Der neue Blog ist unter http://campodecriptanablog.apps-1and1.net erreichbar




8. März 2005

Dutschke - Straße in Alt-Berlin

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 12:32

von Katharina Rutschky

Es musste wohl einmal so kommen, dass Leute im Altberliner Zeitungsviertel, das eigentlich gar nicht mehr existiert, eine Strasse nach Rudi Dutschke benennen wollen. Weihnachten des vergangenen Jahres jährte sich sein Todestag zum fünfundzwanzigsten Mal. Wäre er nicht an den Spätfolgen des Attentats von 1968 gestorben, könnte er demnächst, darauf wird jetzt noch einmal hingewiesen, seinen 65.Geburtstag feiern. Vielleicht sähe er, wie viele damals prominente Führungskräfte der Studentenbewegung heute, seiner Emeritierung als sturznormaler Soziologieprofessor entgegen? Wie auch immer, es wäre ihm und seiner Familie, die er zu meinem Erstaunen mitten in den Turbulenzen jener Jahre gründete, zu wünschen gewesen. Das gesagt, und mit Bedauern darüber, dass es anders gekommen ist, fragt man sich aber doch, was heute mit einer Dutschkestrasse oder gar einem Dutschke-Gymnasium in Berlin-Tempelhof eigentlich erinnert, bewirkt oder symbolisiert werden soll. Denkt man an die politische Seligsprechung eines jungen Mannes, dessen Charisma die längste Vollversammlung mit Leben erfüllen konnte?

Ich wenigstens verstand nie richtig, was er wollte und wie es zu erreichen gewesen wäre. Man hörte ihm trotzdem gebannt zu, da gibt es nichts zu beschönigen, aber auch nichts zu bereuen; denn seine Leidenschaft war gewissermassen vertrauenswürdig. Kam er nicht als DDR-Dissident aus der Kirche und hatte eine amerikanische Theologin geheiratet? Heute würde man sagen, es war eine positive Energie, auf die die junge Studentin nach vielen deprimierenden Seiten „Frankfurter Schule“ ebenso positiv reagierte. Was auch immer Politphilologen aus seinen Papieren an testamentarischem Wissen, auch an doppeldeutigen Voten zur Gewalt oder gar zur RAF inzwischen unermüdlich herauslesen und welche rein akademischen Debatten sie damit auch auslösen mögen- Dutschkes Wirkung beruhte bei allem Respekt nicht auf seiner politischen Klarsicht und Weitsicht. Schon gar nicht auf einer Großtheorie, wie man sie damals so überschätzte und brauchte, um auch nur von A nach B zu gelangen.

Es waren Gefühle des Protests der westdeutschen Nachkriegsgeneration, die er inkarnierte wie ein Popstar und in eine radikale Politsprache übersetzte, die man auch noch nie gehört hatte und gerade deshalb richtig fand- wenigstens so lange es dauerte. Will man diesen Dutschke mit einer Strasse ehren oder denken die Initiativen an ihn als den Märtyrer einer grossen Sache, die sie noch lange nicht verloren gegeben haben? Es ist ja nicht zu übersehen, dass manchem „Achtundsechzig“ zum Mythos der eigenen Jugend und politischer Verheissungen geworden ist, die man pflegt, gerade weil sie nicht erfüllt wurden.Der ist sich treu geblieben, nannte man das schon immer beschönigend, wenn der Gedankenhorizont in jungen Jahren ein für allemal abgesteckt war.Einer gewissen sentimentalen Veteranenseligkeit geben sich nicht nur erfolgreiche Unternehmer wie Herr Zapf oder Herr Lunkewitz hin, sondern auch Jüngere und Jüngste, die damals noch Kinder oder von ihren Eltern noch nicht einmal angedacht waren! Was steckt schliesslich auf dem Grund der Serie erfolgreicher Generationsbücher gegenwärtig anderes, als der Jammer, nicht in den Genuss einer existenziellen Erfahrung gekommen zu sein wie die beneideten „Achtundsechziger“ ? Und vor ihnen die Jugend von Langemarck und weitere Kriegsteilnehmer. Mit den Leuten von der RAF, das war neulich aus Anlass der RAF-bezogenen Kunstausstellung in Berlin zu lesen, verbinde den Künstler die Frage, wie weit er zu gehen bereit ist. Wozu, warum, weshalb man Risiken eingeht- die Frage ist wohl zu unheroisch. Es ist aber die Frage, die ich als junge Frau damals trotz der Verwirrung auf allen Seiten zu stellen gelernt habe. Die Sesamstrasse verbreitete sie später schon unter den Vorschulkindern…Die beneide ich.

Die gegenwärtig so viel besprochenen demographischen Veränderungen rühren nicht nur von einer sinkenden Geburtenrate, sondern vor allem von der allgemein hohen Lebenserwartung. Wer die realistische Aussicht hat, neunzig oder gar hundert Jahre alt zu werden, hat auch die Chance, wirklich schlau zu werden, sich nicht bloss auf eine schöne und aufregende Jugend berufen zu müssen, wenn er den Nachwuchs belehren möchte. Ich prognostiziere, dass genau so, wie ich meine Leidenschaft für Brecht oder Antonioni, andere einmal die ihre für Heiner Müller oder Emir Kusturica ad acta legen werden. Hat sich nicht gehalten, werden sie irgendwann denken- aber was war es, das uns damals echt inspiriert hat ?

Mit freundlicher Genehmigung von Katharina Rutschky, Erstabdruck in der WELT

2 Kommentare »

  1. Wie wäre es denn, wenn wir jenseits aller weinerlichen Kommentare darüber, was die 68er hätten werden können und nicht geworden sind, eine Namensgebung ganz einfach als die Ehrung eines außergewöhnlichen Menschen und einer außergewöhnlichen Seele begreifen würden?
    gruss ecc

    Kommentar von Ecclesiastes — 16. März 2005 @ 10:52

  2. Na ja, da kenne ich wohl doch ein paar außergewöhnlichere Seelen, die dies eher verdient hätten. Aber von mir aus soll er sie haben. Ich habe ihn einmal persönlich erlebt, am 19. November 1976 - drei Jahre vor seinem Tod.

    Gruß, TK

    Kommentar von Campo-News — 16. März 2005 @ 15:04

RSS-Feed für Kommentare zu diesem Beitrag. TrackBack-URL

Einen Kommentar hinterlassen

You must be logged in to post a comment.

kostenloser Counter

Weblog counter