Ich habe meinen Mann gepresst
Von Tanja Krienen
Je mehr gesellschaftliche Institutionen, menschliche Beziehungen, ja die Zivilisation an sich in Auflösung begriffen sind, umso mehr verdrängen Surrogate, Placebos und Phantasien reale Erscheinungen. Daneben wächst die Welt aus neurotisch inspirierten Sublimierungen zum „Life-Event of happy Illness-Wellness“. Wenn aus Instinkten „Feeling“ wird, der Geist zum „Spirituellen“ mutiert und das tägliche Zähneputzen eines „Teeth-Cleaning Coaching“ bedarf, das eigentliche Leben also epidemisch zu verorgiasten und zu opiatesken droht, ist es nur logisch, den Tod zu kompensieren und zu konservieren.
Tanja Krienen (1957 - 2101)
Seit Punkt zwei Jahren zierte er ´nen Finger meiner rechten Hand
Das ist nicht üblich doch es ist, das was uns immer noch verband
Denn eines Tags da las ich fett: „Sehn Sie doch bitte einmal her:
Ihr Gatte ist gestorben zwar, doch wert ist er jetzt für Sie mehr.
Bevor er fault und stinkt und leckt, tragen Sie ihn blitzschnell heran
Denn war er kein Juwel bislang, wird er es sein hernach sodann.
Wir pressen ihn zuerst von vorn, dann pressen wir ihn von der Seit
Von oben, unten, rückwärts auch, das gute Stück braucht etwas Zeit.“
Ich habe meinen Mann gepresst
Beim Juwelier und ganz legal
Gestaucht bis auf ´nen kleinen Rest
Mag sein, es klingt vielleicht fatal
Doch nun beim Frühlings-Straßenfest
Rutschte er mir in den Kanal
Es war an einem Sommertag, 1-9-70zig so klar so weiß
Sein Pucky-Rad sonnte sich matt: er triefend nass von hellem Schweiß
Wir wussten was wir taten da - Fünfzehn war er, ich dreizehn grad,
Doch zwanzig Grad und Herrgottsfrüh – blaustählernd stand abseits das Rad.
Die Jugend schwand, fiebrig die Zeit, und wir aktiv in SPD
Mit DGB und WAZ, und dem VW und ABC
Wir liebten nicht, wir lebten nur: Ein Leben nach der Eieruhr,
Drei Kinder auf der Wickelschnur: dafür Sozialromantik pur.
Ich habe meinen Mann gepresst
Beim Juwelier und ganz legal
Gestaucht bis auf ´nen kleinen Rest
Mag sein, es klingt vielleicht fatal
Doch nun beim Frühlings-Straßenfest
Rutschte er mir in den Kanal
Er war gewiss kein großer Held, mehr ungelenk und sportlich nix
Ohne Fortune, nicht mal Verstand - dunkele Pfade des Geschicks
Doch wie er so die Zeitung las, an seinem Apfelstrudel aß,
Die Welt mit seinem Maße maß, sich durch das Leben rückwärts fraß
Da wollte ich ihn nie mehr missen und hatte deshalb mit Bedacht -
- weil ohne ihn ganz aufgeschmissen - einen Juwel aus ihm gemacht.
Doch als dieselbe Bioseife
Die „Cher“ dem Finger überstreifte
Den Ring daran entgleiten ließ
Drauf dieser vorne überstieß
Und direkt in den Abguss rollte
Wohin sich Talg und Gruftring trollte
Drauf fürchterlich zu schäumen fing
Worauf kein Blick nicht mehr verfing
Da war mein Mann mitsamt dem Dreck
„Alternativ“ ganz einfach weg.
Ich habe meinen Mann gepresst
Beim Juwelier und ganz legal
Gestaucht bis auf ´nen kleinen Rest
Mag sein, es klingt vielleicht fatal
Doch nun beim Frühlings-Straßenfest
Rutschte er mir in den Kanal*
P.S. Es war der Datteln-Hamm-Kanal und nie nie wieder werde ich ein „alternatives Stadtfest“
besuchen, nicht mal unter Aufsicht der SPD in Datteln. Auch nicht in Hamm.
Wir leben in einer Zwischenzeit
Das Alte ist vergangen, das Neue noch nicht entstanden. Da bleibt viel Platz für die Kuriositäten die sich der menschliche Geist nun mal so auszudenken vermag.
If you can´t beat ´em, join ´em
Ist denn der Datteln-Hamm-Kanal keine würdige letzte Ruhestätte für einen Diamant gewordenen Mann? *lol*
Kommentar von Peter — 26. März 2007 @ 11:28
Jaja, der Geist denkt und Darwin lenkt, sag ich immer. Aber ich unterscheide schon gerne, ob das im Bereich “Kunst, Kultur und Unterhaltung” stattfindet, oder ob wirklich jemand meint, er könne aus 200 metern Höhe “hinab gleiten”. Im ersteren, ernsteren Fall, lache und spanne ich mit, im zweiten hole ich doch den Arzt, oder?
Nein nein, mein Mann ist wohlauf (in Spanien) und ansonsten würde ich dem geschätzten Friedrich Engels nicht zu der Seebestattung geraten haben, die er vollziehen ließ, sondern zu einem traditionellen Grab a la Marx (Highgate, London), denn das ließ M. unsterblich, weil “real greifbar” werden, aber E., der doch so viel besser war, ins Metaphische entschwinden. Lost Angeles, sozusagen.
Die aktuell herrschenden Kräfte der Arbeiterklasse, die mehrheitlich ihre Schwäche offenbaren, sind schon mir schon deshalb suspekt, weil der Name Engels so selten fällt. Fällt er öfter, fällt die versimpelte und ausschließliche Macht der Definition der Arbeiterklasse über die (Un)Geschicke der Menschheit, aber ich gebe zu, dass ist meine private Bourleske. TK
Kommentar von Campo-News — 26. März 2007 @ 18:03
http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/0,1518,792288,00.html
Kommentar von Campo-News — 2. November 2011 @ 17:44
https://youtu.be/nqULtXDGG4Q
Kommentar von Campo-News — 11. August 2022 @ 16:19