Dann kann er kein schlechter Mensch sei, gell Daisy, mein Kleines.” “Mit den Haaren müsste nur unbedingt etwas gemacht werden”, kritisierte Wolfgang Joop dagegen sehr scharf.
Während des Prozesses gestand Krass (seinen wirklichen Namen fand man nie heraus), dass er nach der kleinen Aufwärmaktion vor der Gedächtniskirche, falls man ihn nicht festgenommen hätte, ein paar Schritte weiter ins Europacenter gegangen wäre, um dort seinen Sprengstoff zu zünden. Die evangelische Kirche bekräftigte daraufhin ihren Willen zum Dialog mit der ganzen Menschheit. Etwan zu befürchtende Proteste gegen die Aussagen der deutschen Intellektuellen, Politiker, Publizisten und publizierten Hofschranzen schwuler Unterhaltungschefs, blieben wie immer aus. Deutschland pausiert. Noch. Zählen wir die Stunden.
Tanja Krienen, 1. Januar 2002