Der neue Blog ist unter http://campodecriptanablog.apps-1and1.net erreichbar




4. Dezember 2008

Zustand

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 11:39

Über die Zustände in der Politik und der Gesellschaft konnte ja an dieser Stelle schon vieles nachgelesen werden. In unzähligen Kommentaren wies ich bekanntlich darauf hin, dass sich politische Milieus vollständig abschließen, offene Debatten in keiner Weise stattfinden, lediglich in manchen Bereichen Kompromissformeln notdürftig tatsächliche Probleme überdecken - ohne Lösungen aufzuzeigen - aber dennoch eine diffuse Grundlage des politischen Mainstreams besteht, deren Positionen nie in einer - den Namen „öffentliche Diskussion“ verdienenden Weise - etabliert und durch Verwaltungsvorgänge und mit zum Teil rigorosen Maßnahmen abgegrenzt werden.

Hinzu kommt die Ausschaltung des politischen Gegners, ja selbst des innerparteilichen Widersachers. Auch parteiinterne Prozesse werden nicht wirklich ergebnisoffen diskutiert, sondern einzelne Gruppen agieren rein taktisch und machtpolitisch. Und das überall. Wer sich nicht anpasst, scheidet aus, oder wird ausgeschieden. Der Rest macht weiter – auch deshalb verlieren die Parteien vehement Mitglieder. Neuwerbung finden kaum noch statt, denn ein Neuer bringt Unruhe. Man will aber die Friedhofsruhe, den „Frieden“. Was stört wird selektiert. Aber auch in einem anderen Sinne macht der Rest weiter, nämlich: anstatt Koalitionen mit Extremisten oder Extremisten-Befürwortende auszuschließen, verhält man sich taktisch. Ist auch schwer, wenn selbst ehemalige Vizekanzler und Kanzlerkandidaten zu diesem Spektrum gehören.

Die Allesfresser-Parteien also machen weiter, jeder für sich und (fast) jeder akzeptiert dies, wenn nicht – siehe oben: weg damit! Da alle wissen, wie die Politik, die Publizistik und die gesellschaftlichen Einheitsbreiköche funktionieren, unterbleibt eine generelle Kritik und wird durch Generosität verdeckt. Was solls - die Redenschreiber wechseln eh die Seiten, wenn es passt. Kaum jemand, der noch weiß, was ihm auf das Blatt und in den Mund gelegt wird. Hauptsache: man macht ein intelligentes Gesicht dabei, interpretiert, auf dass die versammelten Medien-Phillister etwas schreiben oder sprechen können.

Miriam Meckel über die Demokratie, die zur Oligarchie führt.

Ein überraschend gutes Essay hat jetzt Miriam Meckel im Spiegel vorgelegt. Kritische Kommentierungen einiger Stellen, die man genauer betrachten sollte, unterlasse ich, möchte aber einmal die sehr treffend erkannten und beschriebenen Grundaussagen hier zitieren. Sie schreibt, in ihrem Aufsatz „Lauter kleine Diederiche“ (womit sie Heinrich Manns Figur „Diederich Hessling“ meint, jenen angepassten Täter, der in der Masse – und mit ihr – unterging). Miriam Meckel schreibt:

„Die „herrschende Meinung“ ist die sichere Bank. Wer abweichend argumentiert, wird oft abweichend bewertend… – in der Regel heißt das: schlechter…Die „herrschende Meinung“ ist immer schnell bei der Hand mit Interpretationen, die sich dann klebrig und zäh auf die Ereignisse und Entwicklungen legen. Nicht selten lassen Sie aufkeimende Debatten erlahmen und erstreben – wie ein Spinnenetz, in dem jede Fliege bald aufhört zu zucken. Je mehr klebrige Fangfäden es im Argumentationsnetz der „herrschenden Meinung“ gibt, desto schneller geht das….Die Macht haben oder sie nicht haben, diese grundlegende Entscheidung hat Andrea Ypsilanti ihren Unterstützungskreis und Teile der hessischen Landes-SPD angetrieben und schließlich scheitern lassen. Vier Teile haben sich gelöst…Sie haben eine eigene Position im Spiel der Kräfte gesetzt. Das sieht man nicht gern im deutschen Parteiensystem, das mit Fraktionen den Zwang und mit Programmen die Linientreue etabliert hat.

Die politische Kultur in Deutschland hat es verlernt, auch Ambivalenz auszuhalten und auszutragen. Weil es wenige gibt, die sich öffentlich trauen, eine abweichende Position einzunehmen. Weil sie es selten wagen, diese Position jenseits von „Beckmann“ und „Kerner“ (sie unterschlägt hier freundlichst ihre Lebensgefährtin „Anne Will“) zu begründen und sich wirklich der öffentlichen Auseinandersetzung zu stellen. Es ist der binäre Code des „ganz oder gar nicht“, der sich wieder seinen Weg durch die deutsche Gesellschaft bahnt. Wie die Diskussionen derzeit in Deutschland laufen, sind sie Beleg für die These des politischen Soziologen Robert Michels „Die Demokratie führt zur Oligarchie“. Wenige sagen den vielen, wo es langgeht. Sie stellen sich nicht den Argumenten anderer und vermögen auch nicht mit eigenen zu überzeugen. Auf Kritik an ihren Positionen reagieren die Meinungsoligarchen hart. Sie Stellen nicht das Argument zur Debatte, sondern die Zugehörigkeit des Kritikers: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

Wollen wir diese neue Form der Oligarchie aus Verantwortungskneifern und Positionsvermeidern? In der die Kritik am Andersdenkenden – wenn überhaupt – mit wohlfeilem Anspruch aufs Rechthaben formuliert und absolut gesetzt wird? In der die Ambivalenz des Arguments keine rolle mehr spielt und die abweichende Position nicht mehr geduldet, geschweige denn erwünscht wird, um sie öffentlich verhandeln zu können?…Wenn wir das nicht wollen, brauchen wir Vordenker, Vorredner, Vorprovozierer, die Ambivalenz ertragen oder gar herausfordern. Wir müssen sie spüren, um sie zu verstehen, statt sie mit dem Abdeckstift der herrschenden Meinung zu übertünchen….“

Soweit Miriam Meckel. Und weil wir ja grad so schön bei der Hessen-SPD waren, sei hier auch die Quintessenz eines Focus-Interviews mit dem Schwiegervater von Dagmar Metzger, dem 75jährigen Günther Metzger, zitiert, der da sagt:

„Der Einfluss derjenigen Kräfte in der SPD, die mit reaktionären Linksideologen zusammenarbeiten wollen, hat genommen. Etliche SPD-Landesverbände sterben Bündnisse mit den Postkommunisten an. Dagegen hätte die Bundespartei längst ein machtwort sprechen müssen. Ich kann Wolfgang Clement gut verstehen, dass er mit einem Parteiaustritt ein Signal setzen wollte. Ich bleibe und kämpfe. Zwei meiner Söhne sind allerdings ausgetreten, darunter Dagmars Mann. Ein dritter ringt noch mit sich..

Dagmar stand zum Versprechen, in Hessen nicht mit der Linkspartei zu kooperieren. Daraufhin setzte eine Hexenjagd ein. Es herrschte ein Klima der Angst und Einschüchterungen. Frau Ypsilanti hat wohlweislich auf eine Mitgliederbefragung verzichtet. Ich bin sicher, dass die zu einem ganz anderen Ergebnis geführt hätte. Auseinandersetzungen mit Kryptokommunisten hat es in der 145jährigen Geschichte der Partei immer wieder gegeben. Die hessische SPD ist für mich momentan nicht wählbar.

15 Kommentare »

  1. Sehr richtig, siehe auch oben: “In den beiden Volksparteien bilden die über 60-Jährigen nahezu die Hälfte des Organisationsbestandes. Deren gelernte Hinterzimmerkultur wirkt auf jeden, der darin nicht groß geworden ist, denkbar abschreckend. Die politischen Figuren, die sich gleichwohl in diesem Ambiente wohlfühlen und es weiterhin lieben, bei einige Gläschen Schnaps und mehreren Krügen Bier zu kungeln und zu konspirieren, haben mittlerweile die Aura von introvertierten Cliquen oder Clans, erscheinen nicht als basisnahe Vertreter intakter und offener Lebenswelten.”

    Kommentar von Campo-News — 19. Januar 2009 @ 15:31

  2. So agiert die Bande.

    Kommentar von Campo-News — 10. Februar 2009 @ 11:51

  3. Ja, so ist es und zwar ÃœBERALL: “Politik ist ein Geschäft für kaltschnäuzige, unsentimentale, knochenharte und listige Menschen - das liegt in der Natur des Systems. Nur Kraftnaturen kommen ganz nach oben, nicht die Schlausten.” … Auch Intellektuelle, streng systematisch denkende Menschen werden es schwer haben, auf dem Gipfel zu bestehen….

    Kommentar von Campo-News — 22. Februar 2009 @ 14:06

  4. Und so werden sie systematisch aalglattgebügelt. Ihre billig eingekaufte, an den Sachthemen komplett vorbeigehenden, von keiner Sachkenntnis geprägten “Rethorik”, sieht auch danach aus.

    Kommentar von Campo-News — 24. Februar 2009 @ 08:32

  5. Ein selten tolles Essay (von Gabor Steingart), in dem (fast) alles stimmt.

    Kommentar von Campo-News — 8. April 2009 @ 10:53

  6. Richtig, und Sie sind es, die diesen zusammenhanglosen, faktenresistenten Unfug schreiben (müssen), egal zu welchen Thema, egal an welcher Stelle.

    Kommentar von Campo-News — 9. Mai 2009 @ 11:00

  7. Und hier ein besonders ekliges Beispiel für die Beliebigkeit in der Politik.

    Kommentar von Campo-News — 12. August 2009 @ 08:51

  8. Wie gesagt: In den Apparaten der großen Parteien wird ein Verhalten gezüchtet, das Kompetenz im Detail bei größtmöglicher Anpassung im Auftreten zum Ziel hat. Pathos und Brillanz, Humor und Geistesgegenwart, leidenschaftliche Überzeugungen und die Zumutungen der Individualität dürfen beim Spitzenpersonal nicht mehr erkennbar sein. Es hat sich durchgesetzt, die Menschen draußen im Lande zu schonen. Es gibt ein Bundespresseamt, da arbeiten etwa 500 Leute, die alle damit beschäftigt sind, für die Politiker zu filtern, was die Medien meinen, was die Leute denken, oder was die Medien denken, was die Leute meinen. Und am Ende kommt offenbar immer heraus, dass die Menschen vor allem nicht gestört werden wollen von der Politik, das scheint das geheime Ziel der Demokratie zu sein, dass jeder Bürger am Ende das Recht hat, nicht weiter behelligt zu werden. Dahinter sitzt, sagt der Minister, die Angst vor der Angst: Das Volk darf nicht beunruhigt werden. Denn das vertragen die Deutschen nicht.

    Kommentar von Campo-News — 22. September 2009 @ 16:48

  9. Egal um was es geht, aber es geht immer -
    http://www.spiegel.de/panorama/0,1518,751670,00.html
    So läuft die Kommunikation, wohin man auch schaut.

    Kommentar von Campo-News — 20. März 2011 @ 12:55

  10. „Die Zeit ist aus den Fugen“

    Kommentar von Campo-News — 3. April 2011 @ 08:13

  11. Recht haben macht einsam - http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/recht_haben_macht_einsam/

    Kommentar von Campo-News — 1. Oktober 2011 @ 18:56

  12. Starfotografin Ingrid von Kruse, die extra für das Bild gebucht worden war, hat sich schon rausgeredet – sie habe keine Ahnung vom Schach, sagte sie in einem Interview bei „süddeutsche.de“ und erklärte: „Ich habe da nichts gedreht. Ich habe nicht gespielt und auch keine Schachfiguren aufgestellt.“

    Beide spielen gleichzeitig - http://www.focus.de/politik/deutschland/peinliche-titelfoto-panne-steinbrueck-und-schmidt-spielen-verkehrt-schach_aid_678759.html

    Kommentar von Campo-News — 27. Oktober 2011 @ 16:15

  13. Joachim Gauck: „Wenn in einem Land ein Überschuss an Theaterwissenschaftlern und Psychotherapeuten und ein Unterschuss an technischer Intelligenz besteht, hat sich ein kultureller Wandel vollzogen, von dem ich denke, dass er nicht gut ist“.

    Kommentar von Campo-News — 28. Oktober 2011 @ 09:28

  14. Wulff, zu Guttenberg, Rösler: Die Stunde der Dilettanten hat geschlagen. Blender haben Hochkonjunktur – vor allem in der Politik. - http://www.tagesspiegel.de/kultur/wulff-guttenberg-und-co-anleitung-zum-unfaehigsein/6016384.html

    Kommentar von Campo-News — 4. Januar 2012 @ 17:25

  15. Ein hervorragender Artikel, der manches, was ich schon vor Jahren schrieb, nochmal auf den Punkt bringt: Nun könnte man denken, dass ja immerhin noch die Gedanken frei sind. Aber es ist ein Irrtum zu glauben, dass derjenige, dem man das Sprechen und Schreiben beschneidet, noch frei denken könne. Es gibt keine Freiheit des Denkens ohne die Möglichkeit einer öffentlichen Mitteilung des Gedachten.

    Debatte: Die neuen Jakobiner - weiter lesen auf FOCUS Online: http://www.focus.de/wissen/mensch/philosophie/tid-20094/debatte-die-neuen-jakobiner_aid_550734.html

    Kommentar von Campo-News — 26. Mai 2012 @ 19:19

RSS-Feed für Kommentare zu diesem Beitrag. TrackBack-URL

Einen Kommentar hinterlassen

You must be logged in to post a comment.

kostenloser Counter

Weblog counter