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26. April 2005

Zwielicht

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 15:21

Der Literat Holger Uske, den Lesern der CAMPO-Print-Ausgabe schon als Rezensent des Hörbuchs “Das RR-Projekt” mit Lutz Rathenow und Heinz Ratz bekannt, wird hier im Laufe der Woche mit drei seiner Erzählungen vorgestellt, die er uns mit freundlicher Genehmigung überließ. Ein Hinweis auf sein neues Erzählbuch “Zwielicht”, findet sich am Ende des gleichnamigen Beitrages.

ZWIELICHT

von Holger Uske

Aufgetriebene Blätter. Der Boden regennass. Wind, der nur verhält, um unerwartet wieder Schirme umzustülpen, Röcke anzuheben und Hüte zu entführen. Ein gelber Ton über allem. Ein Oberton, denke ich, wie wird sein Grundton schwingen. Rasche Schritte. Es ist der Weg heim oder ist der Weg zur Stadt: Fassadentheater erleben, selber spielen. Ein Schritt weist hierhin, ein anderer verharrt. Einer will mitten in den Pfützen-Spiegel, ein nächster weicht dem Wasser aus. Sechsuhrschatten. Neon flimmert. Lichtergewirr. Und Bea ist nicht da.

Da kommt mir das klare Lampenrund gerade recht. Locklicht im Dämmer, groß genug, um Fahrzeuge von ihrer Bahn abzubringen. Um Motten wie mich – übertreib ´s nicht, widerspricht mir die Stimme im Innern, die immer widerspricht, bleib mal auf ´m – Na ja. Teppich wohl doch nicht ganz. Von Regen und Schaufensterauslagen, von Scheinwerfertastfingern spiegelnder Asphalt. Die Abrollgeräusche immer besser vermarkteter minderwertiger Reifen. Und überm Eingang das lichterhelle überschäumende Glas. Let ´s have a – Es ist viel zu früh für diesen Besuch bei Bernd. Es ist zu spät, um umzukehren. Ja, ich weiß, das vierte Pint wird morgen wieder im Schädel röhren. Morgen ist eine Erfindung von Albert Einstein. Die Zeit dehnt sich längst zum Quadrat. Meine Energietankstelle liegt heute hier hinter diesen Fenstern. Das geht doch gut ohne sie.

Bernd grüßt mich wie immer mit Handschlag. Weil ´s noch so leer ist wahrscheinlich. Und was heißt wie immer, wenn ich mich zweimal im Quartal herhocken komm. Er fragt nicht nach ihr, keine Braue zuckt. Viel Stress, murmelt er fragend. Nimmst doch, oder? Ich nehme. Das Kleeblatt im Schaum. Man müsste immer so früh hier sein. Ab elf ist keine Zeit mehr dafür. Und noch kann ich die Musik aus den Boxen verstehen, ich frage nicht nach, ich lehne mich einfach hinein.

Und sonst? Das ist noch die Stunde vor dem wirklichen Leben. Vor dem Dröhnen und Stöhnen, den wollüstig über den Tresen geschobenen von Selbstmitleid glänzenden Klagen. Und sonst. Mal so, mal so, lächle ich. Sie ist nur zum Lehrgang, ist nur mal so für paar Tage. Zu ihrer Mutter, zu Freunden, kämpft für den Frieden, sitzt auf einem Erdmeridian in Südamerika, was weiß ich. Sie heilt die Welt. Mich heilt das Kleeblatt im Schaum, das sich mehr und mehr verliert, dem Boden näher kommt. Nein, mir passiert nichts, mir doch nicht. Machst du noch ab und zu? Ja, sag ich, wenn ich Veranstalter finde. Findest du welche, fragt er nicht. Er weiß die Antwort. Ich bin hier. Was mach ich. Essen erst mal. Das tritt den dunklen Schlucken entgegen, das vermählt sich. Kaum zu glauben, wie sehr die Hochzeit in den Kopf steigt. Ich kann wieder klarer sehen. Niemand weiß, dass ich kaum noch was esse. Was soll ich allein am Tisch mit mir. Mit grinsenden Rinden und aberwitzig riechendem Fisch. Bratkartoffeln, Salat, Spiegelei. Da mag es regnen, wie es will. Da komme, was immer –

Er ist nur ein Zerrbild. Er ist wie ich. Ich habe nicht daran gedacht, dass er auch hierher kommt. Na wie geht’s. Amerikanisch. Er redet amerikanisch. Wehe du sagst, was wirklich los ist. Floskelntreiber, Harmlosredner, Flachwasserplantscher: na wie geht’s. Antworte nur nichts anderes als gut. Sonst öffnest du damit sein Klagemaul, ziehst den Korken aus der Kehle: weißt du die Verhältnisse und ich – Ich bin schon beim dritten Pint. Einer geht noch, einer geht noch rein. Aber wir haben keinen Karneval. Am Südwestrand des Gebirges vereinzelte Schauer, Frostgefahr. Die CD ist zu Ende. Das Glas ist leer. Die Sätze schwimmen in Zigarettenschwaden. Durchpflügen sie, saufen ab. Gut, sag ich, gut geht’s. Und Achim Arno Frank Bimmel wie hießen sie alle die grauschläfig kahlköpfig werdenden Kumpel sie nicken und prosten mir zu. Als sei es ein Freitag wie jeder. Als risse mir draußen der Wind dann nicht selbst die Mütze vom Haar: mein Markenzeichen seit zwanzig Jahren. Wie oft hast du sie eigentlich gewechselt, nein, fragen die Kumpel nicht, das traun sie sich doch nicht, und die Jungen, die sagen sowieso nichts. Vielleicht prusten die los, wenn ich vorbeigegangen bin, hinter vorgehaltener Hand, die halten immer was vor, schützen was, sich, die Pisser. Doch schon das vierte. Das macht wieder Platz für Musik. Die bebt in den Schwaden. Die Kumpel lassen mich in Ruhe. Ich werde dann in den Regen werd ich in den Wind und der Asphalt glänzt immer noch. Der Reifengummi reißt das Wasser hoch und der Film bricht ab und bricht –

Es sind meine Zähne. Sie schlagen aufeinander. Der Mond hat sich hochgeklimmt. Fahl ist doch was anderes. War nur so ein Moment, ist nur nass, ihr Zähne, was wollt ihr. Gut, ich geh ja schon. Fast sicher der Schritt. Kennt wieder Vorzugsrichtungen. Was haben die alle mit dem Mond. Siehst du, jetzt leuchten nur noch die Wolkenränder. Und jetzt könnte Lucie vielleicht, nein, besser Annett. Ja, stell dir ´s nur vor. Die würden sich bedanken. Diesen Atem im Gesicht und diese viel zu schwieligen Hände. Schaben auf der Haut entlang und finden nicht, was du eigentlich suchst. Lass mich, sag ich der Stimme, lass mich. Nässe kriecht von den Schultern herab. Waterproof, was schwätzen sie nur auf ihren Etiketten daher. Die Baumwolle drunter verteilt das Wasser, mein Heizwerk Haut wärmt es auf, gut so.

Die Hohle hinauf und die Gartenzäune nähern sich noch einmal. Warn doch nur vier oder waren ´s doch sechs. Was hat Bernd zum Schluss gesagt. Grüß deine Frau. Welche meiner Frauen. Die offizielle oder die mit der ich letzte Woche bei ihm war oder die von vor ´nem halbem Jahr, Kolleginnen, weißt du, Arbeitsessen, schreibst du mir ´ne Quittung: mein Alibi. Und hat nicht mal Zimmer nebenan oben drüber, was ist das eigentlich für ein Kneiper, wieso geh ich da hin wenn mir doch von dem Bier immer schlecht wird aber besser doch erst weil es schwarz ist so schwarz und so herrlich bitter wie –

Jaja. Die Stimme schläft nicht. Bist wohl nie müde, was. Ja, selber eingebrockt, bin doch nicht blöd, lass mich. Einsteins Quadrat ist schon Kubik. Meine Schritte sind die Dimension dazwischen. Ist schon bald Sonntag, he, immer schön weiter, hast den Tag verpasst. Wenn der Fußweg endet, bin ich bald zu Haus. Wenn die Lampen über mir immer seltener werden und der Mond manchmal zwischen ihnen die Oberhand gewinnt. Es regnet nicht mehr. Es ist finster. Hinterm Wald am Hang der Himmel nur ist hell. Dort bauen sie: Trassen für die Zukunft. Sie bauen immer für die Zukunft. Nur ich bau am Jetzt. Am Jetzt, ruf ich. Der Wald schluckt ´s. Die regennasse Straße nimmt ´s gelassen hin. Nicht mal ein Fenster wendet sich an mich mit einem empörten Grußgesicht. Auf wen ist Verlass. Schipp Schritt den Regentritt Schipp Schritt so feucht und fit. Meine Schlüssellochsuchfinger. Meine Zeitungsseitenreißhand, das Aktuelle von gestern für trockne Schuh von morgen. Mein halbseitig gelähmtes Bett.

Es will nicht Tag werden. Zwischen den Wolken und zwischen dem nebelverhangenen Grund hängt das Licht. Blass geheult: was hast du denn. Zwiegeprügelt. Zwischenlicht. Gut, noch mal eine Stunde. Nützt auch nichts. Die Meridiane in mir verbinden sich nicht. Die Energie dringt nicht durch. Ich falle ohne Bea jeden Tag um eine Woche zurück. Bis ich auf allen Vieren - Wollte sie denn so lange fortbleiben? Sagte sie nicht wenigstens Vielleicht?

Ihre Widerworte. Ihre Antworten auf mein verzweifeltes Schweigen. Das Gehabe vorm Spiegel. Sprechende Haut, verschmitzt schweigende Ebenen. Ihr Schoß, auf den ich meine Hand passend legen konnte zur Nacht. Der unsre Kinder in die Welt entließ, ja, meine auch. Ich hasse all die Simpelgimpel, die in ihren Illustrierten wissenschaftlich lügen, Kinder bräuchten keine Väter, nur Mütter wären wichtig, Väter brächten ´s eh nicht hin. Wegen dem bisschen Windelschiss, mein Gott. Zerrbilder Lebensstil: wolln wir zusammen Baby fahrn gehen, mit Männern weit im Hintergrund glücklich-dümmlich grinsend, fern vom Leben, fern vom Schoß. Den ich vorsichtig wieder berühren lernte: tut es noch weh. Aber war noch derselbe, wollte wieder gestreichelt werden zuerst. Schoßkätzchen, selber Kind, das nicht altern mag, nicht soll, nichts sollte älter werden an uns, in uns. Auch meine Neugier nicht. Es hatte nichts mit Bea zu tun. Nur mit dem Unterschied der Düfte, mit Aufeinanderprallen, Abwehr. Mit Weichheit und Wortwiderspruch, mit Leiblüge. Das Atemholen bis hinauf zum Gipfel. Die gespannten Wangen, die sich wieder glätten, die verkrallten Finger, die den Druck aufgeben. Das Lächeln, das sich löst und wieder schmiegsam wird. Jedes das Herzflimmern wert, das Stimmengedröhn im Innern: nur, was niemandem schadet, hörst du? Ungefesselte Welt. Die Stunde, in der ich bei anderen lieg. Die Stunde, in der ich heimkehren kann. In der sie nichts sagt, nichts fragt, von ihrem Tag erzählt und zu glauben scheint, weshalb es so spät war. LucieAnnettCecilie. Und Schatten im Blick, wenn das Licht ungünstig fiel. Den Duft habe ich vorher immer abgewaschen. Was hat sie wirklich bemerkt. Wie viel mehr hat sie gespürt von meiner Erinnerung. Ich soll es, was bitte soll ich den Kindern sagen. Die kommen heim, die fragen mich, wo ist Ma, was soll ich ihnen sagen? Denkt sie denn nur an sich?

November, das passt. Und natürlich haben sie mit ihrer Zeitumstellung wieder alles durcheinander gebracht. Gut, es ist früh wieder hell. Gut, wir haben Strom gespart, angeblich. Wie viel Energie brauche allein ich, um alle meine Uhren umzustellen, weil ich natürlich wieder vergessen habe, welchen Knopf am Radio ich wie lange drücken muss, damit die Uhr wieder stimmt. Hell ist es draußen. Wolkengetönte Wegminuten. Gehzeit. Der Schritt der frühen Stunde. Wie dieser ganze Losungswust noch im Kopf rumtrommelt. Die Sätze sind schnell bei der Hand. Mann der Arbeit, aufgewacht. Tritt der frühen Stunde, so müsste es heißen. Ach ich lauf und lauf und im Büro stapeln sich die Unterlagen. Hast du auch dies und das nicht vergessen. Immerhin duzen wir uns noch. Siez-freie Zone. Das müsste man viel stärker propagieren. Aber schützte es immer vorm Anschiss. Sie haben ja jetzt so nette Worte dafür: mobbing. Und dort, wo ´s nichts zu tun gibt, ist sogar Zeit für Debatten über sexuelle Übergriffe. Schon ein Handschlag am Morgen, unkorrekt ausgeführt – vergiss es.

Ich habe Fehler in meinen Schreiben, meine Brille lag neben dem PC, ich habe die rote Wellenlinie unter den Worten nicht ernst genug genommen. Der Chef sagt nichts, gibt die Zettel nur angestrichen wieder rein. Ich weiß, ich weiß, das kann gar nicht an Bea liegen, nie. Sie hätte es nur aushalten müssen, hätte einfach. Das Telefon. Wieder, wieder. Was ´n mit dir, wie klingst du ´n heut´. Normal. Dann iss ja gut, sagt die Stimme. Was wir normal nennen. Was normal werden kann. Draußen gehen sie zu Tisch. Schaffst du doch bis drei, oder? Schaff ich. Was brauch ich essen. Fünf Kilo in zehn Jahren zugenommen, reicht doch, oder?

Vieruhrlicht. Es ist ja kalt draußen. Beinahefrost setzt sich ins Gesicht, nimmt die Hitze mit. Es ist wie ein Grenzübertritt. Amtliche Sätze und mein Zwei-Finger-Staccato auf der Tastatur, das Schreckschrillen des Telefons und die nachsichtigen Mienen im Duz-Bereich, das alles liegt hinter der Mauer. Hier ist ein ganz anderer Tag, hier schwingt Boulevard-Luft, Stimmensirren, Klangfläche mit Generalbass von Männerlachen und einzelnen Ausreißern im Sopran. Schlepp dich nicht so. Ich weiß ja, mein Gang, mein aufrechter. Eingelernt und abgewöhnt, da richten nicht mal Revolutionen was dagegen aus. Der und jene grüßt. Annett war in Waldenheim und Lucie, wo wohnte die eigentlich. Hier doch nicht, am eigenen Ort. Und triffst eh nur, wen du treffen willst.

Gut, klar. Lust auf Kaffee? Gern. Wasserentziehend. Unbelehrbar, diese Leute, schon seit Bach. Aber schmeckt mir, mit ihr. Und es ist noch ziemlich hell. Ich sehe in ihr glattes Gesicht. Was soll ich mit glatten Gesichtern. Vor dem Fenster die Passanten. Fremde. Wieder so ein Maueraufenthalt. Gern sehe ich den Text mal durch, antworte ich. Gedichte werden ´s sein, Gereimtes. Was mir heute so einfällt, wird morgen berühmt. Warum wollen sie bloß nicht erwachsen werden. Wunschbilder trimmen ihren Weg. Wo sind sie selbst. Junge Autoren, die älteren darauf gestylt. Ich ahne, was sie denkt: warum habe ich heute nichts anderes angezogen. Zufrieden erst, diese jungen Frauen, wenn sie alles, was schön ist an ihnen, zugehängt und verbarrikadiert, weggesteckt und versiegelt haben. Das Gesicht nur darf übrigbleiben, die sorgfältig aufbereitete Maske. Aber einer, einer unter zehn hat vielleicht Talent. Einer unter fünfzig. Der aber ist faul, vertut es, vertrinkt ´s. Einer unter hundert. Vielleicht halt ich ja aus bis dahin. Lust auf Kaffee. Lust auf sie. Was wäre, wenn ich ihr einfach sagte: deine Texte interessieren mich nicht, aber ich wüsste gern, wie deine Brüste sind. Das Café würde still. Ein, zwei Löffel klapperten noch. Der Ball wäre bei ihr. Spaßvogel sagen und zahlen wollen, erröten und den Kaffee verschütten. Auch eine Ohrfeige wäre mal was: eine Art Skandal. Der nur auf dem Papier passiert; ich sag es ja nicht. Unsere Gedanken, unsere stärkste Kraft. Lächelt sie mir Antwort? Liegt der Satz von Am ruhigeren Ort mal darüber reden in der Luft?

Annemarie Natalie Doris und Egbert. Unwirkliches Licht über dem Pflaster draußen. Die Wände schimmern gelb. Es riecht zum ersten Mal nach Schnee.

aus “Zwielicht”, Holger Uske, Verlag: Die Scheune, Dresden ISBN 3-931684-85-7

Der Autor wurde 1955 in Riesa/Elbe geboren, lebt seit 1959 in Suhl und gab bereits mehrere Bücher und CDs heraus.

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