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30. August 2008

reEvolution

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 09:04

Der kleine Straßenauflauf bildet eine Masse, und solche Massen sind ja in fast allen Fällen wie die Urmenschen oder wie die Tiere: sie haben nur ganz wenige Vorstellungen, und zwar nur ganz einfache; sie geben jedem äußeren Reiz nach, und wenn einer gut brüllt, brüllen sie „Ja!“ – und wenn ihnen die Nase an einem nicht gefällt, dann rufen sie: „Haut ihn!“ – und das ereignet sich alles auch dann, wenn es lauter kluge Leute sind, die die Masse bilden, denn sie sind nur einzeln klug; im Augenblick, wo sie sich zusammenballen, ist es aus mit der Klugheit, und sie benehmen sich alle zusammen wie die wilden Kanaken. Das ist ein allgemeines Gesetz, auf der ganzen Erde.

Kurt Tucholsky

„Ich“, sagt der Alte, “Ich bin mein eigener Staat. Die da unten, die Usurpachaser und Abszessier, die versteh ich. Als wir jung waren, so Ufftatadreidreizigschinderassabummbummpaarjahrefrüheroderspäter, da war es in meiner Heimatstadt so, dass die neu angegliederten Stadtteile nie richtig als Bestandteile der Stadt angesehen wurden. Zwar war die Kernstadt natürlich gewachsen und hatte die Lücke zwischen den alten und neuen Stadtteilen von selbst geschlossen, sodass die Eingliederungen selbstverständlich wurden, aber weder für uns, noch für die anderen, war das in einem tiefen Sinne akzeptable. Wie blieben uns fremd. Bis heute.

Wir sprachen auch anders. Während die anderen Stadtteile noch mit dem Sprachengebiet der Lelulas liiert war, gehörte unser Stamm zu den Lalelus, was für jemanden, der aus dem Gebiet der Lulelas kam und zuhörte zwar keinen Unterschied machte, doch für uns, die wir es genau heraushörten, so verschieden klang, wie z.B. die Sprache der Schwippen und der Schwuppen für die Schweppen.

Aber auch zwischen uns in den alten Gebieten waren die Unterschiede enorm. Nein, nicht die zwischen reich und arm sind gemeint, die waren zwar auch wichtig und führten zu Spannungen, aber schlimmer waren andere. Zum Beispiel glaubten die einen an den Klischen Hot und die anderen an den Glischen Hot. Später, nach dem großen Kawumm kamen dann die Buds und Mots hinzu, aber das sind Dinge, die wollen wir jetzt ruhen lassen. Jedenfalls haben wir – ich gehörte zu den Klischen – die Glischen jeden Tag auf dem Nachhauseweg vertrimmt, wie wir bei uns sagten.

Eigentlich mochten wir nur die Leute in unserer Straße. Doch die Straße war sehr lang. Die auf dem unteren Stück wohnten, waren uns ziemlich fremd. Wir spielten nie mit den Kindern aus dem unteren Teil der Straße. Auch kannten wir kaum jemanden aus dem oberen Teil. Die Straße war einfach zu lang, als dass wir zu den Menschen im oberen Teil einen näheren Kontakt bekamen. Sie schienen anders zu leben, organisierten sich in einem anderen Sportverein, besuchten andere Gaststätten und wählten überwiegend anders als wir. Wir in der Mitte, wir waren die Echten der Straße. Wir waren die Richtigen. Wir waren…WIR.

Doch auch auf unserem Straßenstück gab es Leute, die WIR hassten. Böse Nachbarn, kautzige Gestalten, viel zu Reiche und viel zu Arme. Damals, vor der Zeit des Ufftatadreidreizigschinderassabummbumm, kauften die mit den Fensterlederjacken auch in einem anderen Laden, als die mit den Schalmeien. Der Hass blieb, die Farben wechselten. Ein Grund für den Hass fand sich immer. Wer neu hinzuzog war ohnehin der Letzte. Was wusste er schon von unserer Wertigkeit. Was hatten wir mit ihm zu tun? Was er mit uns?

Am Liebsten war uns die eigene Familie. Das war ein echter Staat. Da gab es einen Kommandanten, eine Militärabteilung (die Tante habe ich, was niemand weiß, selbst geschlachtet), ein Familienministerium und einen Schatzmeister. Kriege waren an der Tagesordnung. Und wenn einer fiel, fielen die anderen über das her, was er hinterließ. Die Besuche der Außenminister wurden immer seltener. Verbrannte Erde überall. Ja, die Familienbande.

Heute gibt es das alles nicht mehr. Kein Milieu, keine gemeinsame Geschichte, keine Kriechgänger, keine Platteimitglieder, kein Volk – und die Armen und Reichen erkennt man nicht. Kennt man nicht. Wir bleiben zu Hause, schauen fern und drohen – die schweren Füße hochgelegt - dass wir für unsere Familien alles tun würden. Vor allem, für uns selbst. Für dich, für mich. Hauptsächlich für mich. Ich. Das muss reichen. Wer hält es schon mit dem anderen aus. Wer mit sich? Krachen lassen kann man es doch in der Masse.

Von Stadt zu Stadt, von Straße zu Straße, von Straßenzug zu Straßenzug, von Haus zu Haus, von Stockwerk zu Stockwerk, von Wohnung zu Wohnung eilt der Schnitter und schneidet das Band hindurch. So steigt das Verständnis für jene, die sich entzweien, um sich zusammen zuschmieden. Und die Einsicht, wie jeder Schnitt, jede Parzellierung, das Gemetzel vermehrt. Teile und herrsche.

6 Kommentare »

  1. Wo steht der Fleischhauer eigentlich http://www.spiegel.de/politik/deutschland/badener-versus-schwaben-in-der-identitaetsfalle-a-1048684.html

    Kommentar von Campo-News — 18. August 2015 @ 18:05

  2. Gut - http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/die_separatisten_mafia

    Kommentar von Campo-News — 12. Oktober 2015 @ 08:56

  3. http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/die-polarisierung-der-welt-kolumne-a-1061227.html

    Kommentar von Campo-News — 8. November 2015 @ 10:07

  4. https://klimpelsjunge.jimdo.com/meine-heimat/sauerl%C3%A4nder-hochdeutsch/

    Kommentar von Campo-News — 14. Februar 2017 @ 16:37

  5. https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2017/der-alte-neue-traum/

    Kommentar von Campo-News — 5. September 2017 @ 08:06

  6. Vor neun Jahren schrieb ich ein Spottwerk - das wohl als solches nur von wenigen Lesern erkannt wurde - auf den grassierenden Abgrenzungs- und Spaltungswahn, der letztlich nur das ICH anerkennt. Es hieß “reEvolution”. Aus gegebenem Anlass hole ich es hervor -

    reEvolution

    „Ich“, sagt der Alte, “Ich bin mein eigener Staat. Die da unten, die Usurpachaser und Abszessier, die versteh ich. Als wir jung waren, so Ufftatadreidreizigschinderassabummbummpaarjahrefrüheroderspäter, da war es in meiner Heimatstadt so, dass die neu angegliederten Stadtteile nie richtig als Bestandteile der Stadt angesehen wurden. Zwar war die Kernstadt natürlich gewachsen und hatte die Lücke zwischen den alten und neuen Stadtteilen von selbst geschlossen, sodass die Eingliederungen selbstverständlich wurden, aber weder für uns, noch für die anderen, war das in einem tiefen Sinne akzeptable. Wie blieben uns fremd. Bis heute.

    Wir sprachen auch anders. Während die anderen Stadtteile noch mit dem Sprachengebiet der Lelulas liiert war, gehörte unser Stamm zu den Lalelus, was für jemanden, der aus dem Gebiet der Lulelas kam und zuhörte zwar keinen Unterschied machte, doch für uns, die wir es genau heraushörten, so verschieden klang, wie z.B. die Sprache der Schwippen und der Schwuppen für die Schweppen.

    Aber auch zwischen uns in den alten Gebieten waren die Unterschiede enorm. Nein, nicht die zwischen reich und arm sind gemeint, die waren zwar auch wichtig und führten zu Spannungen, aber schlimmer waren andere. Zum Beispiel glaubten die einen an den Klischen Hot und die anderen an den Glischen Hot. Später, nach dem großen Kawumm kamen dann die Buds und Mots hinzu, aber das sind Dinge, die wollen wir jetzt ruhen lassen. Jedenfalls haben wir – ich gehörte zu den Klischen – die Glischen jeden Tag auf dem Nachhauseweg vertrimmt, wie wir bei uns sagten.

    Eigentlich mochten wir nur die Leute in unserer Straße. Doch die Straße war sehr lang. Die auf dem unteren Stück wohnten, waren uns ziemlich fremd. Wir spielten nie mit den Kindern aus dem unteren Teil der Straße. Auch kannten wir kaum jemanden aus dem oberen Teil. Die Straße war einfach zu lang, als dass wir zu den Menschen im oberen Teil einen näheren Kontakt bekamen. Sie schienen anders zu leben, organisierten sich in einem anderen Sportverein, besuchten andere Gaststätten und wählten überwiegend anders als wir. Wir in der Mitte, wir waren die Echten der Straße. Wir waren die Richtigen. Wir waren…WIR.

    Doch auch auf unserem Straßenstück gab es Leute, die WIR hassten. Böse Nachbarn, kautzige Gestalten, viel zu Reiche und viel zu Arme. Damals, vor der Zeit des Ufftatadreidreizigschinderassabummbumm, kauften die mit den Fensterlederjacken auch in einem anderen Laden, als die mit den Schalmeien. Der Hass blieb, die Farben wechselten. Ein Grund für den Hass fand sich immer. Wer neu hinzuzog war ohnehin der Letzte. Was wusste er schon von unserer Wertigkeit. Was hatten wir mit ihm zu tun? Was er mit uns?

    Am Liebsten war uns die eigene Familie. Das war ein echter Staat. Da gab es einen Kommandanten, eine Militärabteilung (die Tante habe ich, was niemand weiß, selbst geschlachtet), ein Familienministerium und einen Schatzmeister. Kriege waren an der Tagesordnung. Und wenn einer fiel, fielen die anderen über das her, was er hinterließ. Die Besuche der Außenminister wurden immer seltener. Verbrannte Erde überall. Ja, die Familienbande.

    Heute gibt es das alles nicht mehr. Kein Milieu, keine gemeinsame Geschichte, keine Kriechgänger, keine Platteimitglieder, kein Volk – und die Armen und Reichen erkennt man nicht. Kennt man nicht. Wir bleiben zu Hause, schauen fern und drohen – die schweren Füße hochgelegt - dass wir für unsere Familien alles tun würden. Vor allem, für uns selbst. Für dich, für mich. Hauptsächlich für mich. Ich. Das muss reichen. Wer hält es schon mit dem anderen aus. Wer mit sich? Krachen lassen kann man es doch in der Masse.

    Von Stadt zu Stadt, von Straße zu Straße, von Straßenzug zu Straßenzug, von Haus zu Haus, von Stockwerk zu Stockwerk, von Wohnung zu Wohnung eilt der Schnitter und schneidet das Band hindurch. So steigt das Verständnis für jene, die sich entzweien, um sich zusammen zuschmieden. Und die Einsicht, wie jeder Schnitt, jede Parzellierung, das Gemetzel vermehrt. Teile und herrsche.

    Kommentar von Campo-News — 5. Oktober 2017 @ 14:32

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