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3. August 2005

„Es ist töricht, in Europa „Achsen“ aufbauen zu wollen. Dies wird von einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung unverzüglich beendet.“

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 12:07

CAMPO – Interview mit dem Mitglied im „Auswärtigen Ausschuss“ des Bundestages und Staatssekretär a.D., Klaus - Jürgen Hedrich, CDU

CAMPO: Im Zusammenhang mit der Ablehnung des EU-Verfassungsvertrages in den Volksabstimmungen in Frankreich und den Niederlanden wurde vielfach von einer Krise des Projekts der Europäischen Union sowie von einem Triumph “anti-europäischer” Ressentiments gesprochen. Sind auch Sie geneigt, die Mehrheit der französischen und der niederländischen Bürger, die ihr Stimmrecht wahrnahmen, als Gegner einer Wertegemeinschaft EU zu verurteilen?

Hedrich: Das Gegenteil ist richtig. Die Bürger haben auf das Unvermögen der europäischen politischen Klasse reagiert, dass Projekt „Europa“ klar zu definieren. Nach wie vor weigert sie sich, eine Vision für die EU nach eindeutigen Kriterien zu entwickeln.

Die politischen Entscheidungsträger auf unserem Kontinent machen sich eines schweren Versäumnisses schuldig, wenn sie sich weigern, die Zukunft und den Charakter Europas zu definieren,
- geographisch
- ethnisch
- kulturell
- religiös.

Die Bürger Europas haben den Anspruch darauf zu erfahren, wer zu Europa gehört und wer die Nachbarn sind (Türkei, Maghreb). So würde eine Vollmitgliedschaft der Türkei das Ende der EU als politischer Union und der europäischen Idee an sich bedeuten. Man braucht kein Prophet sein, um die Folgen zu benennen: in einem Europa ohne eigene Identität werden wir ein Erstarken des Nationalismus erleben, wahrscheinlich nicht zum Segen der Gemeinschaft. Gerade deshalb zeugt es von einer besonders verantwortungsbewussten Politik, Ankara unter Berücksichtigung der engen wirtschaftlichen und verteidigungspolitischen Beziehungen einen privilegierten Status als Nachbar der EU anzubieten. Eine solche Lösung würde keine der beiden Seiten überfordern, weder politisch, noch kulturell-emotional. Allen Mitgliedsstaaten der EU, aber auch den USA muss klar werden, dass die Türkei-Frage nicht mehr länger ausschließlich unter Aspekten der technokratischen und militärstrategischen Zweckmäßigkeit erörtert werden darf!

CAMPO: Kommen wir zu den deutsch-französischen Beziehungen, die auch und gerade früheren CDU-geführten Bundesregierungen – beginnend mit dem Schulterschluss de Gaulles und Adenauers – stets ein besonderes Anliegen waren: Im April 2001 bemängelte der Außenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, Karl Lamers, eine “Inhaltsleere” der deutsch-französischen Zusammenarbeit und mahnte eine “Neubegründung der Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich” einschließlich einer “Debatte über die europapolitischen Kernfragen der Europäischen Union” an. Die Versuche Bundeskanzler Gerhard Schröders, eine enge Kooperation mit Paris in europa- und sogar in weltpolitischen Fragen (Irak, Russland) anzustreben, wurden allerdings in den vergangenen zwei Jahren seitens der CDU/CSU-Opposition einer scharfen Kritik unterworfen. Worauf lässt sich dieser Paradigmenwechsel in der Haltung der Unionsparteien betreffend die deutsch-französischen Beziehungen zurückführen?

Hedrich: Die deutsche Staatsräson ist eindeutig: Unsere Beziehungen müssen von gleicher Intensität zu Paris und Washington getragen sein. Schröders Irakpolitik war und ist nicht von Wertvorstellungen geprägt, sondern ausschließlich vom innenpolitischen Kalkül. Nach dem Motto, wer in Europa in der Irak-Politik nicht mit uns gegen Amerika ist, ist gegen uns und soll gefälligst schweigen, trieb das deutsch-französische Duo die europäische Integration in die tiefste Krise seit den 50er Jahren. Damit die deutsch-französische Zusammenarbeit wieder zum Motor der europäischen Integration wird, müssen Deutschland und Frankreich ihrer besonderen Verantwortung dafür gerecht werden, dass Europa in der Außen- und Sicherheitspolitik mit einer Stimme spricht.

Auch mit Blick auf die vorgesehenen künftigen Erweiterungen auf mehr als 30 Mitgliedsstaaten müssen sie eine Antwort entwickeln auf die Frage nach dem Ziel des europäischen Einigungsprozesses, was die EU künftig sein soll: eine Föderation von Nationalstaaten, ein Europa der Beliebigkeit, eine gehobene Freihandelszone, eine Frage, die mitnichten durch die Europäische Verfassung beantwortet ist. Sicher ist jedoch: Die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich werden unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahl fundamental bleiben. Dies hat auch Angela Merkel in Paris deutlich gemacht.

Zugleich ist es töricht, in Europa „Achsen“ aufbauen zu wollen. Dies wird von einer CDU/CSU-geführten Bundesregierung unverzüglich beendet. Nur wer die Interessen aller 25 Mitglieder der EU berücksichtigt, kann den europäischen Integrationsprozess verantwortlich gestalten. Dass Russland ein unverzichtbarer Partner ist, erwähne ich nur der Vollständigkeit halber. Gleichzeitig dürfen wir jedoch die Rückentwicklung zu einem autoritären Staat und die massiven Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien nicht übersehen.

CAMPO: Sowohl Frankreich als auch Spanien sehen sich vor der Herausforderung separatistischer Bestrebungen. Sehen Sie Parallelitäten zwischen den Reaktionen der französischen Regierung auf die Erpressungspolitik der ethnonationalistischen korsischen Separatisten in den vergangenen Jahren einerseits und Tendenzen in der derzeitigen spanischen Regierungspolitik, Spaniens Regionalisierung voranzutreiben, andererseits?

Hedrich: Nicht unmittelbar. Wie Spanien sein Verhältnis zu den Regionen gestaltet, ist Sache der spanischen Nation. Aus europäischer und deutscher Sicht ist es allerdings nicht unproblematisch, wenn zum Beispiel das Katalanische einen dominierenden Stellenwert bekommt.

Die spanische Sprache ist mit ihrer Bedeutung in Lateinamerika eine der großen Weltsprachen. So ist es unter anderem für die wissenschaftliche Kooperation aber auf Dauer schwierig, wenn Wissenschaftler und Studenten bei einer Tätigkeit an einer katalonischen Universität das Katalan beherrschen müssen, das „nur“ von regionaler Bedeutung ist.

Jede Politik einer Regionalisierung steht im dem Spannungsfeld zwischen Gewährung größerer Autonomie und der Funktionsfähigkeit der staatlichen Einheit. Eine Aufwertung des Senats als echter zweiter Kammer als Repräsentanz der Regionen ist auf jeden Fall eine interessante Überlegung.

CAMPO: Wie werden sich die deutsch-spanischen Beziehungen auch im Hinblick auf eine Zusammenarbeit in der EU nach einem Wahlsieg der Unionsparteien in Deutschland voraussichtlich gestalten?

Hedrich: Vorweg eine Selbstverständlichkeit: Die herzlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Völkern sind unabhängig von der parteipolitischen Prägung der jeweiligen Regierungen in Madrid und Berlin.

Spanien als Mittelmacht in Europa ist nicht zuletzt auch in Lateinamerika ein für Deutschland höchst wichtiger Partner. Eine von der Union geführte Regierung wird Spanien „einladen“, die Aufmerksamkeit der EU für diesen Subkontinent zu verstärken.

Die demokratischen Prozesse in vielen Ländern sind gefährdet. Die populistischen, neomarxistischen Bewegungen gepaart mit sich radikalisierenden Indigenagruppen gefährden auch die Sicherheit in Europa. Drogen, kriminelle und terroristische Aktivitäten sind eine Herausforderung an die demokratische Kultur und die Rechtstaatlichkeit in Lateinamerika.

Zugleich aber benötigen wir Spaniens Mitwirkung in der Bewältigung der Erweiterungsprobleme der Europäischen Union nach Osten. Lateinamerika und Afrika sind keine Sache der Iberer allein, wie auch das Hineinführen der neuen Mitglieder nach Europa keine alleinige Sache der Deutschen, Skandinavier oder Italiener ist. Wir bedürfen deshalb eines neuen Geistes der Zusammenarbeit in Europa.

Das Interview für „CAMPO de Criptana“ führte Daniel L. Schikora

10 Kommentare »

  1. Aus dem Wahl – und Regierungsprogramm der CDU/CSU



    Kommentar von Campo-News — 3. August 2005 @ 12:12

  2. sagen wir es auf die Diekmann (11 inch, haha) Tour:

    CDU-Pfahls entlastet!

    Anklage hebt Bestechlichkeitsvorwurf auf.

    Weiter auf Seite 3…

    Kommentar von hegelxx — 3. August 2005 @ 15:08

  3. Es wäre mir lieber, du hättest zur Kenntnis genommen, dass die CDU als einzige Partei sagt die Existenz Israels sei Kern der Staatsraeson!!! DAS ist entscheidend…

    TK

    Kommentar von Campo-News — 3. August 2005 @ 16:22

  4. Das stimmt. Ich habe das auch zur Kenntnis genommen. Nur stösst mir die Formulierung auf: Eine Anerkennung sei “Staatsräson”. Das klingt äusserst windig. Es sollte der allgemeinen Vernunft ein Anliegen sein, also jedes einzelnen Vernunft. Wo wir doch auf individuelle Entfaltung Wert legen, sollte auch die raison individuell eingefordert werden.

    Kommentar von hegelxx — 4. August 2005 @ 09:07

  5. Also: Das finde ich nun wirklich nicht. Es ist halt eine diplomatische Sprache und da heißt es nicht “Israel-Solidarität”, sondern stellt heraus, dass es Teil des Staatszieles sei, unverrückbar an der Sicherung der Existenz Israels mitzuarbeiten. Wichtig ist doch, was dabei heraus kommt…

    TK

    Kommentar von Campo-News — 4. August 2005 @ 09:16

  6. “Wichtig ist jedoch, was dabei herauskommt”, stimmt, das hat auch Kohl (allerdings weitaus dümmlicher) gesagt, you remember? Aber du hast ja Recht, ich verringere aber mal den Anspruch: “Wichtig ist es, nicht daran zu arbeiten, dass die Existenz des Staates Israel gefährdet sein könnte.”

    Und das sage ich, der durchaus gegenüber Staaten gewisse Bedenken hegt…

    Kommentar von hegelxx — 4. August 2005 @ 09:40

  7. Das regierungsprogrammatische Bekenntnis der Unionsparteien zu der “Verantwortung Deutschlands … für die Existenz Israels” verdient (ungeachtet der minimalistischen Formulierung, die - für sich betrachtet - auch PDS, Grüne und FDP hätten unterschreiben können) im Kontext der Aufforderung, nach einem bundesdeutschen Regierungswechsel “wieder zu diesem Grundkonsens zurück[zu]kehren”, Anerkennung: Als Grundkonsens wird ein Grad der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und der jüdischen Republik postuliert, dem die paternalistisch sich gebärdende rot-grüne “Friedenspolitik” des Völkerbelehrers Joseph Martin Fischer NICHT in genügendem Maße Rechnung getragen habe.

    Die (implizite) Distanzierung von antiisraelischen Tendenzen in der seit 1998 verstärkt dem Zugriff traditionell antizionistischer Kräfte ausgesetzten deutschen (und “europäischen”) Nahostdiplomatie ist uneingeschränkt zu begrüßen!

    Kommentar von Digenis Akritas — 4. August 2005 @ 18:43

  8. Ich halte die Formulierung schon für beachtlich und bitte: Wo steht auch nur ansatzweise etwas zu diesem Thema in den Programmen anderer?

    “Der Respekt vor den Menschenrechten ist das wirksamste Mittel gegen Terror. ” - ist eine der windigsten Phrasen der alten und neuen SED, mit der sie genau das Gegenteil meint, um das es hier geht.

    TK

    Kommentar von Campo-News — 5. August 2005 @ 07:13

  9. Richtig, Tanja,

    “Der Respekt vor den Menschenrechten ist das wirksamste Mittel gegen Terror. ” , das ist die übliche gemein-hinterhältige Schnarchphrase aller Gutmenschen von Goebbels bis Scharping. Und auch immer wieder vom nicht nur im Internet herumramenterternden “Volk” in deutlich eliminatorischer Sprache und Absicht zitiert und für die je eigene Argumentation verwurstet. Was an der völkischen Meinung zum Balkankrieg wie auch zur Irakintervention mehr als deutlich zu erkennen ist. Auch die Bedenken dieser völkischen Idioten zum russischen Vorgehen in dem Moskauer Theater alswie in Beslan sind einbezogen. Von der allgegenwärtigen Ansicht, dass Israel eine “Mauer” baut und den angeblich bemitleidenswerten “pälestinischen Völkern” ( da ham wers schon wieder, das völkische) die Brunnen abgräbt (und womöglich noch deren Kinder darin ertränkt), das ist der status quo. Wie gehabt.

    Ob eine wie auch immer korrekte Äusserung eines CDU-Abgeordneten jedoch mir das Desaster deutschen Parteienwesens jetzt schmackhaft machen soll, wage ich zu bezweifeln.

    Denn wie sagte ein kluger Mann in einem klugen Text:

    “Erstens besteht “das arbeitende Volk” in Deutschland zur Majorität aus Bauern und nicht aus Proletariern. (das stimmt auch heute noch, wenn es sich auf’s mentale beschränkt, Anmerkung hxx)

    Zweitens heißt “demokratisch” zu deutsch “volksherrschaftlich”. Was heißt aber “die volksherrschaftliche Kontrolle des arbeitenden Volkes”? Und nun gar bei einem Arbeitervolk, das durch diese Forderungen, die es an den Staat stellt, sein volles Bewußtsein ausspricht, daß es weder an der Herrschaft ist, noch zur Herrschaft reif ist!”

    Das war zwar gegen die SPD gerichtet, aber für die anderen gilt es auch.

    Wie ihr sicher wissen werdet, stammt das Zitat aus: Karl Marx, Kritik des Gothaer Programms, 1875, MEW Bd. 19, S. 13-32…

    Kommentar von hegelxx — 5. August 2005 @ 12:59

  10. Um es einmal ganz prosaisch zu Protokoll zu bringen: Sollte dem Verweis auf die “Verantwortung Deutschlands … für Israel” nicht ausschließlich ein deklaratorischer Wert zuzubilligen sein, wäre es erforderlich, daß CDU-Außenpolitiker darüber aufklären, daß russische Soldaten dafür sterben, daß die Kaukasusregion nicht in die Hände antisemitischer Mordbrenner fällt. Einseitige “Menschenrechts”deklarationen zum Zwecke der Diffamierung der Anti-Terror-Operationen der Russischen Föderation - unter Staatspräsident Putin die schlagkräftigste anti-terroristisch handelnde Entität des Planeten! - gefährden Leben und körperliche Unversehrtheit nicht nur russischer Bürger, sondern auch von Israelis und Deutschen.

    http://www.achgut.com/artikel/wie_belastbar_ist_deutsche_staatsraeson

    Kommentar von Digenis Akritas — 5. August 2005 @ 14:50

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