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3. Januar 2007

Brandmann und Biederstifter

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 16:30

Warum Nero wohl heute eine Brandschutz-Versicherungsanstalt leiten würde

Von Tanja Krienen

Vor dem Lesen das anschauen

Die Armseligkeit unseres Daseins, Veränderungen durch Hinweise, Aufschlüsselung von Missständen und ihrer Ursachen, sowie Hintreibung des Verstandes, durch die Wirkung dieser Prinzipien auf die vielfältigen Erscheinungsformen der abgebildeten Erbärmlichkeiten zu erreichen, stellt sich als völlig bedeutungslos dar, seit Schwärme von Gutgelaunten jede Blähung des Lebens so durch den medialen Dickdarm scheuchen, auf dass die Zustände selbst, nicht nur in ihrer karikativen Form, sondern auch ihrer Wesensentsprechung humoristisch-belanglos und als Kritik obsolet werden: Sie heben sich auf, weil die Oberfläche der Objekte so beschreibend, Inhalte nur eine Rolle spielen, statt ihr Wesen zu entblößen.

Stoiber-Bashing ist IN. Die nicht minder zu parodierende Polit-Elemente bleiben meist verschont. Haut man den Söder oder den Pofallada, so ist´s recht: Eine Claudia Roth-Parodie, nicht einmal eine über die Gesundheitsfliege Lauterbach, ward nirgends gesichert. Witzeleien werden hingeworfen, flink abgelacht auf den berühmten Schaf-Scheiß. Als es 1964 zu einem Fernseh-Streitgespräch von Kabarettisten und den am meisten angegriffenen Politikern (Strauß, Mende, Gerstenmeier) kam, unterlagen die Hildebrandts und Co nach Längen. Warum? Nun, wie sollten sie diese banalen Anspielungen, die auf das Fernseh-Kabarett-Publikum – in dem sogar manche der Politiker selbst saßen - zugeschnitten waren, in eine adäquate und relevante politische Sprache übersetzen? Ihr Verbalradikalismus verstummte vor ihrem medialen Mut, ihrer Qualität und ihrem politischem Wissen. Und dabei sind die heutigen Comedians noch „mutiger“, als die kalkuliert – bemüht witzelnden politischen Kabarettisten, die aus lauter Rücksichtnahme, ihr Rückgrat mitsamt der Verbindung zum Kopf, verloren.

So bleiben auch heute Kernbereiche des gesellschaftlichen Lebens weitgehend von der allgemeinen, nicht wirklich wehtuende Spöttelei verschont, schließlich trifft man die Objekte ja in der nächsten Woche bei irgendeiner AIDS-Ventilationsgala, bei einem Fernsehpreis, bei einer Comedy-Schau mit Show-Gasteinlage oder bei einem quirligen Event mit open end, Hauptsache: es wird gequirlt. Nicht nur was sie sagen ist hier entscheidend, sondern was sie nicht sagen; was sie aussparen, was sie nicht antasten. Wenn so Anke Engelke die Schwarzer zur 30jährigen Emmarei trifft und als neue Chefredakteurin gehandelt wird, wenn Sportmoderatoren das, was sie unter Comedy verstehen, in 08/15 Quatschrunden vorführen, und Sportpolitik mit ihren Protagonisten witzeln abfeiern, wenn man also zunehmend den Rudolf Platte der Neuzeit mimt – dann ist eigentlich alles möglich, fehlt nur, dass der neue Führer seinen Klonen eine Stadt schenkt.

So ist denn alles besser geworden, denkt der Lakaie der Zeit und wundert sich. Manchmal auch. In der Tat ist die Realität heute so, wie sie sich die Satire vor Jahrzehnten die zukünftige Realität nicht zu denken traute. Wo also ist der Gipfel? Und: Wie konnten wir dahin kommen? Sind wir schon ganz oben? Die Realität macht sich lächerlich, weil die Lächerlichkeit auf dem Throne der Publizistik, der Medien und der herabgewürdigten Wissenschaft sitzt. Ein kolossal mutiertes Endstadium des Nichts, das dieses Mal auch die kindliche Kaiserin nicht retten wird.

Nun hat also der Kinder-Mörder Gäfgen eine Stiftung gegründet. Fein. Und ist es nicht „demokratisch“, dass das geht? War es nicht Zeit, dass sich was dreht? Wenn doch alle Relativierungen des Rechts, der Wahrheit, des Lebens, der Geschlechter, des Schwarz-Weiß funktionierten, warum nicht auch das? Eben: warum nicht auch das? Wo doch ein Volker Beck die Hinrichtung des Saddams als Menschenrechtsexperte kommentieren darf, sollte doch eine Hausfrau mit drei Jahren LPG-Erfahrung einen „Leitfaden für die Kindererziehung“ herausbringen dürfen, wenn schon kuchendicke Schwarzgelockte mit Alkoholexzessgesichten Dauersendungen zur fröhlichen Menschheitsbeglückung durch Sternekieken moderieren können, ja dann, dann darf auch ein Kindesmörder eine „Stiftung zugunsten jugendlicher Verbrechensopfer” ins Leben rufen.

Da hat Göring doch glatt in Nürnberg die große Chance verpasst jene Meilensteine zu setzen, über die Satiriker nicht mal mehr staunen können. Wenn er da eine „Stiftung für die Opfer der national-sozialistischen Gewalt“ ins Leben gerufen hätte! Oder Erich Mielke noch im November 1989 die „Stiftung für die Opfer der national-sozialen Staatssicherheit! Oder Saddam 2003 eine „Stiftung für kurdische Waisenkinder“ oder Putin eine „Stiftung für den mutigen Journalismus“ oder der Kannibale Meives eine „Stiftung zur geschmacklichen Verbesserung zwischenmenschlicher Beziehungen“. So wäre es nicht ausgeschlossen, dass Nero heute eine Brandschutz-Versicherung gründen könnte oder Vlad Tepes eine „Stiftung für die Witwen aufgehängter Osmanen“ oder vielleicht auch - „Olmerts Offerte“, eine „Stiftung Aktienfonds für den zufällig getöteten Süd-Libanesen“, mit der Genussschein-Option auch für alle Nord-Libanesen. Warum also nicht? Der Markt ist groß und Perversitäten werden heute sowieso liebevoll „Paraphilie“ genannt.

4 Kommentare »

  1. Was hat da mit ihm gemacht? Pfui aber auch!

    “Ein Beamter habe ihn an den Schultern geschüttelt, geschubst und mit dem Handballen geschlagen, sagte Gäfgen.”

    Kommentar von Campo-News — 18. März 2011 @ 13:56

  2. Die Frankfurter Polizisten wie die obersten Nato-Generäle drohten ja nur, um die Tat nicht ausführen zu müssen. Und sie hatten sehr gute Gründe für die Annahme, dass die Drohung ihren Zweck erfüllen würde. - http://www.tagesspiegel.de/meinung/magnus-gaefgen-ist-kein-folteropfer/4479666.html

    Kommentar von Campo-News — 9. August 2011 @ 19:41

  3. „Während Gäfgen bedächtig aß und trank, (…) befand sich Jakob wahrscheinlich irgendwo in Todesangst“, schildert der Kriminalhauptkommissar seine damalige Einschätzung. „Dem Jungen blieben vielleicht noch höchstens 15 Stunden, bevor er verhungert und verdurstet elend sterben musste, während sich Gäfgen den Bauch vollschlug.“ - http://www.focus.de/panorama/welt/polizist-schildert-verhoer-die-eiskalten-luegen-des-kindsmoerders-magnus-gaefgen_aid_663242.html

    Kommentar von Campo-News — 8. September 2011 @ 14:14

  4. Wenn in der Straße eines eher bürgerlichen Viertels jeder zweiten Familie entweder das Auto geklaut, rituell Navigationssysteme und Lenkräder entwendet, oder in Häuser und Wohnungen eingebrochen wird, stellt das die Frage nach der Rechtsstaatlichkeit neu. Verängstigten Bürgern, die tendenziell seit Jahren Spitzensteuersatz zahlen, ruft der Berliner Polizeichef Erheiterndes zu, wie “Die Polizei ist nicht ihr Wachschutz”. Oder: “Vor jedes Haus können wir keinen Beamten stellen.”

    Einer ähnlichen Logik folgt der verlorene Kampf um Parks, in denen nicht Polizisten Drogendealer jagen, sondern Dealer das Geschäft störende Zivilfahnder. In solchen Momenten wird der Rechtsstaat vorgeführt, doch die Empörung hält sich in Grenzen. - http://www.welt.de/debatte/kommentare/article134280246/Zero-Tolerance-Freiheit-beginnt-mit-Sicherheit.html

    https://www.focus.de/panorama/welt/bewaehrung-abgelehnt-kindermoerder-magnus-gaefgen-weiter-gefaehrlich_id_8363086.html

    Die Völker der Welt wüchsen zu einer großen Weltbevölkerung zusammen. Zum „ersten Mal in ihrer Geschichte“, so Coulmas, begreife „sich die Menschheit als Gemeinschaft“. Mir ist bis heute nicht klar geworden, wie ein so kluger, hochgebildeter, weitgereister Mann, der außer in Köln auch in Griechenland, Frankreich, England und Amerika gelebt hatte, Wunsch und Wirklichkeit dermaßen vertüdeln konnte. Es gibt Projekte, die man mit gutem Willen Schrullen nennen kann. Nicht so nette Menschen gemahnen sie eher an Helmut Schmidts Ratschlag, bei Visionen einen Arzt zu konsultieren. In Wahrheit werden „die Völker“ von nichts weniger beseelt als von der Idee, zusammen mit anderen Völkern in einem globalen Nirvana aufzugehen, um dortselbst Sprachen zu büffeln, sich in komplexe Kulturen, politische Gegebenheiten, fremdartige beziehungsweise befremdliche Bräuche und seelische Befindlichkeiten anderer einzufriemeln. Stattdessen gilt die alte Kaufmannsregel „All business is local“ nach wie vor auch für das kulturelle Kontor der meisten Menschen. http://www.achgut.com/artikel/wo_welt_draufsteht_steckt_oft_ein_ladenhueter_drin

    Kommentar von Campo-News — 13. November 2014 @ 16:57

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