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19. Juni 2013

Als sich Günter Netzer unsterblich machte

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 05:53

TK-Artikel auf Spiegel-online

Hier kann man ihn lesen.

Es gab tatsächlich einmal eine Zeit vor der immer gleichen Berliner Pokalfinal-Arena, in der lediglich jährlich die Klubs ausgetauscht wurden! Es war jene Zeit, da eine wechselnde Spielstätte keine Region bevorzugte und durch die Nähe der Kontrahenten zum Austragungsort eine bisweilen geradezu explosive Mischung erbrachte. Das galt im vorliegenden Fall besonders.

Ausgerechnet in Düsseldorf trafen am 23. Juni 1973, einem heißen Sommertag, und vor mit 70.000 Zuschauern ausverkauftem Haus die beiden rheinischen Mannschaften von Borussia Mönchengladbach und dem 1. FC Köln aufeinander. Beide feierten damals, in den siebziger Jahren, die beste Zeit ihrer Vereinsexistenz, und nicht zuletzt festigten sie in diesem denkwürdigen Spiel ihren Ruf.

Besonders der Gladbacher “Fohlen-Elf”, die zwar in der gerade abgelaufenen Saison nur einen enttäuschenden fünften Platz belegte, haftete noch immer das Image des frischen Beinahe-Bundesliga-Neulings an, der mit einer jungen, technisch versierten und lauffreudigen Truppe die Liga aufmischte. Wie der FC Bayern München hatte die Gladbacher Borussia aber einst nicht zu den Gründungsmitgliedern gehört. Köln, Bundesligist der ersten Stunde, beendete jedoch die Saison hinter den Bayern als Tabellenzweiter und ging deshalb auch als leichter Favorit in das Spiel.

8 Mark für den Stehplatz!

“Meine” Mannschaft Borussia Dortmund wurde zu der Zeit weniger beachtet. Im Jahr zuvor musste ich bereits den bitteren Abgang des Teams in die 2. Liga erleben, in der sie nun für mehrere Jahre herumkrebsen sollte, während mit dem Westfalenstadion in Dortmund gerade die schönste Spielstätte Deutschlands entstand. Ich war also hungrig nach großem Fußball und hatte deshalb für mich und meinen Vater Eintrittskarten im Vorverkauf erworben: 8 Mark für den Stehplatz!

Brisanz erhielt das auf hohem Niveau verlaufende Spiel nicht zuletzt dadurch, dass der Star der Borussen, Günter Netzer, kurz vor dem Weggang zu Real Madrid stand. Die Gladbacher gingen nach 24 Minuten durch Herbert “Hacki” Wimmer zunächst in Führung, bis Herbert Neumann kurz vor der Halbzeit den Ausgleich erzielte. Hennes Weisweiler, damals erfolgreicher Trainer von Borussia, verzichtete auf Netzer, der somit auf der Bank Platz nehmen musste. Als Weisweiler den Starkicker nach dem Tor des Gegners auf eine Einwechslung vorbereiten wollte, lehnte Netzer, als eigensinnige Diva bekannt, erst einmal trotzig ab.

Von diesen internen Abläufen bekamen wir Zuschauer natürlich nichts mit, Wir wunderten uns nur, warum Weisweiler seinen besten Spieler draußen ließ. “Und wenn sie mich morgen steinigen: Ich stell’ ihn nicht auf“, soll Weisweiler am Tag vor dem Spiel gesagt haben. Die Gladbacher Fans steinigten ihn zwar nicht, forderten aber in Sprechchören ihren “Netzer”, der für sie in 297 Spielen 108 Tore erzielt hatte und an dem Tag zum letzten Mal im Aufgebot der Borussia stand. Die Fans begannen endgültig zu toben, als Josef “Jupp” Heynckes einen Elfmeter verschoss.

Wir konnten es nicht fassen!

“Ich spiel dann jetzt”, soll Netzer schließlich lapidar zu Weisweiler gesagt haben. Der designierte Real- Spieler stand plötzlich ohne Trainingsjacke auf dem Platz. Während ihn die Reporter umzingelten, gab er seinen Mitspielern bereits Anweisungen. Wir konnten es nicht fassen! Wie die anderen Grün-Weißen war auch ich völlig aus dem Häuschen.

Doch der Höhepunkt des Dramas sollte erst noch folgen. Nach den ersten drei Minuten in der Verlängerung nahm Netzer dem in Sachen Spielaufbau nicht gerade brillanten Berti Vogts den Ball quasi vom Fuß, um die Gestaltung der Partie an sich zu reißen. Er drehte sich sofort mit dem Ball am Fuß um die eigene Achse und sprintete in Richtung Kölner Tor, leicht rechts abgesetzt. Dort lief ihm Dietmar Danner über den Weg, der aber von Netzer kurzerhand ignoriert wurde. Netzer rannte weiter, spielte aus dem Fußgelenk auf Rainer Bonhof. Der lief kurz mit dem Ball voran und schob ihn scheinbar ins Niemandsland, wo es von Kölner Abwehrspielern nur so wimmelte. Netzer eilte mit Riesenschritten und einer athletischen Dynamik heran, die man so selbst bei ihm nur selten beobachtete. Wie konnte er nur diesen Pass erahnen? Und wie konnte Bonhof davon ausgehen, dass der Pass irgendjemanden erreichen würde?

Genau das geschah aber. Netzer tauchte völlig frei vor dem Kölner Torwart Gerhard Welz auf und hämmerte den Ball aus 13 Metern Entfernung ins linke obere Eck. Danach sprang er hoch und schlug in bester Gerd-Müller-Manier Löcher in die Luft. Heynckes raste heran und beide fielen sich in die Arme. Nach 185 Sekunden Verlängerung war damit bereits der Endstand erreicht. 2:1 für Mönchengladbach in einem packenden und an Dramatik kaum zu überbietenden Spiel, das wegen seiner Gesamtgemengelage wohl bis heute den ersten Platz unter allen Pokalendspielen hält. Günter Netzer sollte weder als Spieler noch als Funktionär jemals wieder nach Gladbach zurückkehren.

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