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15. Februar 2008

Talentschnuppen

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 19:01

von Tanja Krienen

Bereits in den 60er Jahren gab es den„Talentschuppen“. Darauf wies ich schon 2005 (!) hin und der Artikel beinhaltet eigentlich schon damals alles, was über DSDS andere erst jetzt wissen, (inklusive des besagten Hinweises auf den Talentschuppen).

Elvis is a hero, he´s a superstar
And I hear that Paul McCartney drives a Rolls Royce car.
And Dylan sings for millions,
And I just sing for free.
Oh, everybody’s makin’ it big but me.Oh, everybody’s makin’ it big but me.
Everybody’s makin’ it big but me.
Neil Diamond sings for diamonds,
And here’s ole rhinestone me.
Oh, everybody’s makin’ it big but me.Well, I hear that Alice Cooper’s got a foxy chick
To wipe off his snake, keep him rich.
And Elton John’s got two fine ladies,
And Doctor John’s got three.
And I’m still seein’ them same old sleezoes
That I used to see.Oh, everybody’s makin’ it big but me.
Everybody’s makin’ it big but me.
I’ve got charisma
And personality.
How come everybody’s makin’ it big but me? Well, I paint my face with glitter
Just like Bowie does.
And I wear the same mascara
That Mick Jagger does.
And I even put some lipstick on –
That just hurt my dad and mom.

Everybody’s makin’ it big but me.They got groupies for their bands,
And all I got is my right hand.
And everybody’s makin’ it big but me.

Shel Silverstein, 1972
DSDS – Deutschland sucht den Superstar (geschrieben 2005)

Was als „Trash“ bezeichnet wird, stimmt den Unbefangenen meist wunderlich, da die vereinbarte Toleranz kaum mittelmäßig Begabter nur den nicht abzustoßen vermag, für den der gewöhnlich laue laute Spaßevent – geboren und erwachsen aus Drogen, Alkohol oder einer chronischen Fehlfunktion der Hirnanhangdrüse – einer Widerspiegelung seines eigenen lauen lauten Daseins entspricht. Doch das DSDS – Format der Casting-Sendungen befriedigt die Wünsche der sich Produzierenden nur selten, weil die Prozenten der Sendung jene Psychologie der Massen besser kennt als die Masse selbst, deren einer großer Genuss zwar in der Selbstinduktion liegt (die ganz nach Lenzschen Regel „Der induzierte Strom ist immer so gerichtet, dass sein Magnetfeld der Induktionsursache entgegenwirkt“ funktioniert, und eben deshalb oft anders ausfällt, als der Proband denkt), aber vor allem der menschlich, allzumenschlichen Tatsache geschuldet ist, dass sich der Konkurrent an der Zerfleischung des Nebenmannes mehr ergötzt, als an seinen eigenen Erfolgen. Nun gibt es Niederlagen, die man dem von ganzen Herzen gönnen kann, der stillschweigend den Trash-Faktorschutz für sich beanspruchend, keinerlei Zweifel aufkommen lässt, er habe außer Talent auch noch Kreativität, und dies in optischen und akustischen Publikums-Quälereien, talent -, sowie auch kreativlosen „Einlagen“ so zum Besten gibt, auf dass der berühmt berüchtigt herumstehende Sandsack, als ein tollkühnes Bewegungsmuster erscheint. Das ist der Moment, da man sich neben Bohlen nur noch einen Effenberg herbei wünschen kann, um die Dinge gerade zu rücken, die zuvor gar nicht standen und danach auch zu Recht nie mehr zu sehen sind.

Nun hat es ja durchaus etwas für sich, dass der TV-Talentschuppen früherer Jahre, durch ein moderneres Format ersetzt wurde, da nicht ständig verkappte Reinhard Mey-Imitatoren und Hekatomben von Michael Heltau oder Knut Kiesewetter-Verschnitten von der Straße weg gefangen und eine wenig variable Miene zum kurzen 3 Minuten-Spiel zu machen imstande waren. Wer hätte sich also nicht, damals, als die Tingelei durch Beat-Schuppen und Vorstadtbühnen unbedingte und alleinige Voraussetzung für den Erfolg waren, eine Fernsehbühne gewünscht, bei der man von 0 auf 100 in kurzen Augenblicken katapultiert werden könnte? (Sehen wir einmal davon ab, dass auch schon vor 40 Jahren eine Gruppe wie „The Monkeys“ am Reißbrett geplant zum Erfolg imaginiert wurden und nicht erst „Milly Vanilly“ nicht selbst sangen – weshalb mich der daraus folgende Skandal sehr überraschte, war es doch nichts anderes als das, was man sich schon um das Jahr ´67 herum von den Archies erzählte). Doch eine Alternative zum jetzigen Marktplatzgeschrei, zur Einseitigkeit neuerer Darbietungen – ja, die wünschte man sich doch. Und zwar sehr.

Der vorhandene Mangel der Jugend, keine oder nur wenige wirklich mitsingbare UND inhaltlich einen Ansatz von Anspruch habende Lieder zu besitzen, müsste bekannt sein. Wenn dieser Umstand aber dazu führt, dass die mit imitiertem und letztlich einer Abart des auch früher schon musikalisch nicht unbedenklichen Soul herausgeröhrt, gequiekt, geschrieen, gekreischt, gestöhnt, gequetscht und gemülleimert werdenden, ganz wertfrei Töne genannten Laute, gleichzeitig Textinhalte transportieren, gegen die jedes Schunkelattentat des Volksmusiknetzwerkes wie eine kulturelle Offenbarung hochgeschätzter Klassiker wirken, dann kommt zum Bedenklichkeitsfaktor noch der Wille zum Abschalten hinzu. Doch Vorsicht: Bei DSDS entginge dem Zuschauer dann das, was man z.B. nach einem Kevin Kuranyi – Werbefilm nie bekommt: ein bisschen von den Schokoladenseiten des Lebens, die da heißen Emotion, Glück und – das Leben selbst!

Wer nur an Küblböck denkt, sollte sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass eben dieser Trashartikel nicht das ist, was die Guten unter den Hoffnungsvollen im Sinn haben. Darüber wollen sie hinaus, und: es gibt unter ihnen tatsächlich Begabte. Begrenzt ist jedoch die Spannbreite des Repertoires und manch wirklichem Talent haftet das Etikett „Reproduktionsmaschine“ trotzdem an, weil der Markt nichts anderes zulässt. Wie wohltuend wirkte der Kandidat, der zur eigenen Gitarre ein paar Akkorde vortrug, aus denen so etwas wie ein überzeugender melodischer Spannungsbogen übersprang, welcher unmittelbar den Fuß zum Wippen brachte. Wenn fehlende Qualität durch inszeniert wirkende Storys von „Apfelring“ lispelnden Negermädchen ersetzt wird oder die xte durchsichtige Endemol-Transentrashgeschichte jene Bizarrheit, welche die BILD-Zeitung daraus nicht eben zur Steigerung der Seriosität betroffener Transsexueller bastelt, heraufbeschwört, so liegt das nahe einer bewussten und leicht zu durchschauenden Manipulation.

In der Tat bezog sich mein 2004 ausgesprochenes Verdikt auf Dieter Bohlen-Adepten, als ich schrieb: „Es bedurfte es Unmengen an suggestiver Beschallungskriminalität, ehe die vollends in ihrem Geschmacksempfinden verwirrte Masse kapitulierte und z.B. für einen Xavier Naidoo weich gekocht ward. Es musste schon eine gänzlich narkotisierte Öffentlichkeit hergerichtet werden, damit sie begann, „Superstars“ aus der Retorte auszugucken, die ihnen ein Medienkartell von „Kultur“funktionären, Quoten-Fetischisten, abgehalfterten Musiker-Imitatoren und taxierenden Profiteuren vorsetzte, auf dass sie zu wählen hatten zwischen Murksern und Matschern, Tonschleimlingen und Klangteppich-Verkäufern, Kitschköpfen und Trashern, inkarnierten Leidensgestalten Christis und Bulimie-Animateuren.“ Und doch ist es der Protagonist und bezahlte Transporteur des Unternehmens selbst, der die besten Einsprüche gegen diesen Wahnsinn zu formulieren vermag, ganz nach der bekannten Wahrheit, dass der Brüller von der Fußballtribüne auch nicht erfolgreich gegen den Ball getreten haben muss, um Kritik üben zu können. Doch dieser Brüller war erfolgreich, wenngleich in einem Stil, der ihn nicht zu qualifizieren scheint, ein Urteil über gute und schlechte Musik abzugeben.

Aber so einfach ist das alles nicht. Die Ambivalenz, den Fremdenführer im Potemkinschen Musikdorfes abzugeben, und den Besuchern gleichzeitig zu signalisieren, wie wacklig die Konstruktions-Bauten sind, gelingt Bohlen besser als früher. Er versteht zumindest etwas vom Geschäft, zumindest von diesem Sortiment, zumindest in diesem Dorf. Selbstverständlich hält er die Wachtürme besetzt und kontrolliert jedes Eingangstor, aber wen er durchlässt und sich dabei auch nur einen falschen Mucks erlaubt, der ist schneller draußen als er herein kam. Wie viele seiner drastischen Bemerkungen im Sinne des Dorfchefs sind, aber wie viele darüber hinweg gehen, bleibt offen. Jedenfalls könnten viele, würden sie anderswo geäußert und nicht herbei inszeniert, beinahe als tragfähige, weil zurecht niederschmetternde Kritik angesehen werden. Wenn Bohlen höhnt: „Affen können auch nicht singen, aber die probieren es auch nicht!“ Und: „Wenn ich meinem Hund eine Currywurst in den Arsch schiebe, dann macht er solche Geräusche“ dann denkt man sich oft: Das musste mal - und zwar genau so - gesagt werden.

Damit verschafft sich Bohlen nicht unbedingt Freunde. Sein flottes Mundwerk trifft den Ton genau so oft, wie er fehlt. Persönlicher Charme, beißender Spott, Dynamik, Schlagfertigkeit – aber auch Herz - lassen die Grenze zwischen Masche und Ehrlichkeit nicht klar erkennen. Wie bei allen Kulturlinken. Ist er in Wirklichkeit (noch immer) einer?

 

2 Kommentare »

  1. Ergänzung:

    In den letzten beiden Staffeln wurde es natürlich nicht besser. Nach dem Fall „Mad Markcock“ wird auch deutlicher, wie sehr Ex-DKP-Genosse Bohlen einen Teil eben jener puscht, die ich im obigen Artikel als Negativbeispiele nannte. Die ganze Sache ist also partiell fragwürdig. Dass jedoch Talente „es“ probieren wollen, ist prinzipiell in Ordnung. Wie sie jedoch „zur Ordnung“ gerufen werden, auch jene, die es nicht verdienen, ließ Grenzen überschreiten. Damit meine ich nicht diejenigen, die unter der eigenen Last unberechtigter Ansprüche zusammenbrachen, sondern die, die sich nichts anderes als das übliche Stück an Träumen hingaben, aber mit überzogener Kritik in den Boden gestampft wurden. Dies wiederum von einer Bagage, die, weil selber wenig talentiert, auch wenig Grund zur fachlichen Kritik an anderen äußern sollte. Naja. Was solls?

    Ein „Talentschuppen“, der ALLE Richtungen der Musik einbezieht, zumindest, wenn es sich schon auf U-Musik konzentriert, alle diesbezüglich infrage kommenden, wäre nötig. Die Focussierung auf diesen – wie oben beschriebenen – Soul und Disco-Müll, ist schlicht unsäglich.

    Kommentar von Tanja Krienen — 16. Februar 2008 @ 08:57

  2. “Am besten diese Shows verbieten! Es gibt einfach diese Arbeiterklassenethik nicht mehr, mit der ich aufgewachsen bin. Und das war gar nicht schlecht, wissen Sie? Heutzutage ist alles jederzeit auf Knopfdruck erhältlich, also ist auch nichts mehr etwas wert.”

    Kommentar von Campo-News — 16. April 2010 @ 07:31

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