Zum Tode von Gerhard Bronner
Zum Tode von Gerhard Bronner
Ein Portrait, ein Interview und eine aktuelle Szene aus dem Jahr 1959 von Helmut Qualtinger
Eigentlich wollte ich aus aktuellem Anlass eine Szene einstellen, deren Text mit Vorrede auch weiter unten zu lesen ist. Da googelte ich nach Gerhard Bronner um etwas über ihn zu verlinken und erfuhr so, dass er am 19. Januar 2007 im Alter von 84 Jahren starb. Das stimmt mich sehr traurig. So stelle ich also das Portrait ein, das ich für den ersten CAMPO 2003 schrieb und große Auszüge des Interviews, das ich mit ihm anlässlich seines 80. Geburtstages führte.
Aus dem Kabarett-Handbuch
Ein lebender Klassiker ist etwas Seltenes, ein rares Exemplar, mit dem im Kunst- und Kulturbetrieb kaum jemand rechnen sollte. Doch es gibt ein paar dieser Spezies, einer von ihnen ist -
Der Dauerbronner
Als Kind einer Näherin und eines Tapezierers 1922 in Wien geboren, ergriff Gerhard Bronner einen eigentümlichen Beruf: Er wurde – nach eigenen Angaben – Bronner! Nichts als Bronner! Dies aber so gut, wie es keine der Rürupschen „ICH-AG“ werden wird. Bronner zu sein heißt nämlich, alles zu machen, außer vielleicht Hochseilakte vorzuführen oder Formel 1 – Rennen zu fahren, - ganz sicher dürfen wir da aber auch nicht sein. Definitiv jedoch bedeutet es Texter, Pianist, Sänger, Komponist, Kabarettist, Regisseur, Produzent, Theaterdirektor, Drehbuchschreiber, Übersetzer, Buchautor und vieles mehr zu sein. Je älter er wurde, desto vielseitiger geriet der „Beruf Bronner“ und wurde längst zur dauerhaften Institution.
„Heimatlosigkeit und Chuzpe“ seien zwei der prägenden Begriffe für ihn und dies wundert nicht, geschieht es doch selten, dass sich ein 15jährigen Junge gezwungen sieht seine Heimat zu verlassen, um in fremdem Ländern zu überleben , - doch gerade dies geschah. Als 1938 Nazi-Deutschland Österreich okkupierte, verhafteten die neuen Machthaber Bronners Vater, direkt in der Woche nach dem „Anschluss“. Jude zu sein, wurde zum Delikt, mehr noch – zur Abart des Menschlichen. Wer von dieser Sorte war, wurde günstigstenfalls relegiert, ausgeschlossen, abgesetzt – meist aber obendrein verhaftet, gefoltert, vergast. Mit nichts als einem Hungergefühl im Magen, floh der Knabe in die Czechische Republik, von dort nach England und schließlich bis nach Palästina. Hier erlebte er das Ende des zweiten Weltkrieges.
1948 kehrte der erwachsene Gerhard Bronner nach Wien zurück, nun begann seine Karriere als Kabarettist, Autor und…siehe oben. In der zweiten Hälfte der 50er Jahre erreichte das eigentlich namenlose „Wiener Kabarett“ jene Geltung, die es in die vorderste Reihe der deutschsprachigen Ensembles katapultierte.
Diese Gruppe recht junger Mitglieder, sorgte in nie gekannter Form für Furore, denn, wie Bronner einmal schrieb: „Wir waren gerade noch jung genug, alles anders machen zu wollen, aber schon erfahren genug, es auch zu können.“ Und wie sie konnten! Helmut Qualtinger setzte hauptsächlich durch Bronners Texte Massstäbe als „Der Halbwilde“ und „Der g`schupfte Ferdl“, parodierte und spielte sich in allen Variationen die Seele aus dem massigen Leib und fand hier die Form, die er später so echt auf die Bühne brachte, dass der Spiegel des österreichischen Spießers, Philisters und Alltagsnazi, immer das Gesicht des „Herrn Karl“ zeigen wird. Qualtingers letzte Filmrolle im Jahre 1986, war die des auf dem Scheiterhaufen endenden Ketzers in Umberto Eccos „Name der Rose“, an der Seite von Sean Connery, Christian Slater und F. Murray Abraham. Neben Gerhard Bronner selbst, der später mit dem ebenfalls zum Ensemble gehörenden Peter Wehle bis 1986 viele gemeinsame Programme konzipierte, fiel zudem einer besonders auf, der später zum bedeutendsten Vertreter des deutschsprachigen literarischen Kabaretts wurde: Georg Kreisler!
Respektlos karikierte man die Verhältnisse – nicht nur in Österreich; die DDR geriet in der Parodie vom „Volkseigenen Wagner“ zu dem Land, welches der „Meister“ – würde er noch leben - gerne mit seinem Bayreuther Kunstgebilde eingetauscht hätte; die weinselige Stammtisch-„Gemein“schaft zeigt ihr wahres Gesicht, wenn der Kohn“ mal gerade nicht anwesend ist; die jugendbewegten, an langer Weile erstickenden Twens, welche die Zukunft mit 30 schon hinter sich haben, verschenken ihr Leben als Halbwilde (Der Marlon Brando mit seiner Maschin`); halbtote Monarchisten beschwören Zukünftiges, möge doch endlich der Kaiser zurück kehren; Altnazi suchen ihr Heil in Argentinien (Sieg Olè); glockenschwingende Katholiken treiben Dorfgäste ins Irrenhaus und Couchpotatoes wähnen sich eins mit der Sportlernation: „Beim Sport bin ich immer national, ich kenn` keine Objektivität, keine Neotralität, weil da bin ich radikal“.
Ein Sportlerlied wurde zum Hit: „Der Opitz und der Zwirschina“. Ein Song über zwei „Fußballhelden“, die eher dem Wein, als dem Kick huldigen und doch nur wenn sie reden ein Thema kennen: Den Sport. Später wurde das Lied sogar von denen öffentlich vorgetragen, die den Deutschen 1978 bei der WM die „Schmach von Cordoba“ zufügten, denn „Schneckerl“ Prohaska und Hans Krankl traten sogar als Opitz und Zwirschina auf.
Nach dem schrittweisen Zerfall des Ensembles, blieb die Arbeit Gerhard Bronners mit Peter Wehle ein zentraler Punkt seines Schaffens, zu dem jetzt immer stärker Musical-Überarbeitungen und z.B. die Übersetzung von Kishon-Satiren in den Vordergrund rückten.
Seit 1988 lebt Gerhard Bronner dort (im Wechsel mit Wien), wohin er Ende der 30er Jahre aus finanziellen Gründen nicht hinkam, - in den USA! Wie schön, dass sich die Zeiten geändert haben. Wenigstens in diesem Punkt.
Das Interview
CAMPO: Das Ereignis liegt zwar schon ein paar Monate zurück, doch möchte ich nicht versäumen, nachträglich meine herzlichsten Glückwünsche zum 80. Geburtstag auszusprechen!
Nun kann sich niemand die Verhältnisse aussuchen, in die er hineingeboren wird, aber eine trügerische Ruhe hat es wohl in Wien zu keiner Zeit nach dem ersten Weltkrieg gegeben. Spürte Gerhard Bronner als Kind jene besonderen Spannungen, die in der aufgelösten Donaumonarchie Österreich-Ungarn herrschten, deren Zerschlagung er selbst später einmal „die größte Humorlosigkeit der Weltgeschichte“ bezeichnen sollte oder blieb die Kindheit von der Politik zunächst unberührt?
Bronner: Nein, die Zustände in Österreich waren so polarisiert, dass auch ein Kleinkind sie nicht übersehen konnte. Ich habe schließlich den Februar 1934 bewusst miterlebt, habe die Hinrichtung von Sozialisten erschüttert zur Kenntnis nehmen müssen, und habe etliche Schutzbündler schwer verwundet sehen müssen. Auch der Brand des Justizpalastes 1927 war in meinem Elternhaus ein hartes Diskussionsthema. Ich wusste schon als Kind, dass Österreich kein Paradies war.
CAMPO: Zunehmend – spätestens nach der Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Dollfuß im Jahre 1934 – wurde klar, wie sehr die deutsch-nationale Bewegung den österreichischen Staat ins Visier nahm. Selbst linke Intellektuelle, z.B. Karl Kraus, unterstützten die konservativ geführte Schuschnigg-Regierung bei dem Versuch Eigenständigkeit zu bewahren, weil sie hofften, dadurch würde das Land der Bedrohung durch Nazi-Deutschland trotzen können. Wann jedoch war die Einflussnahme antiösterreichischer Kräfte nicht mehr zu übersehen?
Bronner: Nazis gab es schon in den Zwanzigerjahren, sie wurden allerdings nicht sehr ernst genommen. Nach der Ermordung von Dollfuß konnte man nicht umhin, sie ernst zu nehmen. Die Regierung Schuschnigg wurde erst kurz vor Torschluss von den linken Intellektuellen unterstützt. (Karl Kraus war übrigens kein Linker.) Man liebte Schuschnigg nicht, empfand ihn allerdings als “kleineres Ãœbel”.
CAMPO: Veränderte sich das öffentlichen Leben Wiens schon vor dem „Anschluss“ im März 1938 massiv oder erst unmittelbar danach? Wie wirkte sich dieser schleichende und nach der Einverleibung Österreichs durch das Deutsche Reich offene Antisemitismus auf das Leben eines 15jährigen Jungen aus – wann also, wurde das „unterirdische Klopfen“, welches ein empfindsamer Mensch schon vor dem eruptiven Ausbruch brutalster Handlungen spüren konnte, grausame Gewissheit?
Bronner: Die letzten Tage vor dem „Anschluss” gab es eine sehr euphorische Stimmung Pro-Österreich. Schuschnigganhänger demonstrierten gemeinsam mit den Linken gegen die Nazis. Es gab täglich Prügeleien, bei denen die Nazis in der Minderzahl waren, und auch dementsprechend schlecht davonkamen.
CAMPO: Gab es einen besonderen Anlass das neue Staatsgebilde zu verlassen oder lag dem Entschluss eine grundsätzliche Einschätzung der Lage zu Grunde?
Bronner: Der „besondere Anlass” war ganz einfach Hunger. Ich habe meinen Lehrlingsposten verloren, weil das Geschäft in dem ich bis dahin gearbeitet habe, arisiert wurde. Mein Vater und mein älterer Bruder waren im KZ, und meine Mutter musste pro Angehörigen jede Woche 20 RM nach Dachau schicken. Für die täglichen Ausgaben blieb uns kein Geld. Also ging ich „schwarz” über die Grenze in die CSR nach Brünn.
CAMPO: Wie konnte ein halbes Kind auf der Flucht in einer Welt überleben, die doch nur wenig tiefgehendes Verständnis für die Probleme jüdischer Emigranten aufbrachte?
Bronner: Es war nicht leicht, auch in Brünn war ich hungrig, aber ich schlug mich irgendwie durch. Ich putzte Fenster, schaufelte Kohlen, sang auf der Straße, und gab manchmal Klavierunterricht.
CAMPO: Viele Emigranten zog es in die Vereinigten Staaten von Amerika, Sie aber wählen – als „orthodoxer Atheist“ - das Gebiet, welches wenige Jahre später zum Staat Israel wurde. Religiöse Motivationen schienen also nicht entscheidend für die Ortswahl gewesen zu sein; war es vielleicht der Wille, die zionistische Idee auf weltlicher Basis aufzubauen oder spielten ganz andere Gründe eine ausschlaggebende Rolle?
Bronner: Um in die USA auszuwandern brauchte man nicht nur gültige Papiere (die ich nicht hatte) sondern auch ein Affidavit für die Einreise, und sehr viel Geld für die Überfahrt. Ich hatte nichts davon, Also wählte ich den einzigen Weg, der mir übrig blieb: die Hoffnung von einem illegalen Transportschiff nach Palästina mitgenommen zu werden.
CAMPO: Welche Nachrichten erreichten Sie aus Nazi-Deutschland? Gab es Möglichkeiten in irgendeiner Weise einzuwirken und welche Gefühle hatten Sie, als sich die Meldung von der Kapitulation des Regimes verbreitete?
Bronner: Aus Nazi-Deutschland erreichten mich nur die Schreckensnachrichten, die später eingetroffene Flüchtlinge erzählten. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich manche verdächtigte, zu übertreiben, um Mitleid zu erregen. Von der Kapitulation erfuhr ich aus dem Radio. Mein Gefühl war: „Spät, aber doch!” Und ich hoffte (vergeblich) meine Familie wieder zu sehen.
CAMPO: 1948 kehrten Sie nach Österreich zurück. Wie ist die Entscheidung dafür zu erklären, da Gerhard Bronner die Hass-Liebe zu seinem Geburtsland bekanntlich nie leugnete, - war die Melancholie größer als die Furcht, bekannten Schrecken im Alltag wieder zu begegnen?
Bronner: Ich wollte nicht nach Österreich zurück, sondern nach England, wo mir ein Engagement als Musiker angeboten wurde. Meine Frau aber wollte ihre Eltern wieder sehen, die aus Shanghai zurückgekehrt waren. Also beschloss ich über Wien nach London zu reisen. In Wien lernte ich Menschen kennen, wie Hans Weigel und Alexander Steinbrecher, die mich dazu bewogen, es wieder Wien zu versuchen. Ich höre heute noch den Satz: „Wir brauchen Leute wie Sie!” Ich wollte es ein halbes Jahr lang versuchen - daraus wurden 40 Jahre.
CAMPO: Mit dem Beginn der Fünfziger Jahre entwickelte sich dann das historisch gewordene Projekt „Wiener Kabarett“. Als Junge erlebten Sie noch den Urvater der Klavierhumoristen, Hermann Leopoldi. War es eine eher spontane Erkenntnis, dass hier wieder ein vager Anknüpfungspunkt an vergangene Traditionen möglich schien oder bestand noch vor der Herausbildung der späteren Gruppe ein inhaltliches Konzept weiter zu gehen, also Parodien, Szenen, Sketche und vielstimmige Gesänge auf die Bühne zu bringen?
Bronner: Wir dachten damals nicht an Stil, oder an Anknüpfungspunkte. Wir schrieben einfach das, was wir für wichtig und richtig hielten. Dass sich daraus ein neuer Stil entwickelte, ist uns erst Jahre später aufgefallen. Hermann Leopoldi war übrigens ständiger Gast in unserem Cabaret, und war einer unserer größten Fans.
CAMPO: Das „Wiener Kabarett“ wurde zwar zu einem feststehenden Begriff, die beteiligten Personen wechselten jedoch ständig. Versammelt war aber eine geballte kabarettistische und literarische Qualität, die im deutschsprachigen Raum nie ihresgleichen fand, denn außer Gerhard Bronner gehörten zu den verschiedenen Ensembles, der unvergessene Helmut Qualtinger, Georg Kreisler, Carl Merz, Peter Wehle oder Louise Martini! Wie bewerten Sie rückblickend diese Zeit?
Bronner: Wir waren keine homogene Gruppe, im Gegenteil: Merz war Anti-Marxist, Peter Wehle war katholischer Monarchist, Kreisler stand den Kommunisten nahe, ich war (und bin) Sozialdemokrat, Qualtinger war Nihilist, und Louise Martini war gar nichts. Es gab vor fast jedem neuem Programm stundenlange Diskussionen. Eine der Folgen davon war, dass Kreisler das Team verließ, weil wir ihm zu reaktionär waren.
CAMPO: Das „Wiener Kabarett war immer – etwas vereinfacht ausgedrückt – antideutsch („Piefkei“), antikommunistisch und proisraelisch ausgerichtet. War dies ein „natürlicher Konsens“ der Beteiligten oder resultierten daraus Spannungen?
Bronner: Nein, wir hatten genügend Spannungen im Team, auch unabhängig von der “Piefkei”. Was uns an den deutschen Linksintellektuellen störte, war ihre Bereitschaft, Fellowtravellers der Kommunisten zu werden. Mir entfuhr damals der Ausspruch: „Ich bin deshalb so böse auf die Russen, weil sie mich zwingen FÃœR den Adenauer zu sein!“
CAMPO: Nachdem zunächst besonders das Duo Bronner/Qualtinger durch die „Travnicek“-Geschichten losgelöst vom Ensemble der anderen bekannt wurde, etablierte sich später die Zusammenarbeit von Gerhard Bronner mit Peter Wehle, die bis zum Tode Wehles im Jahre 1986 (Qualtinger starb wenige Monate darauf) andauerte. In den gemeinsamen Programmen entwickelte sich eine Form der musikalischen Darbietung, einer szenischen Conference - gepaart mit politischen Apercus - die zu einer nie gekannten kabarettistischen Einheit verschmolz. Die politischen Probleme haben sich im Grunde nicht verändert, warum aber kam dem Kabarett im deutschsprachigen Raum (und nicht nur dort) diese Ausdrucksform beinahe abhanden?
Bronner: Weil diese Form das Cabarets den Protagonisten zuviel abverlangt. Wehle und ich waren nicht nur Komponisten und Autoren, wir spielten beide Klavier, konnten unsere Lieder selbst singen, wir schufen unsere eigene Choreographie, und inszenierten unsere Programm selbst.
CAMPO: Schön frühzeitig thematisierten Gerhard Bronner & Peter Wehle die Ereignisse im Nahen Osten und ergriffen Partei für den Aufbau des israelischen Staates. Haben sich die Hoffnungen erfüllt beim Publikum für diesen Prozess Einsichten zu gewinnen?
Bronner: Leider nur zu einem kleinen Teil…
CAMPO:…heißt dies, der größere Teil besteht aus Enttäuschungen? Oder waren die Erwartungen an die Lernfähigkeit in der Anfangsphase vielleicht einfach zu hoch und die Realität hat dann ihren Preis gefordert?
Bronner: Ins Cabaret kommen großteils die Leute, die wir nicht überzeugen müssen. Im Gegenteil: sie erwarten ihre Meinung bestätigt zu sehen. Ich kam mir manchmal vor, wie Einer, der einer Ansammlung von älteren Damen erklärt, dass Witwenverbrennungen schädlich sind. Die Erwartungen waren daher nicht zu hoch. Kabarettisten müssen damit leben, dass sie zeitlebens gegen Windmühlen zu kämpfen haben. Die Deutschen Kabarettisten der Dreißigerjahre waren trotz ihrer Warnungen auch nicht imstande Hitlers Aufstieg zu verhindern.
CAMPOP: Wie sollte Israel auf heutige Herausforderungen reagieren?
Bronner: Wenn es nicht einmal die Israelische Regierung weiß, wie soll ich es wissen…?
CAMPO: Sie leben abwechselnd in Österreich und in den USA. Registrierten Sie Unterschiede in der Mentalität der Menschen beider Länder, - psychologischer oder politischer Natur?
Bronner: Ein altes Österreichisches Sprichwort sagt: „Wo es Menschen gibt, da menschelt’s”. Die Menschen in den USA unterscheiden sich im Wesentlichen nicht von denen in Österreich. Wo es eine Vielfalt von Meinungen gibt, kann man nicht generalisieren. Hier wie dort gibt es die gleichen Strömungen. Sie reichen von Vernunft und Humanität bis zum latenten (oder offenen) Faschismus.
CAMPO: Leider erfahren wir, die Bürgerinnen und Bürger der „deutschen Bundesrepublik“, ohnehin nicht viel aus österreichischen Landen, da man quasi einen Boykott über das „Schüssel-Land“ verhängte. Lebt es sich unter Schüssel-Regierung anders als vorher? Hat sich etwas zum Vor- oder Nachteil verändert?
Bronner: Natürlich hat sich Österreich unter Schüssel sehr verändert, und zwar zum unübersehbaren Nachteil. Immer mehr unverblümte Reaktionäre kommen in hohe und wichtige Positionen. Die Folgen sind noch nicht abzusehen.
CAMPO: Vermutlich wird sich Gerhard Bronner noch lange nicht zur Ruhe setzen. An welchen Projekten hat er in jüngster Zeit gearbeitet, welches sind seine nächsten Pläne?
Bronner: Ich arbeite zur Zeit an einem Theresienstadt-Projekt, das der jüngeren Generation vor Augen führen soll, was damals geschehen ist. Daneben arbeite ich im Auftrag eines Deutschen Verlages an meiner Autobiographie.
CAMPO: Hat sich Ihre Lebenseinstellung im Verlaufe der 80 Jahre geändert? Welches (vorläufige) Fazit ziehen Sie aus dem bisherigen Dasein?
Bronner: Meine wesentlichste Lebenseinstellung war und ist das “Schwimmen gegen den Strom”. Das ermüdet zwar, aber es stärkt die Arme. Für ein Fazit ist trotz meiner 80 Jahre noch zu früh.
CAMPO: Gerhard Bronner, ich danke vielmals für dieses Gespräch und wünsche Ihnen auch weiterhin alles Gute und viel Erfolg!
Das Gespräch führte Tanja Krienen
Travnicek
1957 erfand der österreichische Kabarettist und Schauspieler Helmut Qualtinger (Name der Rose (mit Sean Connery, Christian Slater, F. Murray Abraham), Der Richter und sein Henker (mit Jon Voight) die Figur „Travnicek“, die als Art entfernter Vorläufiger des „Herrn Karl“ gesehen werden kann. Qualtinger und Gerhard Bronner ließen diese Gestalt in kleinen Szenen „dialektische Absurditäten“ erleben. Bronner und Qualtinger bildeten in den 50er Jahren zusammen mit Georg Kreisler ein legendäres Kabarett – Ensemble und das wohl beste im deutsprachigen Raum überhaupt.
Aus aktuellem Anlass machte ich mir die Mühe und tippte den Text einer Szene von 1959(!) herunter in die Tastatur, da er sonst nicht greifbar ist. Qualtinger also als Travnicek, Bronner mimt den Stichwortgeber. Carl Merz meinte zum „Travnicek“: „Man hat versucht, ihn einer Kategorie einzuordnen und ihn dabei oft als Vorläufer des „Herrn Karl“ bezeichnet. Aber der Travcinek steht auf der sozialen Stufenleiter um einige Sprossen höher, als der Herr Karl, und auf der intellektuellen um einige niedriger. Das zeigt sich am deutlichsten da, wo er mit den Institutionen und Klischeevorstellungen des österreichischen Alltags konfrontiert wird, denen gegenüber er stets die gleiche Haltung dummdreister Besserwisserei und überheblicher Primitivität einnimmt. Der besondere Reiz dieser Perspektive ist die Entdeckung, wie oft er angesichts der irrationalen Verhältnisse der heimischen Umgebung damit recht behält.“
Travnicek studiert ein Plakat
Bronner: Schauns, Travnicek, schauns ihna einmal des Blakat da an. ´DENKT ÖSTERREICHISCH BEIM EINKAUF´. Was, was Travnicek denken Sie, wann Sie das Plakat da sehn?
Qualtinger: Ich denke Österreichisch.
Bronner: Aha. Denken Sie an die Sachen die was Sie kaufen werdn?
Qualtinger: Nein, ich denke an die Sachen die ich schon gekauft habe.
Bronner: Jo, aber was denken Sie ihna denn da?
Qualtinger: Des sog i lieba net.
Bronner: Sie sind kein Patriot Travnicek
Qualtinger: Was wollen Sie eigentlich. Soll ich, wann i beim Kreisler bin, die Bundeshymne singen?
Bronner: Nein, aber Sie solln österreichisch handeln.
Qualtinger: Handeln? Beim Kreisler?
Bronner: Nicht nur, sondern überhaupt: Im österreichischen Sinne handeln!
Qualtinger: Tu i eh. Bei jedem Viertel sage i: ´Es leb der Außenminister!´
Bronner: Darauf kommts nicht an: An die österreichische Wirtschaft müssen Sie denken!
Qualtinger: Schaun Sie. Schaun Sie. Ich kauf mir neulich a Tischlampen östreichischen Urspungs. Ich schalts ein. Gut. Sie brennt nicht. Gut. Ich schraub die Birne auuse, fällt die Fassung auseinander. Gut. Ich nehm a andre Fassung, schraubs wieda ein, bricht der Schirm ab. Gut. Wie ich die ganze Lampe wieda beisammen ghabt hab und wieda ansteck, ham wer ne ganze Stunde im Bezirk ka Strom ghabt.
Bronner: Und was hams da im Finstern gemacht?
Qualtinger: Österreichisch gedacht.
Bronner: Travnicek, Sie wolln mich nicht verstehn. So eine Lampe ist doch a Ausnahmefall. Aber die Wirtschaft greift doch innanander wie ein Zahn innanand.
Qualtinger: Alos gut, Zahn.. Ich ess da neulich a Westfäler Schinken. Der Schinken ist gut. Ich beiß hinein. Bricht mir der Zahn ab.
Bronner: Na sehn Sie! Der Westfälischer Schinken ist doch aba doch auch kein österreisches Erzeugnis gewesen.
Qualtinger: Nein, aber der Zahn.
Bronner: Travnicek, Sie müssen das Ganze sehn! Den Weltmarkt.
Qualtinger: Mir reicht der Naschmarkt.
Bronner: Also bleiben wir beim Nachmarkt. Auch da ist wesentlich, dass Sie ein heimisches Brodukt erstehen. Sie essen doch sicher gern Obst, Travnicek? Was essen Sie am Liebsten?
Qualtinger: Datteln!
Bronner: Na und sonst?
Qualtinger: Bananen!
Bronner: Himmelfix Travnicek! Nun sagen Sie mir doch mal einmal was auf österreichischen Boden wächst und was ihna schmeckt?
Qualtinger: Topfenstrudel!
Bronner: Was halten Sie von unserem Käse?
Qualtinger: Vergleichen Sie die Löcher von a schweizer Emmentaler mit den österreichischen Löchern. Diese Löcher sprechen Bände. Ich kauf mir nur noch Gorgonzola.
Bronner: Sie fallen der österreichischen Wirtschaft in den Rücken!
Qualtinger: Mit einem Gorgonzola?
Bronner: Machen Sie keine blöden Witze, Travnicek? Fahren Sie wenigstens a österreichisches Benzin? Und welche Fluggesellschaft nehmen Sie?
Qualtinger: Da bin ich besonders patriotisch. Wenn ich abstürz, dann nur mit der AuA.
Bronner: Ich blick in einen Abgrund! Aber red´ ma einmal von der Kultur, bitte: Was lesen Sie Travnicek?
Qualtinger: Nix.
Bronner: No, was noch?
Qualtinger: Zeitung.
Bronner: Sehen Sie, sehen Sie, das ist typisch. Wenn alle Leute so denken taten wie Sie hätten wir keine Konjunktur, sondern a Wirtschaftskrise. Wissen Sie was das heißt? Alles bricht zusammen. Stelln Sie sich das einmal vor! Ka österreichische Krachel mehr! Da österreichischer Kaugummi! Ka österreichischer Whiskey! Ka österreichischen Filme! Ka österreichischer Rundfunk!
Qualtinger: Hörns auf! Das halt i nie aus. Sie haben Recht. Ich fiel unserer Wirtschaft in den Rücken. Von jetzt wird bei mir alles umgestellt. Zum Glück hab i da an österreichischen Freund, vom dem kauf i von jetzt an, alles! Anzüge, Seife, Zahnbürschtel, Schuhe, Hemden, Hüte – meinen ganzen Bedarf.
Bronner: Bravo Travnicek, bravo. Und was ist der Mann?
Qualtinger: Importeur.
Qualtinger links, Bronner rechts
 https://books.google.de/books?id=MP53DwAAQBAJ&pg=PT122&lpg=PT122&dq=Der+Wehle+war+ein+katholischer+Monarchist&source=bl&ots=D6obs0Lk7c&sig=9FpMd3smzN3h_efawU1Hz45ZQCw&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwjGi4nqkc_fAhWGLVAKHXYXALQQ6AEwCXoECAcQAQ#v=onepage&q=Der%20Wehle%20war%20ein%20katholischer%20Monarchist&f=false
Da schrieb Bronner über Leopoldi, der ja auch hier erwähnt wurde -
http://www.campodecriptana.de/blog/2006/10/08/608.html
Ach ja. Dann kommt noch der Kreisler und andere -
http://www.campodecriptana.de/blog/2006/10/20/614.html
Kommentar von Campo-News — 19. März 2007 @ 20:52
Heute 20.15 Uhr unbedingt br-alpha anschauen
Kommentar von Campo-News — 7. Juni 2007 @ 07:33
[…] http://www.campodecriptana.de/blog/2007/03/14/693.html […]
Pingback von Gerhard Bronner « Hirschen’s Weblog — 30. Dezember 2007 @ 22:30
Schöner Beitrag, besonders sehenswert das Video mit Bronner und Qualtinger. Ergänzung: Georg Kreisler mit dem Lied Der Furz
Kommentar von Campo-News — 31. Dezember 2007 @ 09:03
[…] nicht intelligent. Und man kann anständig und intelligent sein. Dann ist man kein Nazi.” - Gerhard Bronner (1922 - 2007) Fun, […]
Pingback von BePeppered » Führerpüpchen — 4. Mai 2008 @ 18:05
Bronners ein halbes Jahrhundert alter Satz aus “Der Opitz und der Zwirschina”: “Ein Unentschieden ist ein Sieg für Österreich”, ist seit gestern so aktuell wie lange nicht mehr.
“Wir brennen nicht,
Wir rennen nicht
Und trutzig san ma auch”.
Hoffentlich nicht am Montag!
Kommentar von Campo-News — 13. Juni 2008 @ 10:57
Weshalb vergleichen uns viele mit Bronner und Wehle, andere aber mit der EAV? Weil alles stimmt! Je nach Lied. https://www.youtube.com/watch?v=inC_zWsmuus
https://books.google.de/books?id=x0hwDAAAQBAJ&pg=PT74&lpg=PT74&dq=Ich+bin+als+Sozialdemokrat+aufgewachsen.+Der+Merz+war+ein+Kohlrabenschwarzer.+Der+Kreisler+eigentlich+ein+Kommunist.+Der+Wehle+war+ein+katholischer+Monarchist.+Und+der+Qualtinger+ein+Nihilist.+Eine+politische+Nummer+zu+schreiben,+war+also+nicht+ganz+einfac&source=bl&ots=QUgg9zIH_f&sig=WlYUT53w1ukTL26xObe0ZcjWytg&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjIy_qOm_baAhXGyaQKHSSiAvkQ6AEIKDAA#v=onepage&q=Ich%20bin%20als%20Sozialdemokrat%20aufgewachsen.%20Der%20Merz%20war%20ein%20Kohlrabenschwarzer.%20Der%20Kreisler%20eigentlich%20ein%20Kommunist.%20Der%20Wehle%20war%20ein%20katholischer%20Monarchist.%20Und%20der%20Qualtinger%20ein%20Nihilist.%20Eine%20politische%20Nummer%20zu%20schreiben%2C%20war%20also%20nicht%20ganz%20einfac&f=false
Kommentar von Campo-News — 30. Juli 2015 @ 15:27
2016 veröffentlichte der Suhrkamp-Verlag in seiner Filmedition die über 30 Jahre alte ZDF/ORF-Produktion „Helmut Qualtinger liest ‚Mein Kampf‘“. Ein Nutzer stellte im November 2020 vier Ausschnitte der skurrilen, parodistischen Lesung mit dem 1986 verstorbenen österreichischen Schauspieler und Kabarettisten auf YouTube. Dort sind die Videos nun gelöscht, und der Nutzer gesperrt worden. Der Konzern Google, dem YouTube gehört, meint, er habe keine andere Wahl gehabt, da die Lesung volksverhetzende Äußerungen enthalte.
Qualtingers Ziel war es, wie das ZDF auf Anfrage ausführt, „die Primitivität und Bösartigkeit des Hitler-Buches zu enthüllen“. Ihm ging es, so der Sender, „um das genaue Gegenteil einer Volksverhetzung“. Ähnlich sieht das auch Suhrkamp. „Indem Qualtinger zwischen Sachlichkeit und schriller Hysterie changiert, entlarvt er den menschenverachtenden Größenwahn des Diktators“, heißt es auf der Internet-Seite des Verlags. Der Nutzer hält die Löschung und Sperrung für nicht gerechtfertigt und wehrt sich mit rechtlichen Mitteln dagegen. (Quelle: Welt) https://www.achgut.com/artikel/ausgestossene_der_woche_Harry_Potter_Autorin_Nussknacker__Arbeitslose
Kommentar von Campo-News — 26. November 2021 @ 12:05