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5. Juni 2013

Träume und Bahnhöfe

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 07:53

Von Jürger Oskar Brauerhoch

Madame Simone de Beauvoir ist nicht die Frau meiner Träume; eher im Gegenteil, hatte ich sie doch im Verdacht, an der wachsenden Aufsässigkeit meiner ersten Ehefrau wesentlich beteiligt zu sein durch „Das andere Geschlecht“, das eine zeitlang deren Lieblingslektüre war. Inzwischen lese ich sie sogar selbst und es ist ganz allerliebst, wie sie über die Reisen mit Sartre nach Rußland, Ägypten, Israel und Jordanien plaudert. Sie versteht es, ganz ohne Tiefsinn Geschehnisse zu schildern, direkt unterhaltsam! Männer kommen bei solchen Gelegenheiten entweder ins Politisieren oder ins Philosophieren, was leicht ermüdet. – Simone nie! Sie schwatzt und schwatzt.  „Alles in allem“ widmet sie sogar ihren Träumen ein Kapitel. Meist geht es um ein Dummheiten und Versagen ihres Partners, gern träumt sie aber auch von verlassenen Bahnhöfen, verpaßten Zügen und verlorenem Gepäck. Bis aufs Gepäck – noch nie habe ich von einem Koffer geträumt – kann ich träumerisch mit ihr  mithalten.

Mein Lieblingstraum in erster Ehe war das Fliegen. Nein, nicht der Transport in einer dieser unmenschlichen Metallkästen, sondern das richtige Fliegen,  dem jedoch immer eine Verfolgungsjagd  vorausging. Martialische Gestalten waren hinter mir her, es ging – das wußte ich – um Leben oder Tod und ich rannte wie ein Wahnsinniger vor ihnen her. Plötzlich ein Abgrund …also alles aus? Nie wußte ich, ob es diesmal wieder klappt, aber jedes Mal geschah das große Wunder. Ich breitete die Arme aus, ruderte durch die Lüfte, sackte zunächst noch ein wenig vom Felsen in den Abgrund und spürte dann, wie ich zu schweben begann, sogar Auf und Ab steuern konnte je nach den Ruderbewegungen der Arme. Meine Verfolger ließ ich verblüfft unter oder hinter mir zurück, sie schossen oder schickten mir Pfeile (Indianer-Filme!) nach, doch sie erreichten mich nicht. Oft wurde ich nach dieser unglaublichen Rettung noch in der Luft wach, manchmal aber erst nach einer sanften Landung  in gebührender Entfernung vom bösen Feind. Einer meiner Psychofreunde sagte mir später, das sei ein typischer „Fluchttraum“ von Leuten, die vor der Verantwortung, vor Problemen fliehen anstatt sich ihnen zu stellen. Bald gings mit der Fliegerei ohnehin nicht mehr. Dafür kam die große Welle, der unheimlichste Traum in meinem Repertoire. Vielleicht hat er etwas mit meinem früheren Leben zu tun, wenn ich auch an  die Reinkarnation nicht glauben kann.. Ob ich mal ertrunken bin? Woher kommt meine panische Angst vor hohen

Wellen generell? Man stelle sich vor: ein wunderschöner Tag am Ozean, man schwimmt in sanfter Dünung oder döst am Strand – und auf einmal kommt eine eigenartige Stimmung auf, wie  vor einem Gewitter. Man spürt genau: Irgendetwas wird passieren … bis man sie entdeckt, ganz draußen am Horizont, eine blauschwarze Wand, die schnell näher kommt, ein  Rauschen und Brausen ist in der Luft! in  furchtbarer Angst beginnt man die Flucht vor diesem Ungetüm, dieser Riesenwelle, die natürlich schneller ist, alles vernichtet  bis man selbst von ihr erfaßt wird … und gottlob aufwacht!

So schlimm und ungeheuer realistisch der Traum, so schön das Aufwachen, das Bewußtsein, noch am Leben zu sein, „nur“ geträumt zu haben. Wobei mir Naturkatastrophen im Prinzip gut gefallen. Nie käme ich auf die Idee, mir einen Autounfall näher anzuschauen, da befällt mich eher Übelkeit. Aber wenn ein Hurrican über den wilden Westen tobt oder ein Taifun in gebührender Entfernung  die Touristenbungalows wegpustet – das schaue ich mir fasziniert an, wie auch die visuell so eindrucksvollen Vulkanausbrüche! Ich finde, die Natur hat immer Recht und ich bin ein treuer Parteigänger ihrer Kapriolen, solange ich dabei am Leben bleibe. Aber ich hoffe auch eines Tages eines natürlichen Todes zu sterben. Damit meine ich nicht das langsame Aufhören und Ausatmen der Lebensgeister, sondern durchaus auch natürliche Gewalt. Ich habe nie das Gefühl von der großen Welle im Traum „ungerecht“ behandelt zu werden. Das ist ein Tod, , der zu mir paßt. In dieser Erkenntnis läßt es sich recht gut weiterleben … weniger gut allerdings in der inzwischen eingetretenen Schwüle. Wer kann bei über neunzig Prozent Luftfeuchtigkeit noch klare Gedanken fassen und dann noch zu Papier bringen? Ich nicht. Allenfalls noch einen Traum erzählen, der weniger dramatisch ist als die große Welle  (inzwischen mit dem Tsunami ja tatsächlich eingetroffen!) aber geradezu demütigend:

Ich stehe auf einem sehr seltsamen, irgendwie balkanesischem Bahnhof und muß irgendwo hinfahren, kann aber auf der verwitterten Abfahrtstafel nichts erkennen. Das geht mir übrigens auch im „normalen Leben“ oft so, denn mit der Fernbrille sind die viel zu klein gedruckten Zeilen nicht zu erkennen und die Lesebrille finde ich nicht. Wenn doch, dann fällt die Fernbrille inzwischen runter, zum Glück ist sie aus Plastik und zerbricht nicht.Kurz und gut, während ich auf dem Bahnsteig stehe, fährt auf einem anderen ein Zug ein. Da die Station so beschaffen ist, daß man sich wundert, wenn überhaupt je ein Zug kommt, egal aus welcher Richtung, stolpere ich mühsam über die Schienen und erreiche in letzter Minute diesen Zug. Er hat sehr seltsame, völlig verzwickte Abteile  und ist mit merkwürdigen Passagieren besetzt, die mich mißtrauisch mustern. Mit einem alten Mann, der zwischen zwei kurzberockten, wild geschminkten Frauen sitzt, komme ich dennoch ins Gespräch und er macht mir klar, daß es die genau entgegengesetzte Richtung ist, in die ich fahre!

Vom richtigen Fliegen, also in einem Metallkäfig mit Kleckermenüs und der sonoren Stimme des Kapitäns noch kurz vor dem Absturz habe ich seltsamerweise nie geträumt, obwohl ich bei meiner geradezu panischen Flugangst ein hohes Bedürfnis der träumerischen „Aufarbeitung“ haben müßte. Doch in meine Bahnträume fließen wohl auch echte Erfahrungen aus dem „wirklichen“ Leben ein. So bin ich einmal auf der für mich schönsten Bahnstrecke, nämlich der Schmalspurlinie zwischen Athen und Patras, auf einem winzigen Bahnhof einfach ausgestiegen, weil es mir im Waggon zu heiß und von dieser Station das Meer zum Greifen nah war. Halb benommen von der brütenden Nachmittagshitze torkelte ich eine Schlaglochstraße zum rettenden Wasser hinunter und legte mich solange nackt hinein, bis ich allmählich wieder zu mir kam, und das mit  einem Schlag; denn neben mir schwammen zwei tote Katzen in dem bei näherem Hinsehen auch sonst nicht gerade appetitlichen Golf von Korinth So zog ich mich an und ging die Straße zurück zum Bahnhof in der naiven Absicht, mit dem nächsten Zug weiterzufahren. Doch einen nächsten Zug gab es nicht vor dem Abend und mein Schiff würde sicher nicht auf mich warten. Während ich noch ziemlich verzweifelt im dürftigen Schatten der Ortstafel überlege, wie ich auf andere Weise nach Patras kommen könnte, rundherum gab es weder Telefon noch eine Menschenseele, hielt plötzlich doch ein Zug vor mir. Ich ging sofort in den Barwagen und bestellte den teuersten drink.  Das war mein Glück. Noch vor dem Anfahren kam nämlich ein erboster Schaffner auf mich zu, der mich unbedingt wieder hinauswerfen wollte, weil ich – da sind die Griechen wie die Preußen – an einer Station eingestiegen war, an der dieser Zug – es war der „Schnellzug“– nur gehalten hatte, weil er auf den Gegenzug warten mußte. Gemeinsam wiesen wir, der Barkeeper und ich, das Ansinnen dieses vor Zorn roten Bürokraten ab … da setzte sich der Zug in Bewegung und ich war gerettet, denn er fuhr ohne weiteren Halt bis Patras, wo ich mein Schiff schon im Hafen liegen sah.

Allenfalls der „San Franzisco Zephir“ der AMTRAK kann mit dieser Strecke mithalten, doch da schlagen einem nicht die Olivenzweige ins Gesicht oder gar, wie einmal passiert, die  Wellen ins Abteil. Und der alte Mann, der mit den fast so alten Suvlakis durch die schaukelnden, alten Waggons jongliert? Alles vorbei, wenn die Strecke stillgelegt wird,, weil es mit dem Bus viel schneller geht.  Überall die gleiche Perversion! Schon, daß man in den meisten Zügen die Fenster nicht mehr öffnen kann, ist ja ein Niedergang der Bahnkultur.  Und was wird dann aus den wunderschönen Bahnhöfen? Werden sie wie viele Kirchen veröden?  Wobei ich Bahnhöfe sowieso interessanter finde als Kirchen. Was ist der Kölner Dom gegen den Doppelbahnhof von Athen mit seinen zwei stolzen Hallen, je eine für die staatliche und eine für die peloponnesische Linie, mehr gibt es ohnehin in ganz Griechenland nicht. Aber wie sie sich gegenseitig an Bedeutung und Schönheit zu übertrumpfen versuchen.! Enttäuschend  dagegen Roma Termini, eine schmutzige Supermarkthalle oder Wien West, häßlicher als alles in dieser schönen Stadt. Offenbarungseid jeglicher Bahnkultur aber ist Barcelona, das auch noch „Sants“ heißt und die Züge  unheilig unter der Erde versteckt. Man meint, in einem Gefängnis angekommen zu sein!

Komischerweise verlieren die Kunstführer kein Wort über Bahnhöfe, während sie sich in endlosen Tiraden über Kirchen ergehen. Wenigstens architektonisch bedeutsame Bahnhöfe (echte Persönlichkeiten!) sollten doch zur Besichtigung empfohlen werden, wie zum Beispiel die Gare d’Orsay, aus der man ein wunderbares Museum  gemacht hat. Leider habe ich noch nie von Bahnhöfen geträumt, vielleicht kommt das noch, wenn das Zugfahren endgültig anachronistisch geworden ist. Auch nie von meiner Mutter! Wohl dagegen von meinem Vater, der etwa so wie Jean Effel den lieben Gott in seiner „Erschaffung der Welt“ gezeichnet hat, gütig lächelnd unter einem großen Baum sitzt. Er scheint mit mir einverstanden, was mir jedes Mal wieder gut tut …

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