Rudolf Diesel und die große Frage oder Der Mann, der Rudolf Diesel erschlug
Tanja Krienen hat sich Marc Zoellners neues Buch angesehen
„Der Solidarismus ist die Sonne, welche gleichmäßig über alle scheinend, durch ihre milde Wärme und ihr glänzendes Licht die Menschheit aus ihrem Winterschlaf zur wirtschaftlichen Erlösung erwecken wird.“ Diese Worte Rudolf Diesels atmen denselben sozial-lyrischen Kitsch, den die hauptsächlich reformistische Seite der Arbeiterbewegung gerne anschlug und in der unter der Fichte „fest und treu“, die „lichte Zukunft“ - nachdem „der Sturm die Felder frei“ fegte – „dem „Morgenrot entgegen“ sich irgendwann den „Bann brach“. So war der Jargon, insofern ist nichts Besonderes dabei. Doch Diesel verstand sich nicht als Linker, sondern eher als Liberaler, der die die Arbeiterschaft aufrütteln und durch Eigeninitiative zum besseren Leben führen wollte – jedoch auch, weil der echte Kampf Selbiger doch nicht im Sinne des Unternehmertums war. Seine diesbezüglichen Bücher druckte er selbst. Das erinnert im Prinzip an Eugen Richter, dessen literarische Kampfschrift „Sozialdemokratische Zukunftsbilder“ jedoch frei von Schwulst und Pathos, Masken durch Überzeichnung entlarvte und von den Unternehmern ab 1890 sage und schreibe 250 000 (!) mal an die Belegschaften verteilt ward. Wie auch im Falle des Degenhardtschen „Bodo, genannt der Rote“, so ein Hombach, von dem „allein der Arbeitgeberverband das Buch gleich fünftausendmal“ kaufte. Und doch: Wer in seinem eigenen kulturellen Zuhause keinen Kitsch findet, hat kein Gefühl und wer nicht selbst auch einmal einer naiven Idee anhing, der werfe den ersten Bierbecher! Verstehen wir Diesel also als Mensch seiner Zeit, zeihen wir ihm manch Wort gern, war er doch anscheinend jemand, der sich mehr Gedanken machte, als der gewöhnliche „Couponschneider“. Marc Zoellner zollt ihm noch heute dafür Anerkennung. Er beschreibt diesen alten weißen Mann als Vorbild für eine ART, nämlich den forschenden Freigeist, der sich trotz Widerstände nicht von seiner Idee abbringen lässt und widmet einem dieser Art auch das Buch: seinem Vater, einem Absolventen der Rudolf-Diesel-Hochschule zu Meißen. Doch bekannt wurde dieser Diesel nicht mit seiner schwärmerischen Solidaridee, sondern mit einer technischen Innovation, die noch heute viele Feinde zählt.
 Das Buch. Der Plot. Der Grundkonflikt.
Das Buch ist, wie sollte es auch anders sein, spekulativ und partiell fiktional. Es geht nämlich um die Frage, ob Rudolf Diesel, der große Erfinder, der eines Tages über Bord ging wie Daniel Küblböck, dies freiwillig tat oder nachgeholfen wurde. Die Ereignisse am 29. 9. 1913 während der Überfahrt der „Dresden“ von Antwerpen nach Harwich (England) sind nämlich bis heute ungeklärt und bilden somit Stoff für Interpretationen. Sie spalten bis in die jüngste Vergangenheit die Disputanten in zwei Lager, nämlich jene, die zur Auffassung gelangten, Diesel seien seine ökonomischen und persönlichen Probleme über den Kopf gewachsen und letztlich hätten ihm sein gesundheitliches Handikap in einem depressiven Anfall zu einer Kurzschlusshandlung geführt, und die anderen, die glauben, Diesel sei Opfer eines Gewaltverbrechens geworden, möglich auch einer geplanten Verschwörung. Die Rezensentin möchte nicht zu viel verraten, nur so viel, dass sie nicht an die Variante glaubt, der Zoellner nahesteht. Aber das muss uns auch nicht weiter an dieser Stelle kümmern.
1913 und kein Ende
Das Buch liest sich jedenfalls spannend. Es enthält beinahe einen doppelten Twist, zumindest für den aufmerksamen Leser. Und wie man auch immer zur implizierten These steht und die Auflösung der spannenden Geschichte bewertet: schreiben kann der Marc Zoellner! So detailliert oft, dass man sich manchmal schon ärgert weil: der kann das gar nicht alles wissen. Aber so sind, die echten, guten Schriftsteller, die den geneigten Leser mitnehmen, aber auch manipu…beeinflussen können. Ach, das ist ja auch der Sinn von Büchern: eintauchen, vergessen, erleben, fühlen und… denken.
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Der Mann, der Rudolf Diesel erschlug, Marc Zoellner, Arnshaugk-Verlag, 18 Euro, ISBN-13:Â 9783959302432
Siehe auch Marc Zoellners vorletztes Buch -Â
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Kommentar von Campo-News — 6. November 2022 @ 10:55
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Kommentar von Campo-News — 6. November 2022 @ 10:58