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3. Oktober 2008

Führer-Schein

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 11:39

Heute vor 18 Jahren schloss sich der kleinere deutsche Staat, dem größeren an. Ein Rückblick - zwei Auszüge aus meiner Biographie “Hammerschläge” (2004)

1.

Im April 1976 fuhr ich für einige Tage nach Berlin und von dort aus rüber in den Osten. Es war wenige Monate vor der Biermann-Ausbürgerung. Er lebte zu diesem Zeitpunkt noch in der Chausseestraße 131. Ich fotografierte das Haus und besuchte zum ersten Mal den Dorotheenstädtischen Friedhof, mit all den schönen Gräbern dort. Die DDR war faszinierend; so schön alt, so melancholisch, - es war eine herrliche Reise in die Vergangenheit. Doch was für einen Tag exotisches Prickeln erbrachte, war für andere Menschen jene alltägliche Realität, die ich noch nicht so scharf sehen wollte.

In Berlin (Hauptstadt der DDR), wie man selbst hervorhob, mit der Anmaßung „das Berlin“ zu sein, während man die Teilstadt Westberlin (das größere Stück), als neutrales Kuriosum darstellte (Westberlin), wurden wir auf der Straße um einen Geldumtausch gebeten, mit dem Hinweis, man könne jetzt das nicht ausgegebene Geld an der Grenze wieder zurücktauschen - dies wäre eine ganz neue Vereinbarung. Von dieser gab es tatsächlich viele, denn die so genannte Entspannungspolitik trieb allerlei Blüten, - doch diese nicht! An der Grenze angekommen, fragten wir nach und durften sofort aussteigen…

Man brachte mich in einen der Verschläge, die jeder von der ehemaligen DDR-Grenze kennt. Ich musste in einem dieser kleinen Räume warten, nachdem mir ein Mitglied der Grenztruppen dies anwies. Lange wartete ich dort und mir war klar, dass ich jetzt zu einem der bekannten Fälle werden würde, die man nach Jahren der Haft freikaufen muss. Das Fernsehen würde bestimmt in den nächsten Tagen über meine Inhaftierung berichten.

Ein weiterer Grenzsoldat kam herein und verbrachte mich in einen anderen Raum, in dem ein Mitglied der taubenblau behemdeten Staatsdiener mich schon erwartete. „Können Sie nachweisen, woher Ihr Geld stammt.“ Ich schluckte: „Also es ist so - ich habe das Geld bei einem Mann auf der Straße getauscht und dachte, man dürfe dies jetzt.“ „Sie haben also das Geld durch einen unrechtmäßigen Akt getauscht?! Sie haben damit gegen die Devisengesetze der Deutschen Demokratischen Republik verstoßen. War Ihnen das bewusst?“ „Nein“, antworte ich, „der Mann sagte, im Rahmen der neuen Bestimmungen wäre das erlaubt.“ „Wie sah er denn aus, dieser Mann, von dem Sie angeblich das Geld erhielten?“ „Er war mittelgroß, trug einen grauen Mantel und hatte eine Warze auf der rechten Gesichtshälfte.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Und was haben Sie von dem Geld gekauft.“ „Nur Bücher. Marx und Engels. Ernst Busch Schallplatten.“

Er telefonierte und ließ sich die beschlagnahmten Waren bringen. „Was wollten Sie denn damit machen?“ „Wie meinen Sie das? Ich bin halt Kommunist und habe das alles gekauft, um mehr über den Kommunismus und die DDR zu erfahren.“ Er sah mich an und überlegte. „Hören Sie, was Sie gemacht haben war ein schwerer Verstoß gegen die Gesetze der DDR. Machen Sie das nicht mehr wieder!“ „Nein, beeilte ich mich zu sagen, „ich habe das auch überhaupt nicht gewollt.“ „Sie können gehen. Nehmen Sie Ihre Sachen mit.“ Oh mein Gott! Ich war tatsächlich frei, durfte alles behalten und gehen! Mein Zusammentreffen in so einer unpässlichen Situation mit den Organen des Staatsapparates war glücklich beendet. Schwein gehabt, dachte ich.

2.

Anfang 1979 gründete ich mit einigen anderen Leuten die Ortsgruppe Hagen-Eilpe und übernahm den stellvertretenden Vorsitz. Als ich ein knappes Jahr nach meinem Eintritt in die Partei, im Frühjahr 1979 mit mehreren Hagenern Genossen eine Studienfahrt in die DDR unternahm, die Parteischule in Reichenbach im Vogtland besuchte und von dort aus die Umgebung erkundete, erhielt ich den ersten ganz großen Dämpfer. Nicht nur die betriebliche Realität, die hinter der Fassade beim Besuch eines Farbenwerkes in Zwickau durchschimmerte erregte mein Missfallen, sondern auch und gerade das, was uns vorenthalten blieb.

So wurde zwar ein „zwangloses“ Gespräch mit LPG-Bauern inszeniert, doch die Betriebe der „Landwirtschaftlichen Produktions-Genossenschaft“ bekamen wir nicht zu Gesicht. Die Massentierhaltung sollte dem allgemeinen Blick entzogen bleiben. Diese, und so manche andere Merkwürdigkeit, führte zu Diskussionen innerhalb unserer Gruppe. Meiner Kritik an der Massentierhaltung beantwortete Rainer Stöcker - Autor einiger Bücher über die Hagener Arbeiterbewegung - mit süffisanten Kommentaren, ich wäre wohl erst zufrieden, wenn der Sozialismus auch noch glückliche Kühe hervorbringe. Ich sprach es deutlich während des Aufenthaltes in diesem erschreckend grauen Kaff Reichenbach, in dem auch heute noch die Selbstmordquote die höchste in der gesamten ehemaligen DDR ist, aus: „Wenn dies hier den allgemeinen Zustand der DDR wiederspiegelt und auch die Reflektionsfähigkeit der DKP-Parteimitglieder im gezeigten Zustand verharrt, dann schließe ich es nicht aus, dass ich die Partei wieder verlassen werde.“ Der Genosse Meißner, Betriebsrat und Vater von acht Kindern, die allesamt in der Partei und im Jugendverband SDAJ aktiv waren, meinte daraufhin: „Das ist Deine Entscheidung. Die Partei hat viele Leute kommen und gehen sehen. Aber eines ist sicher: Die Partei wird es ewig geben.“ Dieser überzeugenden Argumentation ist nichts hinzuzufügen und der Mann hatte Recht: Die Partei gibt es noch immer!

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