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17. Juli 2005

Walter Reisch

Abgelegt unter: Allgemein — Campo-News @ 15:14

Eine Buchvorstellung

CAMPO und KONKRET-Autor* Georg Kreisler der am morgigen Tag 83 Jahre alt wird, schenkte mir vor einem halben Jahr ein Buch über seinen Onkel Walter Reisch (1903-1983). Ich möchte dieses Buch - und vor allem Reisch selbst - hiermit vorstellen.


Walter Reisch

Georg Kreisler übrigens fand 1938, nach dem die Nazis Österreich besetzten, Unterschlumpf in den USA durch Walter Reisch. Dieser gilt als Erfinder der zweispaltigen Drehbücher und schrieb für eine Reihe sehr bekannter Filme die dramaturgische Grundlage.

Schon bei der UFA hatte er sich einen Namen gemacht, z.B. durch sein Manuscript für den Hans Albers-Film FP1 antwortet nicht


Filmmusik: Flieger, grüß mir die Sonne

In den USA arbeitete er an “Ninotschka” mit Greta Garbo. „My love come back“ hieß der Film der „Warner Bros“, für den Reisch ebenfalls arbeitete; die Hauptrollen spielten hier Olivia de Havilland und Jane Wyman, die spätere Frau Ronald Reagans. Reisch war auch für die Dramaturgie in „Niagara“ zuständig – Hauptrolle: Marylin Monroe.

1940 und 1944 wurde er für den Oscar nominiert, diesmal für die Story für King Vidors Film „Comrade X“ und für das Drehbuch des George Cukor Werkes „Gaslight“, mit Ingrid Bergman und Joseph Cotten in den Hauptrollen. Den Oscar gewann er dann für „Titanic“ im Jahre 1953, Hauptrollen (Barbara Stanwyck und Robert Wagner).


Zusammenfassend schreibt Georg Kreisler in dem beinahe autobiographischen Buch Lola und das Blaue vom Himmel:

Im März 1938 wurde Österreich deutsch, für die Familie Kreisler das Todesurteil. Jeden Tag hörten wir neue Berichte über Verhaftungen, Erschießungen und Selbstmorde. Ich war sechzehn Jahre alt und dachte nicht an den Tod. In Los Angeles stand Liesl Reisch am Pier und sagte: “Willkommen in Amerika”.

In ihrem Haus verkehrten Billy Wilder, Fritz Kortner, Ernst Deutsch, Arnold Schönberg. Ich erinnere mich an eine Sylvesterparty 1941 in Hollywood bei Friedrich Holländer (Anm. TK: Holländer schrieb Marlene Dietrichs “Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt”, und wurde Kreislers Schwiegervater). Eigentlich war sie illegal, denn es gab ein Ausgehverbot nach 20 Uhr. Lilian Harvey, vor kurzem noch in Deutschland der “blonde Traum” genannt, sah aus wie ein Skelett. Sie war so verzweifelt, daß sie nichts mehr aß. Auch Fritzi Massary war unglaublich alt und häßlich, nur Marlene Dietrich schwebte wie eine sanfte deutsche Köchin durch den Raum. Es fehlte nichts, nur an der Wirklichkeit.

Im Jahr 1943, als Soldat, wurde ich amerikanischer Staatsbürger. Fast jeder Amerikaner ist heimatlos, außer im Krieg, da kämpft er für seine Illusion, die er als Zivilist nicht hat. Das Land ist einfach zu groß, deshalb versteht es auch niemand, am wenigsten die Europäer, die es beschimpfen. Die Heimat der Amerikaner ist ihre Heimatlosigkeit, daher auch ihre demokratische Gesinnung. Wer in seiner vermeintlichen Heimat bleibt, wie Woody Allen in New York, endet beim Psychiater. Sollte Europa je Tatsache werden, was ich bezweifle, wird es ähnlich sein. Laut Ernst Bloch, hat sowieso kein Mensch seine Heimat betreten.

Im August 1945 warf man Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki, und der Krieg war zu Ende (Anm. TK: In dieser Zeit verhörte Kreisler als Army-Dolmetscher in D. Göring, Streicher und Kaltenbrunner). Einmal wurde ich nach Frankfurt geschickt, ich sollte die Generäle der Army unterhalten. Ein Adjutant nahm mich mit zu Tisch, wo General Eisenhower saß. Ich durfte mit ihnen essen, erzählte ein paar Witze, die mit eisigem Schweigen übergangen wurden, so wie nach dem Essen auch meine Lieder. Die Generäle hatten eine andere Art von Humor. Nach meinem Vortrag rief mich General Eisenhower zu sich - ich war zwar mittlerweile Korporal, hatte aber vergessen die zwei Streifen anzunähen - und so sprach er mich mit “Mister Kreisler” an. Das fiel ihm schwer und nachdem er mir für die Lieder gedankt und gelogen hatte, daß er sie genossen habe, durfte ich gehen. Später wurde er Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika.

In New York traf ich Sidney Fuller. Er war ein unerschütterter Kommunist. Im Brockhaus steht „Genosse: Ursprünglich diejenigen, die auf der gleichen Weide Vieh hielten“. Ich hielt aber kein Vieh und wollte auch keins. Ein Jahr lasen wir täglich den “Daily Worker”. Mit wurde bald klar, daß die Redaktion des Daily Worker ihre Politik von der “Pravda” abhängig machte. So glitt unsere Freundschaft langsam ins Wasser.

Nun aus Georg Kreislers Vorwort zu „Walter Reisch, Film schreiben“:

Ich bezweifele, dass meine Eltern und ich Hitlers Schergen ohne Walters Hilfe entkommen wären.

Walter Reisch war mein Cousin. Er war der Sohn von Gisela Kreisler, der Schwester meines Vaters, und 19 Jahre älter als ich.

Aber nun war er berühmt geworden, und die Familie war hoffnungslos spießig und engstirnig. Es ging nicht mehr. Eine der Tanten sah ihn eines Tages in einem Kaffehaus sitzen, ging auf ihn zu, aber als sie merkte, dass er dort neben Marlene Dietrich saß, lief sie verlegen davon. Er rannte ihr nach, überredete sie zurückzukommen und stellte sie Marlene Dietrich vor. Die Tante blieb aber trotzdem nicht lange. Die Scheu vor Leuten, deren Bild man in der Zeitung gesehen hatte, war zu groß.

An den Anfang seiner Manuskripte setzte Walter immer ein handgeschriebenes großes “C.D.” Billy Wilder fragte ihn einmal, was das bedeute, und Walter erklärte: “Das ist die Abkürzung von “cum deo” und das heiß: “mit Gott” - worauf ihn Billy Wilder herzlich auslachte. Einige später entdeckte Walter, dass jetzt auch Billy Wilder ein großes “C.D.” auf seine Manuskripte schrieb. Er stellte ihn zur Rede, und Billy Wilder antwortete verlegen: Na ja, man kann nie wissen.”

Mein Kontakt zu ihm brach ab und wurde erst wieder aufgenommen, als ich 1980 nach Hollywood kam, um dort ein Haus zu kaufen…Walter war nach wie vor befreundet mit Billy Wilder, Walter Slezak, Yvonne de Carlo (Lily Munster) und anderen.


Yvonne de Carlo mit Walter Reisch in den 40ern

Etwa zwei Monate vor seinem Tod besuchte ich ihn im Spital in Los Angeles. Als ich mich verabschieden wollte hielt er meine Hand sehr lange fest. Ich war Familie.

Walter Reisch, Film schreiben; Vorwort: Georg Kreisler, 370 Seiten, Herausgeber: Günter Krenn, Verlag Filmarchiv Austria, ISBN 3-901932-28-3

* Hinweis auf das Konkret Buch „Heute leider Konzert“




Aus „Heute leider Konzert“, Konkret-Literatur-Verlag, 2001

Tanja Krienen

4 Kommentare »

  1. Vielen Dank über den Beitrag über Walter Reisch. Er war mein Grossvater mütterlicherseits. Dazu gibt es auch Dokumente. Dies wird in dem Buch Film schreiben von Günter Krenn leider nicht erwähnt. Vielleicht aufgrund der Judenverfolgung war er mit seiner Partnerin in Wien, Paula Eichler, nicht verheiratet um sie und seine Tochter Ossie (meine Mutter) nicht zu gefährden. Vielleicht waren die Dinge ganz anders.

    Ich war noch ein Kind und in Wien zu Hause und er besuchte uns während seiner Wienbesuche. Er wohnte in Wien meist im Imperialhotel, was zur damaligen Zeit für mich ungeheuer nobel war.

    Ich, wie auch mein Bruder Günther, interessieren sich für alle Details zu meinem Grossvater. Auch ich lebe heute in der Schweiz. Vielleicht habe ich nocheinmal das Glück Hr. Kreisler treffen zu können.

    Fritz Spohn
    http://www.spohn.ch

    Kommentar von Fritz Spohn — 26. Dezember 2005 @ 17:23

  2. Hallo Herr Spohn, vielen Dank für den interessanten Beitrag. Ich habe das gleich an Georg Kreisler weitergeleitet, vielleicht können wir doch mal eine Familienzusammenführung arrangieren *g*

    Schöne Grüße, Tanja Krienen

    Kommentar von Campo-News — 27. Dezember 2005 @ 12:19

  3. De opening van het Amsterdams City Theater http://geschiedenis.vpro.nl/artikelen/44244304/

    Kommentar von Geschiedenes — 1. Dezember 2010 @ 12:49

  4. Eine tolle Zusammenstellung über die Titanic-Irrtümer - http://www.focus.de/wissen/wissenschaft/technik/tid-25421/ein-jahrhundert-nach-dem-untergang-10-falsche-mythen-ueber-die-titanic_aid_731865.html

    Kommentar von Campo-News — 13. April 2012 @ 14:43

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