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11. September 2008

Hör gut zu und lies!

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 11:14

Empfohlen werden: Ansichten eines Clowns, Don Quichotte & Lolita – wie man unschwer sieht, scheitern hier drei Personen, und wie es geschieht, ist allemal zeitlos. Also:

Lassen wir die Debatte über das Für und Wieder von „Hör-Büchern“ beiseite. Hier möchte ich drei vorstellen, die aus der Masse herausragen und aus „großen Stoffen“ bestehen, obwohl zwei von ihnen eher Spiel-Bücher sind, also eigentliche Hörspiel-Bücher genannt werden müssten.

1. Ansichten eines Clowns, Heinrich Böll, gelesen vom Autor mit anschließender Diskussion, 5 CD, „der hörverlag“, produziert 1963 (Studiolesung) und 1982 (Diskussion, drei Jahre vor Bölls Tod) vom WDR.

Dieses Buch (geschrieben 1963) begleitet mich seit meiner Jugendzeit, als ich entdeckte, dass der Protagonist mir sehr ähnlich sieht. Dabei sind nicht seine Herkunft gemeint - er stammt aus Bonn, ist ein Fabrikantenkind oder seine Profession ist die eines „klassischen Clowns“, eigentlich Pantomime und ich hasse diese Sorte von Künstlern - sondern: die seelischen Zustände. Vielleicht aber hat es der Autor Heinrich Böll auch nur so gut verstanden, den geneigten Leser mit auf die Reise zu nehmen, um den Niedergang des Protagonisten mitzuempfinden. Voraussetzung für eine Empathie mit der Hauptfigur jedoch sollte sein, dass man die Melancholie, jenen Skeptizismus gegenüber des religiösen Milieus und ein Gespür für die Janusköpfigkeit menschlicher Charaktere besitzt, der den Grundton sofort als den treffenden ausmacht.

Diesen Ton trifft der Vorleser Böll in grandioser Weise. Die eigene Kopfstimme vergessend, erschließt seine, neue Sichtweisen und neue Strukturen der handelnden Personen, die selbstverständlich auch der – sicher ganz gute Film aus dem Jahr 1976 – mit Helmut Griem, Hanna Schygulla, Hans-Christian Blech, Rainer Basedow u.v.a, nicht erreicht. Sympathisch wie selten kommt hier der rheinländische Tonfall daher, wohl auch, weil er weniger „singend“, als stets schleppend, traurig, resignierend und lakonisch klingt. Wie Böll hier Pausen und Akzepte setzt, wie er süffisant Dialoge zelebriert und Typen in ihrer Finsternis modeliert, zeigt, dass in diesem Werk Autor und Vorleser eine Einheit bilden.

Stark fällt die auf der 5. CD dokumentierten Diskussion ab, die der WDR in einem Studio etwas verkrampft in Szene setzte. Böll, ganz der „späte Böll“, der Repräsentant“, beschreibt die Wirkung so, als hätte er das Fazit all der Rezensionen verinnerlicht. Egal. Hervorzuheben sein Urteil über den heutigen (1982) Katholizismus, der liefe, so Böll: „Zum Flauen hin, das flappt so wech“. Es war aber kein guter Einfall Schüler Fragen stellen zu lassen („Ich hab also jetzt noch mal eine ganz direkte Frage: Heißt das jetzt, der Clown steht jetzt repräsentativ für eine Gruppe oder ist eben jetzt nur Individuum?“) – bis auf wenige Ausnahmen bleibt es einfach, schülerhaft, infantil. Hier und da blitzt bei Böll dann aber durch, was ihn, wenn er gut war, ausmachte, nämlich die überraschende Wende und das klar formulierte politische Urteil: „Ich glaube auch nicht, dass Künstler, Schriftsteller sensibler sind als andere, sie können sich nur besser ausdrücken. Ich glaube nicht, dass ein Bankangestellter, eine Verkäuferin, ein Monteur sensibler ist als ich. Verstehn Sie?“, dieses „Verstehn Sie?“ oder „Verstehen Sie mich?“ kommt nicht nur einmal in dem Sinne, dass Böll der literarische Wissenstands seiner Gesprächspartner so im Unklaren ist, wie der beschriebenen Verkäuferin der Sinn seines Werkes, nämlich: wie die nicht vorhandene dicke Fischsuppe an katholischen Freitagen.

2. Don Quichote de la Mancha, Cervantes, 6 CD, „der hörverlag“ produziert 1962

Ein anderer Kölner, der in Bonn debütierte, spielt die Hauptrolle in dem Stück, das die CAMPO-Leser zwar nicht kennen, doch immerhin…ach lassen wir das jetzt, aber als Willy Birgel längst nicht mehr für Deutschland ritt, besser reiten konnte, sprach und spielte er nicht nur z.B. den antisemitischen Doktor in Max Frischs „Andorra“, sondern auch den Don Quichotte, in dieser schönen Hörspielfassung aus dem Jahre 1962.

Die Liste der bekannten Schauspieler, die hier zu hören sind, ist beeindruckend. Willy Birgel als Don Quichotte, Walter Richter als Sancho Pansa, bilden das Grundgerüst der markanten Stimmen. Herbert Mensching, Peter Fitz, Uwe Dallmeier, Willy Trenk-Trebitsch und Hans Korte (den ich für einen der besten deutschen Schauspieler halte) sind ebenfalls zu hören. Die Überbrückungen der Szenen spricht als Erzähler Walter Andreas Schwarz.

Über acht Stunden lang präsentiert sich ein szenischer Bilderbogen, der sich besonders für die dunkle Jahreszeit eignet, wenn mehr Zeit zur (spannenden) Muße besteht. Die wichtigsten Passagen des insgesamt gut 1000 Seiten umfassendes Buches (beide Bände sind gemeint), sind hier dargestellt, sodass der wesentliche Eindruck des Werkes wiedergegeben wird. Sagte man Willy Birgel im Alter nach, er würde seine ehemaligen Film-Rollen auch mit ironischem Abstand spielen, so gilt das hier besonders, denn der Junker aus dem „Orte in der Mancha, an dessen Namen ich mich nicht erinnern will“, so Cervantes im Original, ist gleichsam ver-rückt und komisch, als auch gescheit und sehr ernsthaft und kein anderer als Birgel mit seiner klassischen, manchmal gebrochenen, dann wieder „heroisch“ aufschäumenden Sprachfärbung vermag diese wechselnden Stimmungen besser einzufangen. Eine rundum gelungene Sache.

Lolita, Vladimir Nabokov, „der hörverlag“, 2 CD, produziert 1998, WDR

Der bekannte Schauspieler Ulrich Matthes spricht und spielt die zweite Hauptfigur Humbert Humbert, in diesem von Dieter E. Zimmer bearbeiteten Buch „Lolita“.

Nicht ganz geglückt ist das Ganze, schon, weil der Stoff unschwer nachzuvollziehen, kaum auf insgesamt 150 Minuten zu pressen ist. Sicher, auch die beiden Filme haben mit dem Nachteil zu kämpfen, dass weder die dem Buche zugrunde liegenden, bisweilen nicht zu überbietende Ironie und der treffende Sarkasmus bezüglich „amerikanischer Verhaltensweisen“ (die sogar dem Autor den grotesken Vorwurf des „Anti-Amerikanismus“ einbrachte) nicht umgesetzt werden können, aber da ein Film vieles durch Bilder zeigt, was gehört erst beschrieben werden will, fehlt doch manch Interessantes.

Nichtsdestotrotz werden Szenen ausgeschnitten präsentiert, die den Roman nachvollziehbar machen. Eine hervorragende Natalie Spinell-Beck und ein gewohnt guter Ulrich Matthes halten das Werk in der Waage, das manchmal durch die zu sehr „gespielte“ Einschübe, die sich „modern“ und lautmalerisch geben, überfrachtet wird. Der Schriftsteller Humbert Humbert, scheitert zuletzt an seinen Obszession, denen er sein Lebens lang, zumindest seit der Pubertät, nachläuft. Wer zu faul ist um zu lesen, oder einfach ein paar weitere Anregungen erfahren möchte, der kann hier hören, wie dies passiert.

Fazit: Hören, ersetzt nicht lesen, sagt die freundliche Erzieherin.

P.S. Und wer immer noch nicht genug hat, dem ich empfehle ich „Einsamer nie“, Gottfried Benn, 2 CD, „der hörverlag“, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass hier auch die Begrenztheit Benns sichtbar wird, dessen Überschätzung, was immerhin als Werturteil eine Schätzung beinhaltet, nicht zuletzt durch allzu profane Verwurzelung im Hier und Jetzt – entgegen der Annahme – zerstört wird. Nicht mehr dazu. Das muss jeder mit sich ausmachen. Oder?

1 Kommentar »

  1. Hier ist die Besprechung - schön illustriert - nachzulesen.

    https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/ueber-das-leben-in-der-oednis-kolumne-a-1266748.html

    Kommentar von Campo-News — 1. Oktober 2008 @ 13:42

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